Bauwelt

Dada, Purismus – Alle Richtungen

Die eigensinnige Welt des Pancho Guedes

Text: Figuera, Jorge, Lissabon

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Habitale Woman in Nelspruit (Südafrika)
© Archive Pancho Guedes

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Swazi Zimbabwe in Goedegegun (Swasiland)
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Dada, Purismus – Alle Richtungen

Die eigensinnige Welt des Pancho Guedes

Text: Figuera, Jorge, Lissabon

Angefüllt mit dem Wissen um die Vergangenheit und beeinflusst von den Strömungen der Gegenwart entsteht in der Freiheit des abgelegenen Mosambik, „am Ende der Welt“, der „idiosynkratische“ Stil des Pancho Guedes
„Zuhause wird er von seinen Kindern und deren Freunden Dada gerufen, was ihn unendlich freute“, schrieb Pancho Guedes über sich selbst. „Das fand Tristan Tzara ziemlich verwirrend, denn dieser hatte Dada längst aufgegeben.“ Tzara, Mit­begründer der Zürcher Gruppe des Dadaismus, lernte Guedes 1962 auf einer Konferenz in Salisbury, dem heutigen Harare, Simbabwe, kennen. Etwa zur gleichen Zeit konnte der Kunsthistoriker Udo Kultermann, ein Kenner afrikanischer Architektur, in Panchos Werk „erstaunliche Übereinstimmungen“ mit Tzara entdecken.
Im Cabaret Voltaire in Zürich, 1916 Geburtsort des Dadaismus, wurden Gedichte vorgetragen und nach „schwarzer“ Musik getanzt. 1962 besuchte Tzara „Herrn Guedes“ am Ende der Welt und blieb über Nacht: „Man muss wohl tatsächlich bis ans Ende der Welt gehen, was Afrika für mich war, um die allerältesten, archaischen Dinge zu finden, aber wie es aussieht, auch die außergewöhnlichsten, von denen wir vor 30 oder 40 Jahren in Europa bloß geträumt haben und die nun auf dem Boden Afrikas für mich Wirklichkeit wurden.“
In seinem Dada­istischen Manifest von 1918 erklärt Tzara: „Ich bin gegen jedes System; am ehesten akzeptiere ich das System, das da­r­auf beruht, keines zu sein.“ Pancho Guedes schrieb 1962: „Wir müssen uns von allen Schulen, allen Lehrern und Richtungen befreien.“ Oder, so könnte man hinzufügen, denen folgen, die diese Befreiung behaupten. „Herr Guedes“, schrieb Tzara, „hat einige außergewöhnliche Häuser in Mosambik gebaut, eine Architektur der reinen Imagination, die ihn ganz offensichtlich mit den dadaistischen und surrealistischen Schulen verbindet. Ich bin sehr froh, ihn hier getroffen zu haben und in Paris sagen zu können, dass bestimmte Projekte, die man im Westen nicht finden kann, in dieser Neuen Welt verwirklicht werden.“ Ein Neo-Dadaist in Afrika! Der Heroismus einer wirklich gelebten Dada-Poesie und kein bloßes Nachbeten ihre Verse! Darin liegt viel Bewundernswertes.
Architektur braucht allerdings auch ein gewisses Maß an Logik, und im Purismus findet Guedes die Mechanismen, die es ihm erlauben, Architektur mit Malerei zu verbinden und umgekehrt. „Dada“ Pancho malt puristische Gemälde nach Corbusier und spricht voller Hingabe vom Purismus als „einflussreichster Bewegung aller modernen Strömungen“. Ihm liegt die Avantgarde, aber er braucht auch eine Grammatik, um weiterzuarbeiten. Also stellt er Repliken her: „In meinem Büro habe ich eine wunderbare Kopie eines Gemäldes von Le Corbusier, dessen Original in Zürich ist. Sie wurde von mir gemacht und ist besser als das Original.“ Dieses „besser als das Original“ ist seine Version des Duchamp’schen Moustache auf der Mona Lisa.
In Le Corbusier sieht Pancho dann auch lieber den Alchemisten als den Wissenschaftler. „Seine frühen Häusern evozieren die Maschine in einer verrückten Weise“, schreibt er. Der New Yorker Architekt Alexander Gorlin hat das einmal so formuliert: „Es gibt dieses starke surrealistische Element in der Architektur von Le Corbusier, auch wenn er es zu keiner Zeit explizit zugegeben hat.“ Exzessive Ordnungen rufen das Surreale hervor, eine extreme Organisation geht dem Unfall voraus.
