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„Die Stadt ist eine Angelegenheit, die jedermann betrifft“

X. Architekturbiennale in São Paulo

Text: Brinkmann, Jens, Berlin; Thein, Florian, Berlin

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Guilherme Wisnik
Foto: Florian Thein

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„Die Stadt ist eine Angelegenheit, die jedermann betrifft“

X. Architekturbiennale in São Paulo

Text: Brinkmann, Jens, Berlin; Thein, Florian, Berlin

Interview mit Guilherme Wisnik, dem Chefkurator der X. Architekturbiennale São Paulo
Warum gibt es einen Wechsel des Veranstaltungsortes? Es ist nicht länger der Ibirapuero Park, sondern das Centro Cultural São Paulo, und auch eine U-Bahnstation war angedacht ...
Erklärtes Vorhaben der Biennale ist es, nicht Architektur zu diskutieren, sondern die Stadt. So lag es nahe, Stadt erfahrbar zu machen und nicht nur über sie zu sprechen. Man soll verschiedene Orte besuchen und dabei öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Wir haben zwar kein ausgedehntes U-Bahnnetz, aber es reicht aus, um sich gut innerhalb der Stadt zu bewegen.
Welche Architektur in Brasilien halten Sie heute für relevant?
Das Motto der Biennale  „Cidades: Modos de Fazer, Modos de Usar“ „Städte bauen – Städte nutzen“ geht auf den Zusammenhang von Städtebau und dem Gebrauch der Stadt ein. Das kann man nicht länger getrennt sehen. In São Paulo ist seit dreißig Jahren keine Architektur entstanden, die im gesamtstädtischen Maßstab Bedeutung hat. Die letzten derartigen Bauten waren dieses Gebäude hier, das Centro Cultural von Enrico Prada Lopes und Luiz Benedito de Castro, sowie das Sesc Pompéia und das Museu de Arte de São Paulo (MASP) von Lina Bo Bardi. Diese Gebäude sind wichtig im Sinne des Zusammenspiels von Gebäude, Stadt und Nutzung. Nach 1982 haben wir in diesem Maßstab nichts mehr vorzuweisen. Erst seit etwa drei Jahren erleben wir wieder eine intensive Dynamik in der Nutzung von öffentlichen Flächen: beispielsweise die Massendemonstrationen im Juni oder die Versammlungen, die sich in den Parks während der Sonntage bildeten, oder auch Virada cultural, das große Musikfestival in Downtown. Das sind Nutzungen und Arten des Gebrauchs von Stadt, von denen Architekten lernen sollten.
Für dieses Architekturverständnis gibt es aber auch historische Vorbilder in Brasilien ...
Ja, die Ausstellung im MASP legt den Schwerpunkt auf brasilianische Architekten und Künstler der späten 60er, frühen 70er Jahre, die härteste Phase der Diktatur. Dabei werden Werke von fünf Personen gezeigt: Vilanova Artigas, Paulo Mendes da Rocha, Lina Bo Bardi, Hélio Oiticica und Cildo Meireles. Dahinter steckt die Idee, die oppositionelle Rolle von Kunst und Architektur in dieser Zeit zu beleuchten. Es geht um den Zusammenhang von Kunst und Architektur, um die Synthese aller Künste, deren Symbol Brasilia ist. Nach Brasilia ist diese Synthese zerbrochen.
Die Kunst geht ihren Weg, die Architektur einen anderen. Die Ausstellung reflektiert diesen Prozess. 1968/69 bauten Oiticica und Mendes da Rocha ganz radikale Häuser: reine Betonbauten, Schrägen im Innern ohne Öffnungen; in einem dieser Häuser ist als Belag für den Wohnraum Asphalt gewählt. Die Idee war, sich gegen die bürgerliche Lebensart aufzulehnen, ein Haus als öffentlichen Raum zu bauen, nicht als Ort der Intimität und des Privaten.
Sie sagten, diese Biennale sei keine Schau, auf der Stararchitekten ihre Modelle präsentieren. Was können wir stattdessen sehen?
Eine unserer größeren Ausstellungen beschäftigt sich mit dem zeitgenössischen Brasilien. Ihr Titel, „Brasilien – das Spektakel des Wachstums“, ist ein Zitat von Präsident Lula aus den Anfängen seiner Amtszeit. 2003 sagte er wörtlich: „In den nächsten Jahren werden wir das Spektakel des Wachstums sehen“. Und jeder lachte damals darüber. Doch was ist passiert? Es ist genauso gekommen, aber heute sehen wir auch das genaue Gegenteil, den Niedergang. Die Ausstellung möchte diesen Prozess reflektieren und nachvollziehen, was eigentlich vor sich gegangen ist. Vor allem im Nordosten des Landes und in den westlichen Zentralregionen fielen Städte- und Wirtschaftswachstum zusammen. Wir zeigen Videos und Fotos über die Erscheinungsformen des Wachstums. Brasiliens Entwicklung basiert im Wesentlichen auf dem Bausektor und auf dem privaten Konsum von Autos und anderen Dingen. Deswegen gibt es diese Ausstellung über das heutige Brasilien und eine weitere über Autos.
Ist der Fokus auf den Autoverkehr und der Umbau der Mobilität für São Paulo von großer Bedeutung?
Klar, nach den Juni-Demonstrationen bin ich davon überzeugt, dass wir dieses Problem mit aller Kraft angehen müssen. Wir dürfen keine weiteren Autobahnen mehr bauen, wir müssen eher ein kreatives Chaos veranstalten, um alles zum Anhalten zu bringen. Wenn man etwas verändern will, den Individualverkehr in Richtung Öffentlichen Verkehr verlagern will, ist es nötig, ganz starke Eingriffe vorzunehmen.
Was kann diese X. Biennale in Brasilien bewirken?
Ich weiß sicher, dass die Biennale unmittelbar größere Wirkungen in São Paulo selbst haben wird. Sie soll das Bewusstsein dafür stärken, dass die Stadt eine Angelegenheit ist, die jedermann betrifft. Deshalb die große Anstrengung, die Ausstellung nicht bloß für Architekten, sondern für alle zu machen.
Fakten
Architekten Wisnik, Guilherme, São Paulo
aus Bauwelt 44.2013
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