Bauwelt

„Das Bauen ist für uns alltägliches Tun, wie Waschen und Essen“

Interview mit De Vylder Vinck Taillieu

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

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    Haus Rotelen-Berg (2007 - 2011). Eine junge Familie kauft ein Haus in einem kleinen Dorf südlich der flämischen Stadt Oudenaarde. Der Bestand: ein Konglomerat aus Dorfkneipe, Wohnhaus und Anbauten.
    Ellen Meurez

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    Haus Rotelen-Berg (2007 - 2011). Eine junge Familie kauft ein Haus in einem kleinen Dorf südlich der flämischen Stadt Oudenaarde. Der Bestand: ein Konglomerat aus Dorfkneipe, Wohnhaus und Anbauten.

    Ellen Meurez

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    Modell: 182 Quadratmeter Wohnfläche auf verschiedenen Ebenen, eingehüllt von einer Art Wintergarten, der in den Altbau gestellt wird.
    De Vylder Vinck Taillieu

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    Modell: 182 Quadratmeter Wohnfläche auf verschiedenen Ebenen, eingehüllt von einer Art Wintergarten, der in den Altbau gestellt wird.

    De Vylder Vinck Taillieu

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    Das Budget ist gering. Die Wohnebenen aus gelben Schalungsplatten ...
    De Vylder Vinck Taillieu

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    Das Budget ist gering. Die Wohnebenen aus gelben Schalungsplatten ...

    De Vylder Vinck Taillieu

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    ... blieben sichtbar, auch die Gerüststützen gehören langfristig zum Inventar.
    Filip Dujardin

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    ... blieben sichtbar, auch die Gerüststützen gehören langfristig zum Inventar.

    Filip Dujardin

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    Die Backsteinfassade bleibt weitgehend unverändert, die finanziellen und entwurflichen Mittel fließen in das Dach.
    De Vylder Vinck Taillieu

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    Die Backsteinfassade bleibt weitgehend unverändert, die finanziellen und entwurflichen Mittel fließen in das Dach.

    De Vylder Vinck Taillieu

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    Das Dach ist verkleidet mit rautenförmigen Blechen, ...
    Filip Dujardin

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    Das Dach ist verkleidet mit rautenförmigen Blechen, ...

    Filip Dujardin

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    ... die Dachkante und die Gaube sind verspiegelt.
    Filip Dujardin

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    ... die Dachkante und die Gaube sind verspiegelt.

    Filip Dujardin

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    Die Straßenfassade.
    Filip Dujardin

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    Die Straßenfassade.

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    Die dritte Fassade des Hauses bekommt ein eigenes Gesicht, ...
    Filip Dujardin

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    Die dritte Fassade des Hauses bekommt ein eigenes Gesicht, ...

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    ... eine subtile Variante des Daches.
    De Vylder Vinck Taillieu

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    ... eine subtile Variante des Daches.

    De Vylder Vinck Taillieu

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    Die Verkleidung entwickelten die Architekten aus den in Belgien normalerweise für Brandwände eingesetzten Rauten, die ...
    De Vylder Vinck Taillieu

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    Die Verkleidung entwickelten die Architekten aus den in Belgien normalerweise für Brandwände eingesetzten Rauten, die ...

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    ... mit einem Backsteinmuster bemalt wurden.
    De Vylder Vinck Taillieu

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    ... mit einem Backsteinmuster bemalt wurden.

    De Vylder Vinck Taillieu

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    Haus BM (2009-2010, mit Joris Van Huychem): Ein Neubau, der sich rund um den Baumbestand wickelt.
    Filip Dujardin

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    Haus BM (2009-2010, mit Joris Van Huychem): Ein Neubau, der sich rund um den Baumbestand wickelt.

    Filip Dujardin

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    Der Wohnraum und die Küche durchmessen die Tiefe des Gebäudes bis zu dem sechseckigen Innenhof, ...
    De Vylder Vinck Taillieu

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    Der Wohnraum und die Küche durchmessen die Tiefe des Gebäudes bis zu dem sechseckigen Innenhof, ...

