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Entwicklungsraum Antwerpen-Nord

Text: Dubois, Marc, Gent

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Abbildung: Stadt Antwerpen

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Apartmenthäuser 1+2 am Westkai von Diener & Diener
Foto: Christian Richters

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Apartmenthäuser 1+2 am Westkai von Diener & Diener

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Entwicklungsraum Antwerpen-Nord

Text: Dubois, Marc, Gent

Das MAS soll nach Norden in den alten Hafen ausstrahlen, wo sich die am Bonaparte- und Willemdok bereits erfolgreich vollzogene Umwandlung fortsetzen soll.
Wie in anderen europäischen Städten werden auch in Antwerpen die alten Hafenanlagen zur städtischen Erweiterungszone umfunktioniert. Mit der Eröffnung des von Neutelings Riedijk Architects entworfenen MAS (Museum aan de Stroom) wurde im Mai 2011 ein wichtiger Abschnitt dieses ambitionierten städtebaulichen Projekts realisiert.
Die Umfunktionierung der Antwerpener Hafenanlagen verlief alles andere als reibungslos. Bereits 1968 wurde beschlossen, „Den Entrepot“, die königlichen Lagerhäuser am Willemdok, abzureißen, um hier das AMCA (Administratief & Maritiem Centrum Antwerpen) zu errichten. „Den Entrepot“ war ein monumentales Bauwerk aus dem 19. Jahrhundert. 1901 wurde es, schwer brandgeschädigt, nach den Plänen François Hennebiques mit einem Betonskelett wieder aufgebaut. Trotz anhaltender Proteste ließ die belgische Regierung den gesamten Komplex 1990 abreißen und auf dem riesigen Abbruchgelände Bürogebäude errichten, was in einem architektonischen Fiasko endete. Die Betreiber des Antwerpener Hafens hatten dagegen deutlich größere Ambitionen. Für die Planung eines neuen Firmensitzes konnten sie den amerika­nischen Architekten Richard Meier gewinnen. Doch obwohl sie mit dessen Vorstellungen zufrieden waren, beauftragten sie letzten Endes ein Antwerpener Architekturbüro mit dem Bau eines weißen Gebäudes „im Stile Meiers“. Zwei Bauvorhaben, zwei verpasste architektonische Chancen.
Mit Blick auf das Jahr 1993, als Antwerpen die Kulturhauptstadt Europas war, schrieb die Stadt 1990 einen öffent­lichen Wettbewerb aus, zu dem zahlreiche Architekten ihre Entwürfe einreichten. Der Japaner Toyo Ito etwa entwickelte Pläne für Antwerpen Zuid, Manuel de Solà-Morales aus Barcelona beschäftigte sich in seinen Entwürfen mit den Scheldekaaien, den Uferdämmen des Flusses Schelde, und dem sogenannten „Eilandje“, dem Gebiet nördlich der 1811 bzw. 1813 ausgebauten Hafenanlagen Bonapartedok und Willemdok. Die Initiative wurde zum Flop, weil man bei der Ausschreibung viel zu viele Teilgebiete mit einbezogen hatte. Mit diesem Architekturbeitrag zur Kulturhauptstadt 1993 wurden zwar verschiedene Theorien zur Stadterweiterung erörtert, aber keine der konkreten Strategien weiterentwickelt oder Bauprojekte tatsächlich realisiert.
Private Projektinitiativen
