„Das Visionäre an dem Projekt ist das Projekt an sich“
Der Juryvorsitzende Peter Cachola Schmal über den Wettbewerb „Rethink Athens“
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
„Das Visionäre an dem Projekt ist das Projekt an sich“
Der Juryvorsitzende Peter Cachola Schmal über den Wettbewerb „Rethink Athens“
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Nicht mehr und nicht weniger, als Athen neu zu denken, war die Aufgabe eines zweistufigen Wettbewerbs, bei dem im Februar dieses Jahres eine international besetzte Jury das Team um die niederländischen Landschafts- und Stadtplaner OKRA mit dem 1. Preis bedachte.
Von der Alexander-Onassis-Stiftung ausgelobt, suchte man Vorschläge, die wichtigste Verkehrsachse der Stadt (Syntagma-Platz – Panepistimiou-Straße – Omonia-Platz) in eine Fußgänger- und ÖPNV-Achse umzuwandeln und öffentlichen Raum wiederzugewin-nen. Wir sprachen mit dem Juryvorsitzenden Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt.
Vermutlich wollen große Teile der deutschen Öffentlichkeit von Griechenland und seinen gewaltigen Problemen nichts mehr hören. Warum sollte man trotzdem auf diesen Wettbewerb schauen?
Dieser städtebauliche Realisierungswettbewerb ist ein Projekt gegen die Krise. Er ist ein Eingriff am offenen Herzen der Stadt, das in den vergangenen Jahrzehnten stark gelitten hat – nicht nur wegen des Autoverkehrs. Man hat das historische Zentrum teilweise den illegalen Migranten überlassen, es wurde zum Zentrum des Drogenhandels und der Kriminalität. Wir sind gebeten worden, nachts bestimmte Gegenden zu meiden. Die Passagen sind leer, es gibt kaum noch Cafés. Der Leerstand beträgt über dreißig Prozent. Und in jüngster Zeit gab es auch noch schwere Beschädigungen während der Demonstrationen. Mit dem Wettbewerb ist die Hoffnung verbunden, ein Zeichen zu setzen. Kulturelle Aktivitäten sollen initiiert, die Wirtschaft soll angekurbelt werden, das Leben wieder einkehren.
Was ist der Grund für diesen Leerstand?
Man hat in den 80er und 90er Jahren, als man die Verkehrsströme entflechten wollte, zahlreiche Ministerien vom Zentrum an den Stadtrand verlegt. Erreicht hat man das Gegenteil – nun sind alle erst recht im Auto unterwegs. Besonders wenn sie vom Ministerium A ins Ministerium B möchten. Und da es keinen Ring gibt, fahren alle mitten durch die Stadt. Die Zahl der Staatsdiener hat in Griechenland erstaunliche Ausmaße angenommen. Wenn diese Bevölkerungsschicht mit festem Job und Einkommen in der Innenstadt fehlt, verliert diese auch ökonomisch ihre Funktion.
Was veranlasst Sie zu hoffen, dass man ausgerechnet mit einer privaten Stiftung die Probleme lösen kann?
Die Onassis-Stiftung ist eine wirtschaftlich erfolgreiche Institution, die gut vernetzt ist und im öffentlichen Interesse arbeitet. Wir tagten drei Tage lang mitten in der Stadt im Onassis Cultural Centre-Athens, einem Gebäude vom Pariser Büro Architecture Studio. Seit der Eröffnung vor zwei Jahren haben seine Bühnen, der Konzert- und Tanzsaal und seine Ausstellungshalle der Stadt vielfältige Impulse gegeben. Man könne dieser Stiftung vertrauen, versicherten mir Experten. Wenn es einer derzeit in Griechenland hinbekommt, dann die private Onassis- oder die Niarchos-Stiftung, die kürzlich erst den Bau der Nationalbibliothek finanzierte. Man muss einfach sehen, dass sich die Kräfte in diesem riesigen Verwaltungsapparat – unterhalb der Ebene der politisch Gewählten – gegenseitig blockieren. Womöglich haben manche von der Dezentralisierung profitiert, womöglich profitieren manche auch von der Wiederbelebung der Innenstadt. Die Sache ist heikel. Ich vermute, dass das auch der Grund war, warum die Jury vor allem mit Ausländern besetzt war. Wir kennen dort niemand, uns kann man nicht instrumentalisieren. Und das Beste ist: Die Gewinner des Wettbewerbs, das Büro OKRA aus Utrecht, dürften schon jetzt bei der Arbeit sein. Sie wurden sofort nach der Jurysitzung benachrichtigt und beauftragt. Die Stiftung übernimmt das Projektmanagement, begleitet die Planung und beantragt die Gelder. Ende dieses Jahres müssen die Pläne vergabereif sein, damit der Antrag bei der EU gestellt werden kann.