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    ... Schlafräume und Bäder orientieren sich nach Außen.
    De Vylder Vinck Taillieu

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    ... Schlafräume und Bäder orientieren sich nach Außen.

    De Vylder Vinck Taillieu

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    Ein weiteres "Baumhaus": Haus Bern Heim Beuck (2008-2010)
    De Vylder Vinck Taillieu

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    Ein weiteres "Baumhaus": Haus Bern Heim Beuck (2008-2010)

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    Der bestehende Baum wird mit einem halb offenen Vorraum umbaut.
    De Vylder Vinck Taillieu

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    Der bestehende Baum wird mit einem halb offenen Vorraum umbaut.

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    Der Vorraum wird als geschützter Eingang benutzt ...
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    ... und ist mit Holzlatten verkleidet.
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    ... und ist mit Holzlatten verkleidet.

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    Ein zweiter Baum aus Beton trägt die Ebenen des Hauses und bleibt im Innenraum sichtbar.
    Filip Dujardin

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    Ein zweiter Baum aus Beton trägt die Ebenen des Hauses und bleibt im Innenraum sichtbar.

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Florian Aicher

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Florian Aicher


„Das Bauen ist für uns alltägliches Tun, wie Waschen und Essen“

Interview mit De Vylder Vinck Taillieu

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

Spätestens seit ihrer großen Ausstellung in Dornbirn, die im Juli zu Ende ging, sind Inge Vinck, Jan de Vylder und Jo Taillieu auch außerhalb Flanderns ein Begriff. In ihrer Heimatstadt Gent im flämischen Teil Belgiens gehören sie zu den wichtigsten Protagonisten einer regionalen Architektur, die immer stärker zu einer eigenen Spra­che findet.
Die Gebäude von dvvt – meist Wohnhäuser, Um- und Anbauten, zunehmend auch öffentliche Räume – wirken improvisiert und unfertig, wie eine nicht enden wollende Baustelle. Doch der Eindruck täuscht. Das Durcheinander ist sorgsam komponiert und getestet in langen Reihen von Modellen und Handzeichnungen. Das Unfertige – die wie aus Versehen stehen gebliebene Gerüststange, die fehlenden Schindeln in der Fassade – ist das Ergebnis eines präzisen Entwurfs- und Bauprozesses, der nach der Vorstellung der Architekten vor allem eines ist: so lange wie möglich offen für Veränderung, für Improvisation, für Einwände. Zu dieser unverhohlenen Freude am Bauen und Verwerfen kommt die Auseinandersetzung mit Referenzen aus der Kunst und der Architekturgeschichte, die jeder noch so pragmatischen Lösung eine wei­tere Lesbarkeit hinzufügen, sei es die verspiegelte Dachgaube oder das liebevoll verbarrikadierte Fenster. Dass die Mittel dabei immer radikaler eingesetzt werden, zei­gen drei kürzlich fertiggestellte Häuser (ab Seite 18).
Zum Interviewtermin kamen die Architekten ein wenig atemlos, bereiteten sie doch gerade den belgischen Pavillon der Architekturbiennale in Venedig vor. Auch dort geht es ums Ganze: „The Ambition of Territory“, so der Titel des Beitrags, diskutiert den neuen Raumordnungsplan für das bislang wild bebaute Flandern
Doris Kleilein


Bei einigen eurer Häuser kommen Jugenderinnerungen zurück: Sie wickeln sich um ein Stück Wald, Bäume wachsen durchs Dach. Habt ihr früher auch Baumhäuser gebaut?
Inge Vinck | Natürlich! Das ist es ja.
Jan de Vylder | Sicher, und ich hoffe, jeder konnte das tun. Aber bei den Projekten geht es nicht eigentlich um Bäume, sondern um den Kontext, auf den wir uns einlassen. Wenn wir es mit einem bestimmten Kunden, einer bestimmten Aufgabe, einem bestimmten Bauplatz zu tun haben, und da sind Bäume im Spiel, dann machen wir – entgegen der reinen architektonischen Geste – nicht Tabula rasa. Es ist eine Art Öko­nomie der Dinge und Ideen. Bei den genannten Projekten war unsere Antwort: mit den Bäumen umgehen. Es können aber auch ganz andere Dinge sein – ruinöse Häuser etwa. Das macht es schwierig, regt aber an.

