Einfach weiterbauen
Der Künstler Carlos Garaicoa vollendet gescheiterte Utopien
Text: Brosowski, Bettina Maria, Braunschweig
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Der Künstler Carlos Garaicoa vollendet gescheiterte Utopien
Text: Brosowski, Bettina Maria, Braunschweig
Architektur, Bücher und andere Druckerzeugnisse, das sind die Rohstoffe der Arbeiten von Carlos Garaicoa. Nach Beteiligungen an Gruppenausstellungen wie der documenta 11 zeigt der Kunstverein Braunschweig jetzt die erste Einzelausstellung des kubanischen Künstlers in Deutschland.
Garaicoa, 1967 in Havanna geboren, betreibt in seiner Heimat ein Studio, ein zweites unterhält er in Madrid.
Architektur sei ein Spiegel der Gesellschaft, so Carlos Garaicoa, ein Seismograph ihrer permanenten Entwicklung in den politischen Machtverhältnissen – und häufig genug, vor allem in den vormals sozialistischen Ländern, nur mehr ruinöses Zeugnis so mancher gescheiterter Utopie. Verfallene, aufgegebene Bauten unterschiedlichen Alters findet Garaicoa zur Genüge in Kuba, aber auch, auf seinen Reisen, weltweit. Ihn interessieren die anonymen Orte, nicht die der heroischen Geschichte, und je fragmentarischer ihre baulichen Reste sind, desto mehr scheinen sie ihn aufzufordern, sie zu „vollenden“.
In einer großformatigen Fotoserie beispielsweise widmet er sich den Tragstrukturen ehemaliger Reklame-(oder wohl eher Propaganda-)Tafeln an kubanischen Straßen. Aus ihnen lässt Garaicoa Hallen, geschäftige Krananlagen oder konstruktivistische Megazeichen auferstehen, indem er sie mit AutoCad-Drahtmodellen überlagert. Die Linien werden per Laser in die Aluminium-Trägerplatte der Fotografien gefräst, metallisch reflektierende Architekturprospekte entstehen. In einer filigraneren und ungleich mysteriöseren Variante zeichnet Garaicoa mit weißem Nähgarn, gespannt über Stecknadeln an den perspektivischen Eckpunkten, die imaginierten baulichen Vollendungen nach. Oder er notiert mit dieser Technik vollkommen neue, ideale Architekturen und Infrastrukturanlagen wie Windräder auf die leeren Wände im Kunstverein; die Garnlinien werfen kaum wahrnehmbare Schatten auf den hellen Putz.
Carlos Garaicoa arbeitet in seinen Studios mit acht Architekten und Designern zusammen; sie sorgen für die Plausibilität und die technische Umsetzung seiner Architekturphantasien.
Zwischen Heilsversprechen und lumpiger Farce
Für seine sogenannten Pop-Ups „Lo viejo y lo nuevo/Das Alte und das Neue“ verarbeitet Carlos Garaicoa Architekturbücher und historische Architekturdarstellungen. Zwölf französische Stiche gewerblich-ländlicher Bauten aus dem 19. Jahrhundert, die er in Kuba erstand, schnitt er auf und faltete die feinen Gebäudeansichten heraus. Dahinter positioniert er, wie Scherenschnitte aus schwarzem Karton gefertigt, freie minimalistische Architekturvolumina. Alt und Neu verzahnen sich in einer Weise, die die Toleranz der Denkmalpflege auf eine harte Probe stellen würde. Eine Reihe kleiner Vitrinen zeigt die zwölf edlen Ergebnisse.
In einer raumgreifenden Installation lässt Carlos Garaicoa Monographien aktueller internationaler Stararchitekten einen alten chinesischen Tisch überwuchern – für ihn Sinnbild, wie sich Architekten weltweit der Macht andienen, vor allem in China. Für eine Ausstellung dort griff er wiederum auf traditionelle chinesische Kunstformen des Papierschnitts zurück, seine ideale Stadt, die „Bend City (Red)“, entstand 2008 auf städtebaulich strengem Raster. Bauwerke und Monumente entfalten sich in 96 roten Parzellen aus rotem Papier: Stadt und Architektur als fragiles, offenes System – „basic architecture“ in Carlos Garaicoas eigenen Worten.