Stiloguedes
Und Pancho Guedes liebt dieses Aufeinanderprallen, er will sich nicht als bloßer Zuschauer zurücklehnen. Dadaistisches Zerstören und puristisches Konstruieren; Negation und wieder Zusammensetzen; das zieht das Band um seine Architektur. Hieraus entwickelt sich dann der „Stiloguedes“, dieser extrem „idiosynkratische“ Stil. Der „Smiling Lion“ ist eine Unité d’Habitation im Kleinen, die durch Man Rays Foto der Kamine von Gaudís Casa Milà in Barcelona beeinflusst ist.
In Guedes’ Werk ist die Zukunft ein abstraktes Ballett, das alle möglichen Tänze der Vergangenheit einbezieht. Gleichzeitig vollzieht er eine Art kultureller Anpassung und untergräbt sozusagen die vermeintlich erlösenden Möglichkeiten der modernen Medizin (oder Architektur) mit den Mitteln eines traditionellen Heilers. Corbu und Dada: Dies scheint tatsächlich das Werk eines Zauberers zu sein.
Nachdem Dada und Purismus Mitte der sechziger Jahre gestorben sind – Tristan Tzara 1963 und Le Corbusier 1965 –, hatte Guedes sich selbst längst zum „American Egyptian“ ernannt und zu vielen anderen mehr. Mal war er dabei, bei Team 10, dann auch wieder nicht, oder er sprang auf die Metaphysik von Louis Kahn an, dessen architektonische Lehrsätze das Spektrum moderner Architektur erweitert haben. Die „poetic license“, die Kahn den Architekten anbot, hatte Pancho Guedes längst erworben, ausgegeben und verspielt. Indem er Kahns Begrifflichkeit in seinen Beschreibungen verwendete – „was das Gebäude sein will“, Gebäude, die „von anderen geboren wurden“ –, verband Guedes die surrealistische Tradition Europas mit den innovativen Diskursen Amerikas; bald würde Robert Venturi auftauchen und nach ihm die Postmoderne.
Pancho Guedes scheint jenen Verkehrsschildern gefolgt zu sein, die verführerisch „Alle Richtungen“ verkünden. 1962 brachte L’Architecture d’Aujourd’hui ein Heft über „fantas­tische Architektur“ heraus und mittendrin ein „fantastique Pancho“, mit dem Smiling Lion (1958), dem Prometheus (1951), der Saipal Bäckerei (1952), den Entwürfen für das Hotel in São Martinho do Bilene (1955), dem Núcleo de Arte (1954) und weiteren Projekten. Dort wird er als „eine solitäre Figur beschrieben, die in einem gewissermaßen nicht existierenden Umfeld arbeiten und sich also selbst mit einer fast mystischen Aura umgeben muss.“ Der Schlüssel liegt im „fast“.
Bis zu den Knien
In dem, was Guedes „Gebäude mit tanzenden und drehenden Wänden“ nennt, ist der Stiloguedes beschleunigt und übertrieben bis er die Form von flüssiger, hyper-organischer Architektur annimmt: The Habitable Woman (1963), nur bis Kniehöhe ausgeführt, zerfließt wie schmelzende Höhlen während das Dach des Swazi Zimbabwe (1964) aus „schweren Betonhauben mit großen Wasserspeiern besteht, die das Regenwasser in trichterförmige und abgeschrägte Tanks leiten“.
In diesen Zeichnungen und Gebäuden ist Gaudí Leitfigur, vielleicht auch das späte, eher traumwandlerische Werk Frank Lloyd Wrights. Aber wenn man will, kann man darin auch die raffinierten Kurven des House of the Future (1956) der Smithsons sehen, in einer afrikanischen Verkleidung. So viele Unterschiede lassen sich zwischen Höhle und Hülle gar nicht ausmachen. Das überzogene, fast schon tranceartig Organhafte dieser Arbeiten überschneidet sich mit den anthropomorphen Experimenten der visionären Architektur von 1960. Die Kamine der Habitable Woman liegen irgendwo zwischen Gaudí und der „machinery“ in den Cartoons von Archigram.
Dadaismus und Purismus, diese beiden gegensätzlichen Spielarten einer Tabula rasa lassen Pancho Guedes seine eigene Architektur erfinden, am „Ende der Welt“, sie lassen ihn überall hingehen, wenigstens bis zu den Knien.
Fakten
Architekten Guedes, Pancho, Johannesburg/Lissabon
aus Bauwelt 4.2014
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