Man sagt, die erste Aufgabe eines flämischen Architekten sei es, eine Küche zu entwerfen.

IV | Tatsächlich haben die meisten Büros zu Beginn sehr geringe Möglichkeiten und beweisen sich mit Küchen für Familien, Freunde, die Eltern.
Jo Taillieu | Die üblichen Häuser bestehen meist aus einem Hauptgebäude und Erweiterungen. Im Nebengebäude beginnt oft die Erneuerung. Dort ist die Küche, und die wird dem technischen Wandel angepasst.

Das alltägliche Bauen in Flandern, das ist zuerst unbedingt das eigene Haus. Und dann das Paradox – dicht an dicht, lange Reihen, doch keines gleicht dem anderen. Individualität und doch Gemeinschaft. Ist das eure gebaute Herkunft?
JdV | Ich denke schon. Wir verstehen oft selbst nicht, wie und warum die Flamen einfach so „frei“ bauen. Jeder tut etwas anderes. Und wir sind Teil dieses Widerspruchs. Wir vertreten keinen Stil, keine umwerfende Vision, keine neue Tendenz; wir bauen nur für eine kleine Zahl von Leuten, die unsere Arbeit mögen. Andererseits gibt es in dieser Tradition mehr Qualität, als man auf den ersten Blick sieht. Es gibt Gemeinsamkeiten, ähnliche Grundrisse, die Idee, in einem Haus, auf einem Stück Land zu leben – auch wenn der Ausdruck individuell ist. Da sind wir nicht weit von entfernt, sondern verschieben nur die Idee ein wenig. Wir gehören zu der Million flämischer Bauleute, die die Dinge selbst in die Hand nehmen und geben den einen oder anderen kritischen Kommentar zu dem, womit der Kunde kommt. Wir fragen etwa nach dem Unterschied, im Winter und im Sommer zu leben, und entwickeln dann Räume anders.

Ihr seid euch nicht zu gut für kleine Aufgaben ...
JT | Gewiss, aber es geht nicht um Größe. Es geht um den Job selbst. Wir gehen jedes Projekt mit derselben Haltung an, es gibt keinen Unterschied zwischen einem Möbel und einem Theaterbau. Es geht um Intensität, die Möglichkeiten, die du der Sache entlockst – gelingt das bei kleinen Dingen gar besser als bei großen?

Man hat den Eindruck: Improvisation spielt bei eurer Arbeit ein große Rolle. Wie verhält sich Büro zu Baustelle, Zeichentisch und CAD zum Gespräch mit dem Handwerker?
IV | Wir versuchen, so oft wie irgend möglich auf die Baustelle zu gehen. Da beginnen die Dinge, die du wissen musst.
JdV | Es geht um Praxis – immer. Wir wollen vom Anfang bis zum Ende mit dem Projekt befasst sein, wir haben mit vie­len Mitstreitern zu tun, es geht nicht um Boss und Zuarbeiter. Wir lernen jeden Tag auf der Baustelle – wir sind ja noch nicht so alt, als dass es da für uns nicht Neues gäbe. Wir sind sicher: Das Wissen der Baustelle leitet unser Wissen beim Zeichnen von Konzepten. Das Material, die Art, wie gebaut werden soll, das spielt ganz früh in die Konzeption des Gebäu­des hinein. Raum bilden und Raum herstellen stehen in enger Beziehung – Volumen und Stoff. Beides zusammen, nicht das eine dem anderen nachgeordnet. Um ganz wirkliche Dinge geht es also: den guten Ort zum Kochen, den richtigen Weg zur Toilette, den genauen Platz für das Sofa, wo will ich in die Landschaft schauen, welche Farben macht der Sonnenuntergang auf der Wand. Architektur handelt nicht vom Erfinden, von Arche – Ursprung – Tektur, vom Kunst machen. Architektur hat zu tun mit dem Braten der Eier in der Küche, dem Duschen, während der Kaffee durchläuft – evidente Dinge.