Das wichtigste Bewertungskriterium, hieß es in der Auslobung, sei die visionäre Dimension der Vorschläge. Wie beurteilen Sie dieses Kriterium nach Durchsicht und Prüfung aller Arbeiten?
Das Visionäre an dem Projekt ist das Projekt an sich. Die Stadt wird den Verkehr ernsthaft an einer der wichtigsten Verbindungsachsen Athens unterbinden – das versicherte uns Bürgermeister Giorgos Kaminis, der ebenfalls Jurymitglied war. Als wir von dem Zeitdruck erfahren haben, unter dem das Projekt steht, haben wir nach Profis gesucht. Es gab poetische Arbeiten, aber auch absurde Vorschläge, die durch das Kopieren von großen Ideen aufgefallen sind und wohl von Berufsanfängern stammten. Wir haben nach einer Arbeit gesucht, die die wichtigen Blickverbindungen zwischen Monumenten nicht stört und unmaßstäbliche Eingriffe weitgehend vermeidet. Realisierbarkeit, Behutsamkeit und Professionalität waren unsere Kriterien, eine Arbeit, die mit dem Denkmalschutz vereinbar ist. Wobei erschwerend hinzukommt, dass eine kilometerlange Straßenbahnlinie auf der Hauptachse Panepistimiou-Straße geführt werden wird.
Die Leitlinien des preisgekrönten Vorschlags sind Belastbarkeit, Zugänglichkeit und Dynamik. Wie spiegeln sich diese im niederländischen Entwurf wider?
Das Motto der Sieger lautete „One Step Beyond“. Darin haben OKRA das Thema Fassadenbegrünung und Dachgärten, aber auch das Thema Regenwasser-Rückhaltebecken überzeugend formuliert – wichtige Komponenten, um das Klima auszugleichen und die Panepistimiou-Straße als grünen Boulevard auszubilden. Dies ist Teil des Belastbarkeitskonzepts. Athen hat zu wenig Grünanlagen, trotz umgebender begrünter Hügel und der Lage am Meer herrscht Nutzwassermangel. Eine grüne Trasse für die Straßenbahn kann man sich allerdings nur in Nord- und Mitteleuropa leisten, in Griechenland würde der Unterhalt den Rahmen sprengen. Die Ausformulierung einer neuen Generation von Shared-Space-Flächen ist OKRA sehr gut gelungen. Die neue Straßenbahn gilt seit den Olympischen Spielen 2004 als Heilsbringer in Griechenland. Uns gefiel auch das „Theater der 1000 Räume“: eine sinnvolle Zwischennutzung leerstehender Gebäude, die sich meist in öffentlicher Hand befinden. Der Vorschlag von OKRA ist realistisch und pragmatisch auf der einen Seite, andererseits respektiert er die klassizistische Stadtplanung und baut ihre Stärken weiter aus – er hebt die herausragenden Plätze hervor und poliert sie, damit die Bürger wieder Stolz auf ihr Zentrum entwickeln können. Und somit auf sich selber. Das Ganze soll in wenigen Jahren realisiert sein – wenn das keine Vision ist?
Das Interview führte Enrico Santifaller
Europäischer Architekturwettbewerb
1. Preis OKRA Landschapsarchitecten, Mixst Urbanisme, Wageningen University, Department of Environmental Sciences, Landscape Architecture Group, Studio 75, WSGReenTechnologies | 2. Preis Ilousi Kyriaki, Kerexeta Iturritxa Oihana, Gourdoukis Dimitrios, Tryfonidou Aikaterini, Vassilakis Fotios, Christoforidou Thedodora | Lobende Erwähnung Nikiforidis Prodromos, Cuomo Bernard | Lobende Erwähnung Anagnostakis Georgios, Koumantou Chryssoula, Socci Gianmaria, Thomidou Alkistis-Athanassia | Anerkennung Antonas Aristide, Koutsogianni Katerina, Issaias Platon
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