Erst 1995 kam dank der Ernennung von Eric Antonis zum Kulturbeauftragten Bewegung in zahlreiche der geplanten Bauvorhaben. Auch private Investoren begannen allmählich an die Möglichkeiten, die in dem alten Hafengebiet steckten, zu glauben. In einem der Speicherhäuser am Godefriduskaai, das beispielhaft von DMT Architecten aus Antwerpen umgebaut wurde, eröffnete der Modedesigner Dries Van Noten im Jahr 2000 seinen Firmensitz. Die Baugesellschaft Projectµ hegte ebenfalls ehrgeizige Pläne. An der Stelle, an der eigentlich der runde Turm von Richard Meier gebaut werden sollte, entstand nach den Entwürfen des Berliner Architekten Hans Kollhoff ein Gebäudekomplex mit Luxuswohnungen. Das Erscheinungsbild des Entwurfs von Meier steht in starkem Kontrast zu Kollhoffs Gebäude und zu den an den Docks aufragenden Backsteinfassaden der großen Lagerhäuser.
Projectµ baute bis 2009 zudem mit den Architekten Diener & Diener zwei Wohntürme am angrenzenden Kattendijkdok. Noch in diesem Jahr soll mit dem Bau eines weiteren Wohnturms begonnen werden, entworfen von David Chipperfield Architects. Zwei weitere Hochhäuser sind nach den Entwürfen der Züricher Architekten Gigon & Guyer geplant. Außerdem erhebt sich in der Nähe des weißen Ha­fenhauses der „London Tower“, ein 22-stöckiger Wohnturm von Christine Conix Architecten aus Antwerpen, errichtet zwischen 2008 und 2010.
Auch die Stadtverwaltung profilierte sich mit qualitativ hochwertiger Architektur: Das denkmalgeschützte Sint-Felixpakhuis  am Willemdok aus dem 19. Jahrhundert wurde mitsamt seiner monumentalen Innenhofstraße mustergültig nach den Entwürfen von Robbrecht & Daem Architecten aus Gent zum Stadtarchiv umgebaut.
Nördlich des MAS-Gebäudes wird die Bebauung in den kommenden Jahren vervollständigt. Im Mai 2013 wird voraussichtlich das Red Star Line Museum – People on the Move eröffnet, nach einem Entwurf der New Yorker Architekten Beyer Blinder Belle. Das Museum soll sich dem Schicksal der zwei Millionen Menschen widmen, die zwischen 1873 und 1934 von Antwerpen nach Amerika ausgewandert sind. Noch in diesem Jahr beginnen die Restaurierungsarbeiten der Mon­tevideo-Lagerhallen unter der Leitung des Antwerpener Architekten Chris Poulissen. Und die Betreiber des Antwerpener Hafens werden über der denk­mal­geschützten Feuerwache vom Stadtarchitekten Emiel Van Averbeke aus dem Jahr 1922 einen neuen Bürokomplex nach dem spektakulären Entwurf von Zaha Hadid bekommen.
Park Spoor Noord
Das größte städtebauliche Projekt in Antwerpen ist derzeit Park Spoor Noord, die Umnutzung eines stillgelegten Rangierbahnhofs. Die Belgische Bahn wollte hier 480.000 Quadratmeter Büroflächen bauen – die Stadtverwaltung aber hatte ganz andere Pläne: Ein neuer Stadtpark sollte entstehen. Die Idee ist vergleichbaren Initiativen in Toronto, Chicago und New York entlehnt. Unter dem Motto „Ein Garten für ein Viertel, ein Park für die Stadt“ gewann Studio Associato Secchi-Viganò in Zusammenarbeit mit dem Büro Vandehoek, Coenegracht en Kromwijk die Ausschreibung mit einem Wettbewerbsbeitrag, in dem Begriffe wie „Durchlässigkeit“, „Ökologie“ und „Isotropie“ vorkommen, um den Charakter des Projekts zu umschreiben. Das Areal von 1,6 Kilometern Länge und durchschnittlich 150 Metern Breite grenzt an die Wohnviertel Dam, Stuivenberg und Seefhoek – Stadtviertel, in denen es kaum öffentliche Grünanlagen gibt. Ziel ist es, der Stadt mit der Umgestaltung des vormals trennenden Eisenbahnareals ein neues Rückgrat zu geben. Der Park erstreckt sich über eine Fläche von 18 Hektar. Weitere sechs Hektar sind Geschäftsbauten und Wohnanlagen vorbehalten. An der Südseite ragt ein Hochhaus der Hogeschool Antwerpen auf, eine