An euren Zeichnungen fällt auf, wie sehr die sich von Renderings mit ihrer Akkuratesse, Präzision und Überfülle an Information unterscheiden. Dagegen bei euch: wenige Linien, viele von Hand gezogen, einige farbige Flächen, oft pers­pektivisch „falsch“, Kinderzeichnungen ähnlich – Werkzeuge der Verständigung. Welche Rolle spielt die Zeichnung?
JdV | Die Zeichnung ist die Verlängerung der Hand. Wenn wir zusammensitzen und entwerfen, ist Vieles unausgesprochen; dafür ist es auf dem Papier. Da geht es immer um einen besonderen Aspekt des Ganzen. Gerade die smartesten unserer Partner mit ihren ausgefeilten Computerdar­stellungen haben die größten Probleme, der Schnelligkeit der Hand zu folgen – was für ein Aufwand, etwas darzustellen, was mit wenigen Linien gezeigt werden kann. Aber wir zeigen auch Zeichnungen, in denen steckt sehr viel Zeit drin – Inge hat zum Beispiel für das Inner Mongolei Projekt tagelang Räume gezeichnet von einer Qualität, die der Computer nicht erreicht hätte.
IV | Die Zeichnungen machen auf etwas Besonderes aufmerksam, sei es der Raum, das Material, ein Blick, ein Detail. Betonen, was gerade wichtig ist – Konzentration, nie die Totale. Der Computer zeigt das Ganze. Die Handzeichnung fokussiert, nimmt sich das Teil vor, verlangsamt auch.
JT | Fokussieren heißt, weglassen, was im Augenblick nicht wichtig ist. Handzeichnung hilft, die grundlegenden Dinge herauszukriegen, die den Entwurf ausmachen. Eine Linie mit der Hand ist ein Versuch. Eine Linie mit dem Computer muss definiert sein, bevor sie gezogen wird.
IV | Wir haben manche Dinge mit dem Auftragnehmer in den Sand gezeichnet und uns so Klarheit verschafft. Wenn Architekten nicht mehr mit der Hand zeichnen können, behindert das den Beruf.

In den Sand zeichnen, improvisieren – ist das eher kreatives Jonglieren auf der Baustelle oder künstlerische Haltung?
JT | Sicher nicht das letzte. Improvisation ist kein Selbstläufer, steht nicht für sich. Vielleicht wäre es  besser, es Herumdrehen zu nennen. Wir definieren Dinge sehr genau und haben dadurch den Vorteil, sie umgehend ändern zu können – ein Prozess, der offen bleibt. Alles kann jederzeit infrage gestellt werden. Das ist unser Improvisieren – kein künstlerischer Fluss beliebiger Manipulationen.
JdV | Wir versuchen, à prioris zu vermeiden. Natürlich gibt es konzeptionelle Ideen vom Bau, aber wenn wir auf der Baustelle feststellen, das müsste anders werden, dürfen sich die nicht in den Weg stellen.

Man hat gesagt, eure Bauten seien nie fertig. Ihr habt geantwortet, sie seien immer fertig. Das Bauen als immerwährender Prozess?
JdV | Das ist es für uns. Bauen ist ein alltägliches Tun, so wie Waschen und  Essen.
IV | Und Bauen verwandelt das Leben,  das Bauen und das Gebaute gleichermaßen.
JT | Ein Bau hört nicht auf, wenn der Architekt den Platz verlässt. Dann beginnt er erst. Das muss der Architekt er­mög­lichen – Leben sich entfalten lassen.

