Bauwelt

Die Metaphysik des Lichts

Chartres zeigt Glasmalerei aus Deutschland

Text: Matl, Martin, Fulda

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Centre international du Vitrail

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Die Metaphysik des Lichts

Chartres zeigt Glasmalerei aus Deutschland

Text: Matl, Martin, Fulda

Wer die Kathedrale im französischen Chartres betritt, taucht in ein dunkel leuchtendes Meer aus Farb- und Lichtstimmungen ein. Ihre Architektur wirkt wie ein Schrein, der die Erscheinung des Lichts im Inneren zum Zweck hat.
Wie fremd theologische Deutungen dieses Lichts in säkularer Zeit auch geworden sind, es lässt auch heute die Gemüter nicht unbewegt.
Farbiges Glas hat über Epochengrenzen hinweg nichts von seiner Faszination eingebüßt. Der ideale Ort also für die Ausstellung „Zeitgenössische Glasmalerei in Deutschland“, die derzeit in direkter Nachbarschaft zur gotische Kathedrale, im Centre International du Vitrail, zu sehen ist.
Schon 1985 gab es dort eine Präsentation deutscher Glasmalerei. Die damalige Ausstellung konzentrierte sich hauptsächlich auf die im Nachkriegskirchenbau neu begründete Tradition moderner Glasgestaltung. Die aktuelle Schau, kuratiert von Holger Brülls vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt und dem Direktor des Centre du Vitrail, Jean-François Lagier, reflektiert die jüngere Entwicklung, die von Differenzierung und Öffnung der Szene geprägt ist. Die großen Namen des Kunstmarkts, die in die Kirchen gefunden haben (Gerhard Richter, Markus Lüpertz in Köln, Sigmar Polke in Zürich), sind ebenso vertreten wie die jahrzehntelang mit Glasgestaltung vertrauten „Altmeister“ Jochem Poensgen oder Johannes Schreiter. Daneben gibt es eine jüngere, bereits etablierte Generation von Künstlern, die raumbezogen mit Glas arbeiten. Zu ihnen zählen unter anderen Tobias Kammerer und Anja Quaschinski.
Wichtige Impulse erhält die Szene in letzter Zeit von Außenseitern, die sich als freie Künstler möglicherweise gerade für die Bindungen interessieren, die ein Glasfenster hinsichtlich Konstruktion, Einbindung in die räumliche Umgebung und definierter Bildaussage abverlangt. Das Friedensfenster in der Leipziger Thomaskirche von David Schnell bietet ein Beispiel für daraus erwachsende Qualitäten wie auch Probleme. Es überzeugt durch seinen expressiven, zugleich streng komponierten malerischen Gestus und bleibt im Kontext des historischen Gebäudes doch isoliert.
Zu zahlreichen Fenstern zeigt die Ausstellung neben Bildtafeln auch Modell- und Musterscheiben, die in den Werkstätten während des Umsetzungsprozesses vom Entwurf zur Ausführung entstehen. Was sich im eingebauten Zustand meist nur als zweidimensionale Oberfläche aus größerer Entfernung wahrnehmen lässt, ist hier zum Greifen nah: die prekären und die delikaten Eigenschaften des Glases – die Dicke einzelner Scheiben, die Lufteinschlüsse, die Verläufe gemalter oder aufgeschmolzener Farben. Die Materialität des Glases nutzt beispielsweise Hella Santarossa für St. Florian in München. Das ausgestellte Musterelement lässt die Funktion der Glasstäbe hinter der monumentalen Altarrückwand der Kirche begreiflich werden. Sie durchstoßen die riesige, gestisch frei bemalte Fläche und schaffen da-mit Lichtpunkte von einer Leuchtkraft, die in kei-nem anderen Bildmedium erreichbar wäre.
Während diese Arbeit ihre Wirkung nur im Original vor Ort entfalten kann, sind die Fenster von Xenia Hausner als Exponat von ungeschmälerter Faszination. Sie ziehen den Betrachter bereits auf der hinterleuchteten Museumsstellwand in ihren Bann. Die drei kleinen Rundbogenfenster sind für den Einbau in die romanische Apsis der Kirche St.Johannes Evangelist im sachsen-anhaltinischen Gehrden vorgesehenen. Zu sehen sind drei Ausschnitte einer nicht näher bestimmbaren Szenerie, ein auf dem Boden liegender Frauenkopf, zwei übereinander gelegte Arme und zwei Frauen, die sich einem außerhalb des Bildes liegenden Punkt zuwenden. Das Thema der Fenster „Kreuzigung“ ist nicht ins Bild gesetzt, es spiegelt sich allenfalls im Entsetzen der abgebildeten Personen. Hausners Entwurf stellt mit seinem verführerischen Realismus ein unmissverständliches Statement zur Autonomie der Malerei in der Architektur dar und formuliert damit einen Anspruch an die ganze Gattung der Glasmalerei.
Dass Glasarbeiten, die sich in den Dienst der sie umgebenden Architektur stellen, ähnliche Intensität entfalten können, beweist Thomas Kuzio mit Fenstern für den Naumburger Dom. Er hat sie mit der Absicht entworfen, die Helligkeit in der Krypta und der Taufkapelle zurückzunehmen. Aus einem dichten Liniengeflecht lassen sich nur angedeutete Strukturen und Symbolformen herauslesen. Farbauftrag und Licht­flecken sind bis in kleinste Details zu verfolgen. Auch hier ist es die Konzentration auf die Möglichkeiten malerischer Mittel, die überzeugt.
Es ist ein Verdienst der Ausstellung, dass sie die Stellung der Glasmalerei weit weg vom Image einer harmlos dekorativen Raumausschmückung rückt, ohne sich andererseits nur auf die spektakulären Großprojekte zu konzentrieren. Die Vitalität der Glasmalerei der letzten Jahre lässt auf eine Wirksamkeit der Metaphysik des Lichts auch in der Nachmoderne schließen.

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