Und dann steht in einem Raum noch eine Art Bücherregal, gefüllt mit der aktuellen spanischen Übersetzung von Karl Marx’ „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“. Struktur und Proportionen des Regals reflektieren vorgefertigte Bauformen des Sozialismus – das Regal als transformierter Prototyp eines beliebigen Plattenbaus. Carlos Garaicoas eigene Desillusionierung durch politische wie auch baukulturelle Heilsversprechen ist unübersehbar, bei Karl Marx kann man sie nachlesen. Dieser formulierte bereits 1852 im ersten Kapitel seines Buches: „Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“
Architektur sei ein Spiegel der Gesellschaft, so Carlos Garaicoa, ein Seismograph ihrer permanenten Entwicklung in den politischen Machtverhältnissen – und häufig genug, vor allem in den vormals sozialistischen Ländern, nur mehr ruinöses Zeugnis so mancher gescheiterter Utopie. Verfallene, aufgegebene Bauten unterschiedlichen Alters findet Garaicoa zur Genüge in Kuba, aber auch, auf seinen Reisen, weltweit. Ihn interessieren die anonymen Orte, nicht die der heroischen Geschichte, und je fragmentarischer ihre baulichen Reste sind, desto mehr scheinen sie ihn aufzufordern, sie zu „vollenden“.
In einer großformatigen Fotoserie beispielsweise widmet er sich den Tragstrukturen ehemaliger Reklame-(oder wohl eher Propaganda-)Tafeln an kubanischen Straßen. Aus ihnen lässt Garaicoa Hallen, geschäftige Krananlagen oder konstruktivistische Megazeichen auferstehen, indem er sie mit AutoCad-Drahtmodellen überlagert. Die Linien werden per Laser in die Aluminium-Trägerplatte der Fotografien gefräst, metallisch reflektierende Architekturprospekte entstehen. In einer filigraneren und ungleich mysteriöseren Variante zeichnet Garaicoa mit weißem Nähgarn, gespannt über Stecknadeln an den perspektivischen Eckpunkten, die imaginierten baulichen Vollendungen nach. Oder er notiert mit dieser Technik vollkommen neue, ideale Architekturen und Infrastrukturanlagen wie Windräder auf die leeren Wände im Kunstverein; die Garnlinien werfen kaum wahrnehmbare Schatten auf den hellen Putz.
Carlos Garaicoa arbeitet in seinen Studios mit acht Architekten und Designern zusammen; sie sorgen für die Plausibilität und die technische Umsetzung seiner Architekturphantasien.
Zwischen Heilsversprechen und lumpiger Farce
Für seine sogenannten Pop-Ups „Lo viejo y lo nuevo/Das Alte und das Neue“ verarbeitet Carlos Garaicoa Architekturbücher und historische Architekturdarstellungen. Zwölf französische Stiche gewerblich-ländlicher Bauten aus dem 19. Jahrhundert, die er in Kuba erstand, schnitt er auf und faltete die feinen Gebäudeansichten heraus. Dahinter positioniert er, wie Scherenschnitte aus schwarzem Karton gefertigt, freie minimalistische Architekturvolumina. Alt und Neu verzahnen sich in einer Weise, die die Toleranz der Denkmalpflege auf eine harte Probe stellen würde. Eine Reihe kleiner Vitrinen zeigt die zwölf edlen Ergebnisse.
In einer raumgreifenden Installation lässt Carlos Garaicoa Monographien aktueller internationaler Stararchitekten einen alten chinesischen Tisch überwuchern – für ihn Sinnbild, wie sich Architekten weltweit der Macht andienen, vor allem in China. Für eine Ausstellung dort griff er wiederum auf traditionelle chinesische Kunstformen des Papierschnitts zurück, seine ideale Stadt, die „Bend City (Red)“, entstand 2008 auf städtebaulich strengem Raster. Bauwerke und Monumente entfalten sich in 96 roten Parzellen aus rotem Papier: Stadt und Architektur als fragiles, offenes System – „basic architecture“ in Carlos Garaicoas eigenen Worten.
Und dann steht in einem Raum noch eine Art Bücherregal, gefüllt mit der aktuellen spanischen Übersetzung von Karl Marx’ „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“. Struktur und Proportionen des Regals reflektieren vorgefertigte Bauformen des Sozialismus – das Regal als transformierter Prototyp eines beliebigen Plattenbaus. Carlos Garaicoas eigene Desillusionierung durch politische wie auch baukulturelle Heilsversprechen ist unübersehbar, bei Karl Marx kann man sie nachlesen. Dieser formulierte bereits 1852 im ersten Kapitel seines Buches: „Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“
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