Hat Bauen etwas von einem Spiel – ernst und heiter, herausfordernd und unaufgeregt, streng und lässig, leicht-sinnig?
JdV | In einer bestimmten Weise soll es das sein, leicht-sinnig. Nicht Kunst, nicht, die Welt aus dem Nichts schaffen. Vielmehr, lernen, mit den Elementen umzugehen – den Ideen, dem Budget, den Erwartungen. Ausschöpfen, was sie erlauben, frei, und zufrieden sein damit – das ist ein besonderer Wert. Natürlich ist die alltägliche Arbeit eines Büros mit 20 Leu­ten Stress, dennoch empfinden wir unser Tun als leicht. Es ist kein schwergängiger Diskurs. Wir mögen das Bauen, es ist uns alltägliche Gewohnheit und Freude.
 
In Martin Heideggers Essay „Der Feldweg“, der euch – das ist schon erstaunlich – aus eurer Ausbildung ganz geläufig ist, geht es um den Lebensalltag. Da heißt es: „Dieselben Äcker und Wiesen begleiten den Feldweg zu jeder Jahres­zeit mit stets derselben Nähe ... immer und von überall her steht um den Feldweg der Zuspruch des Selben ... Das Weite aller gewachsenen Dinge, die um den Feldweg verweilen, spendet Welt.“ Weite und Nähe, zeitlos und augenblicklich, das alles findet Heidegger im Alltäglichen. Beziehen eure Bauten ihren Ausdruck aus dieser Spannung?
JdV | In diesem Sinn, ja. Unsere Bauten sind Instrumente des Tages – lebendig, gebraucht, bewegt. Wenn sie das gut machen, werden sie zeitlos.  Diese hohe Alltagsqualität anzustreben, führt zu etwas, das bleibt. Der Wert all der von uns heute als „zeitlos“ geschätzten Dinge kommt doch daher, dass sie sehr genau erfüllen, was von ihnen erwartet wird – aktu­ell und zeitlos, aus dieser Sicht keine Gegensätze.

Euer Werk wird oftmals zum surrealistischen Erbe Belgiens in Beziehung gesetzt – aber wurzelt dieses Verschränken von Gegensätzlichem, das Verflüssigen fester Begriffe nicht vielmehr in der Auffassung vom Bauen als Prozess, als ständige Wandlung?
JT | Es hat auch damit zu tun, Konventionen zu meiden – vielleicht eine flämische Tugend. Wie im Spiegel: etwas setzen, im selben Augenblick umkehren, die Blickrichtung
brechen. Man stellt eine Beziehung her, nimmt einen Ein­griff vor, erzeugt Störung.
JdV | Wir relativieren so auch unsere Arbeit. Etwa bei dem Haus BM. Die „endlos“ umlaufende Reihe raumhoher Fenster wird an einer Stelle durch einen Spiegel ersetzt. Das setzt die Idee fort, unterbricht sie gleichzeitig und eröffnet die Möglichkeit, anders darüber zu denken. Natürlich hat das mit Kunst zu tun, mit Künstlern, die über den Zaun schauen zurArchitektur  wie René Heyveart, Marcel Broodthaers. Aber wir beginnen nie an diesem Punkt, gelangen vielmehr absichtslos dahin – kein Wunder, mögen wir doch deren Arbeit. Als wir die Fenster für Haus BM entwickelt haben, stellten wir am Ende fest: Die Fassade sieht aus wie eine Arbeit von Blinky Palermo.
JT | Was manchmal ganz fremd, wie Kunst aussieht, ist aus ganz praktischen Gründen entstanden. Wenn wir – wie in der Galerie Verzameld Werk in Gent – drei Türen nebeneinander haben, jedoch die eine bevorzugen wollen, ohne die anderen ganz aufzugeben oder ein Schild anzubringen, drehen wir die Türblätter der zwei untergeordneten um – nur noch eine ist typologisch richtig, die anderen sichtbar infrage gestellt. Dinge infrage stellen, die Infragestellung sichtbar machen, die Frage an den Nutzer weitergeben.

Zurück zum Haus, zum Gebrauch, zu den Nutzern ...