Bildungsstätte für 3000 Studenten. Leider weist der Neubau von Jaspers & Eyers and Partners nur wenig Qualitäten auf und wird schon jetzt als verpasste Chance gesehen. In nächster Nähe aber entsteht eine formschöne Brücke, die von Laurent Ney & Partners entworfen wurde. Auf dem ehemaligen Bahngelände wurden auch einige der Industriebauten umfunktioniert. Überaus gelungen ist etwa das von Stramien renovierte Lokomotivdepot. Es erscheint nun als polyvalenter Raum, eine Art überdachter Platz, der im Sommer eine Bar und ein Restaurant beherbergt, und der direkt an die großräumig angelegten Wasserspiele für Kinder grenzt.
Noch wird der Park als zu wenig akzentuiert oder sogar als zu leer empfunden. Um unter Bäumen im Schatten liegen zu können, ist es allerdings wirklich noch zu früh. In einem Bericht über die Entstehung des Parks für das Flanders Architectural Yearbook 2008/09 schreibt Kelly Shannon, dass der Entwurf sich „auf die Logik des Vorläufigen“ gründet, was auch bei vielen anderen Parkkonzepten zu finden ist. Die Frage bleibt allerdings, ob die eher minimalistische räumliche Grundstruktur stark genug sein kann, um in der Zukunft zu bestehen. Es ist noch zu früh, darüber zu urteilen, ob das Projekt die Ambitionen, ein wahrer Stadtpark zu sein, einzulösen vermag.
Die lange Schaukel
Antwerpens größtes Problem ist der Straßenverkehr. 2003 wurde die BAM (Verwaltungsgesellschaft Antwerpen Mobil) ins Leben gerufen, um alle verkehrsplanerischen Projekte zu koordinieren und umzusetzen. Das wichtigste ist die Oosterweelverbindung: die Schließung des Antwerpener Rings, um das hohe Verkehrsaufkommen aus den Niederlanden und des Hafengeländes zu kanalisieren. Das BAM-Gremium entschied sich für einen Tunnel unterhalb der Schelde und für eine spektakuläre Doppeldeckerbrücke für den Teil des Hafengebiets, der nördlich ans „Eilandje“ grenzt. Der Entwurf der Schrägseilbrücke entstand in Zusammenarbeit der beiden führenden belgischen Ingenieursbüros BEG und Ney & Partners und wur­de im Sommer 2008 präsentiert. Schnell erhielt die Brücke von den Antwerpenern den Namen „De Lange Wapper“ (die lange Schaukel). Einige Bürgerinitiativen sahen in der Brücke allerdings eine mögliche Quelle von erhöhter Luftverschmutzung und vor allem ein Hindernis für eine zukünftige Stadt­erweiterung in Richtung Norden. Im Oktober 2009 wurde der Bau der Brücke in einem Referendum – ein Verfahren, das in Belgien nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommt – abgelehnt und für eine vollständige Untertunnelung votiert. Die Forderung der Bürgerinitiative, den Verkehrsanschluss weiter in Richtung Norden zu verlegen, widersprach den Planungen der BAM, die Verkehrsanbindung möglichst nahe der Stadt zu bauen. Aktueller Stand des Dramas ist, dass auch nach unzähligen Studien eine Realisierung noch immer nicht in Aussicht steht. Mittlerweile drohen dem Großraum so ernste Verkehrsprobleme, dass wirtschaftliche Folgeschäden für den Hafen und die wichtige Verkehrsachse von Rotterdam nach Nordfrankreich zu befürchten sind.
Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann
Fakten
Architekten Kolhoff, Hans, Berlin; Diener & Diener, Basel/Berlin; BEG/Ney Partners; Secchi-Viganò, Mailand; Zaha Hadid Architects, London
aus Bauwelt 26.2011
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