JdV | Da wir unsere Projekte von Anfang an mit den Kunden entwickeln, haben wir eine bestimmte Art von Kunden, sehr kritisch, sehr offen, fordernd, gefordert, Teil des Teams. Wir hatten bisher nie Kunden, die sagten: Ihr seid die Fachleute, hier ist das Programm, hier ist das Geld, wir sehen uns in einem Jahr. Es ist eine andere Dynamik. Und wie wir das Projekt und uns im Projekt wandeln, so ändert sich auch der Auftraggeber. Er wächst mit. Und so ist das Projekt nichts „Neues“, das ihn überwältigt. Der Einzug ist dann nur ein weiterer, lo­gischer Schritt. Wir arbeiten wie ein altmodischer Schneider: Vorschläge machen, Maß nehmen, ausprobieren, korrigie­ren. Ein intimer Kontakt entsteht. Die Übergabe am Schluss hat nichts von der Übergabe eines fabrikneuen Autos.
 JT | Eigentlich haben sich die Kunden immer gefreut, dass sie das Ding, das sie mit uns entwickelt haben, nun mit eige­nem Leben füllen dürfen, auf sich beziehen und weiterbauen.

Da spielt ja auch die Technik eine Rolle. Euer Verhältnis zu ihr unterscheidet sich deutlich vom hierzulande Üblichen. Ohne abweisend zu sein, ist Distanz zu spüren, Skepsis, Ironie, eine – um noch einmal mit Heidegger zu sprechen – „wissende Heiterkeit.“
JdV | Technologie ist allgegenwärtig und wir sind immer wieder erstaunt, was da andauernd Neues kommt. Doch wir sollten uns einige grundlegende, schöne Techniken bewahren. Wir nutzen moderne Technik in unseren Bauten, aber wir wollen sie zurückfahren. Uns geht es nicht um Demons­tra­tionen technischer Innovation. Sowenig ein Haus nur weißer Raum ist, sowenig ist es bloß Technik.

Technologie und Planung: eine Einheit? Und dagegen: Improvisation? Beim Flughafen Berlin Brandenburg Interna­tional ist von 50.000 Plänen die Rede, da staunt man über das Ergebnis. Hätte Improvisation geholfen?
JdV | Ich denke, wir sind beim Bauen an einem Wendepunkt angelangt – und nicht nur da. Wir können nicht ununterbrochen neuer Technik hinterherlaufen. Wir müssen den Blick wieder auf das Naheliegende, das Offensichtliche und dann das Einfache richten. Wir bauen gerade ein Gebäude ohne Plan. Nur Zeichnungen auf der Baustelle, mit den Ausführenden besprochen, Stück für Stück, Tag für Tag. Ein tolles Ex­periment! Aber ganz sicher nicht für jedes Gebäude geeignet.
JT | Entscheidungen, jeden Tag, Wählen zwischen Möglichkeiten, wohlüberlegt – aber nicht das Ende vorwegnehmen. Das unterscheidet dieses Experiment von einem „richtigen“ Plan.
JdV | Zwischen Planung und Improvisation gibt es eine starke Beziehung. Normalerweise haben wir sehr ausgearbeitete Pläne. Die brauchen wir, um sie zu ändern. Keine Änderung ohne Plan. Wie in der Musik – und wie dort ist Improvisation ein heftiger Job. Auch wer improvisiert, strebt nach Perfektion – in dem Wissen, dass es andere Interpretationen gibt. Der Plan muss festlegen. Uns geht es darum, die Hände frei zu haben, bis zum Ende.

Eure Bauten zeigen die Baustoffe roh: Ziegel, Stahl, Beton, Holz, auch „schmutzige“ wie Faserzement.
JdV | Was heißt da roh? Für uns sind sie nicht roh. Ein Ziegel spiegelt die ganze Menschheitsgeschichte – der ist roh? Was ist roh?

Euer Einsatz der Materialien im Vergleich zu der heute manchmal sehr weit getriebenen Verfeinerung.

JT | Wir haben nicht das Bedürfnis, das Material zu verbergen, fein zu polieren. Warum ein Finish, glatt wie Putz; warum etwas hinzugeben, wenn es nicht nötig ist?
JdV | Mit dem Rohen ist es ein bisschen wie mit dem Fertigen. Natürlich ist das Material roh. Doch es kommt auf den Blick an. Ein Kunde hat uns gesagt, manchmal sitzt er abends im Sessel und schaut nur seine Ziegelwand an – ein wunderbarer Wert. Es gibt die Tendenz, besonders in Alpennähe, da kann die Oberfläche gar nicht „besonders“ genug sein. Ich liebe das; es anfassen, genau hinsehen. Aber dann frage ich mich: Was ist der eigentliche Wert?

Ziegel, dafür scheint ihr eine Leidenschaft zu haben – und die Art, damit umzugehen. Wer die Lehrbücher zu diesem Gewerk vor Augen hat, muss allerdings denken: Da ist ja allerhand falsch.
JdV | Danke! (lacht). Genau besehen reagiert der „falsche“ Verband exakt auf die Situation, ist vom Statiker empfohlen – unterschiedliche Belastung, Wechsel der Lagen, neue Verzahnung. Kein Grafik-Design, sondern Mauerwerkstechnik, zwingend. Und wo eins zum andern kommt, muss man kor­rigieren, und da nimmt man sich schon Freiheiten ...
JT | ... und muss eine Entscheidung treffen, die für das Gesamtbild der Wand entscheidend sein kann.

Dennoch, bei manchen Bauten möchte man sagen: Wann wird es denn endlich fertig? Wann wird die Dämmung verkleidet, wann das Geländer montiert ...
JdV | Sie sprechen das Haus Rotelen-Berg an, da gibt es große Missverständnisse.  Architekturmagazine lieben diese Bilder: Der Blick geht ins Dach, man sieht unverkleidete Folie, farbig bedruckt, die bunten Doka-Platten. Wir dagegen haben geplant und freuen uns, wenn das Dach weiß verkleidet ist und auch das Geländer montiert wird. Uns geht es um den Raum, den wir mit einfachen Mitteln in diese „Hausruine“ gestellt ha­ben, um die Zwischenräume – und die Bilder zeigen das „Unfertige“, das Bunte – ein pittoreskes Missverständnis. Das sind nicht wir.

Wir sprachen von Referenzen. Bei der Fassade von „Les Ballets C de la B“ etwa kommt einem das Studentenheim des Belgiers Lucien Kroll ins Gedächtnis ...
JdV | Es ist wie mit Blinky Palermo – ich schätze ihn, genauso wie Lucien Kroll oder Juliaan Lampens. Für mich war er einer der außergewöhnlichsten Lehrer, ein sehr bewusster Mensch, der für seinen Beruf gelebt hat, darin eine sehr humane Haltung hatte. Er hat in seiner Zeit alles hinterfragt, was Wohnen ausmacht – weniger in Opposition, sondern auf der Suche nach anderen Antworten. Architektur als kritische Profession – damals gegen die Dogmen der modernen Bewegung. Das Etikett Brutalismus greift da sicher zu kurz.
Nun also die Biennale in Venedig. Ihr seid mit dem belgischen Pavillon betraut. Lüftet ihr für die Leserinnen und Leser der Bauwelt vor der Eröffnung ein wenig den Vorhang?
JdV | Das würden wir gerne! (lacht)  Wir wüssten auch gerne etwas mehr. Wir sind Teil eines belgischen Teams und grei­fen Fragen der flämischen Gesellschaft auf, wie umgehen mit Raum, Ökonomie, Landschaft, Kultur, Design. Anspruchsvolle Fragen, die auch wir kaum beantworten können. Der Pavillon in Venedig soll ein Anfang für das Überdenken der „Flämischen Frage“ werden, über mehrere Jahre hinweg, eine stetige Intervention. Vielleicht gibt es eine klassische Aus­stellung über Ideen, zeitgleich in Venedig und Antwerpen, zwei Mal dieselbe Ausstellung, zwei Mal ein anderer Kontext. Das Ganze wird erst Stück für Stück sichtbar und so bleibt uns nur, die Leser einzuladen ... 

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