Bauwelt

Existenzsicherung in Detroit

Urbane Landwirtschaft

Text: Schwarz, Marietta, Berlin

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Still aus dem Dokumentarfilm „Urban Roots“ von Mark MacInnis über Urban Farming in Detroit (2011)

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Still aus dem Dokumentarfilm „Urban Roots“ von Mark MacInnis über Urban Farming in Detroit (2011)


Existenzsicherung in Detroit

Urbane Landwirtschaft

Text: Schwarz, Marietta, Berlin

In der sich leerenden Großstadt hat die urbane Landwirtschaft längst Aufgaben übernommen, die kommunale und marktwirtschaftliche Akteure nicht mehr bewältigen können. 
Keiner weiß genau, wie viel Anbaufläche es in Detroit gibt, die Rede ist von mehr als tausend Gärten und Farmen. In einer Stadt, die zum Inbegriff der „Shrinking City“ wurde und die fast zwei Drittel ihrer Einwohner verloren hat, mutet das an wie die real gewordene Hippie-Utopie. Doch vom Ziel einer nachhaltigen grünen Stadt des 21. Jahrhunderts ist auch De­troit noch entfernt.
Neben viel zu viel Freiraum gibt es andere Gründe für die Community Gardens: vor allem Armut und Arbeitslosigkeit in der mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnten City of Detroit. Aber auch der jahrzehntelange Schrumpfungsprozess ist folgenreich. Supermarktketten haben sich mangels Nachfrage fast vollständig hinter die berühmt-berüchtigte Stadtgrenze 8 Mile zurückgezogen. Und so führte der Weg vieler Detroiter, die sich kein Auto mehr leisten konnten, trotzdem zur Tankstelle. Nur dort nämlich bekamen sie Lebensmittel – Fast Food und Fertigprodukte. Die Fehlernährung ist unübersehbar.
„Wir haben es satt, unser Essen am Kiosk oder an Tankstellen kaufen zu müssen!“, sagt Nefer Ra Barber, die bei Earth-works, einer innerstädtischen Öko-Farm, als Trainerin in der Erwachsenenbildung arbeitet. „Wir haben beschlossen, für uns selbst zu sorgen!“ Nicht nur das Angebot an gesunden Lebensmitteln ist dürftig in der Stadt, sondern auch das Wissen um gesunde Ernährung. Die meisten, die eine Brachfläche in Detroit beackern, leisten deshalb auch noch Sozialarbeit – ehrenamtlich. Earthworks beliefert eine Suppenküche des Kapuzinerordens und bildet gleichzeitig Trainer und Gärtner aus.
Andere versuchen es kommerziell. Der Farmer Greg Willerer fing vor vier Jahren mit einem einfachen Grundstück an und bewirtschaftet inzwischen zweieinhalb Hektar Land in der Innenstadt. Seine Ernte verkauft er auf dem „Eastern Market“ in Detroit. Dort gibt es mittlerweile eine eigene Halle mit Gemüse aus der Stadt. Außerdem beliefert er Restaurants in der Stadt, die sich auf lokale Erzeugnisse beschränken. Mit seinem frisch geernteten Gourmet-Salat ist er in eine Marktlücke gestoßen, er kann davon leben.
Urban Farming als Ausweg aus der Misere? Noch leidet Detroit unter der Fläche, in die die Stadt gewachsen ist. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung rapide auf 1,8 Millionen. Doch mit dem Erfolg der Automobilindustrie und dem erschwinglichen Auto für jedermann setzte in Motor Town die Stadtflucht ein. Bereits 1956 verzeichnete die Kommune erstmals rückgängige Einwohnerzahlen. Rassenunruhen, Ölkrise, Krise der Autoindustrie und zuletzt die Finanzkrise taten ihr Übriges. Heute leben noch 700.000 Menschen auf 370 Quadratkilometern. Die Einfamilienhausviertel, von Schnellstraßen zerschnitten, sind perforiert. Wer noch nicht weggezogen ist, wohnt zwischen Ruinen, zugewucherten Brachen oder eben bewirtschafteten Flächen.  
„Es ist ganz einfach“, sagt Todd Mistor aus North Cork­town. „Wenn du eine Fläche kultivierst, vermüllt sie nicht.“ Um ihn herum sprießen die urbanen Gärten. Fast in jeder Straße gibt es einen. Todd Mistor pflanzt Bäume, und er mäht das Gras. Die Fürsorge für den öffentlichen Raum, um den sich die Kommune kaum noch kümmert, erhält auch die Nachbarschaft und somit den Wert der eigenen Immobilie.
Die Stadt Detroit kämpft immer wieder gegen die Pleite. Die Verwaltung ist unterbesetzt und mit den Aufgaben überfordert. Deshalb bleibt auch die Gärtnerei geduldete Zwischennutzung. Viele Gärtner würden gerne ein Grundstück kaufen, scheitern aber an den Ämtern, in denen sich die Anträge türmen. Gemeinnützige Organisationen wie „Greening of Detroit“ übernehmen mehr und mehr die Aufgaben der Kommune. Sie entwickeln Konzepte für die Grünplanung der schrumpfenden Stadt („strategic landscapes“), starten Programme für die Verbesserung öffentlicher Parks, die Aufwertung problematischer Viertel durch Begrünung. 15.000 urbane Gärtner sind Mitglieder ihres „Garden Resource Program“, zahlen zwischen 10 und 20 Dollar Jahresbeitrag und werden dafür mit Saatgut, Pflanzen, freiwilligen Helfern bis hin zum Vorschuss für die zu erwartende Ernte unterstützt. Kurzum: „Greening of Detroit“ verfolgt eine grüne Mission, die es auch willigen Gärtnern von außerhalb leicht macht, in Detroit ein neues Leben als sozialer Öko-Farmer zu starten.
Erste Erfolge sind sichtbar. Dan Pitera, Professor für Architektur an der University of Detroit Mercy, sagt, die Wahrnehmung von außen habe sich verändert. „Vom Apokalyptischen hin zu einem hoffnungsvollen Zustand der Veränderung.“ Auch er hat die Vision eines sozial gerechten ökologischen Detroits. Wie sieht eine solche Vision auf dem Plan aus? Dan Pitera schüttelt den Kopf. „Erst brauchen wir das Engagement der Leute, dann denken wir über Architektur und Stadtplanung nach.“ 

Adresse Detroit, Michigan, Vereinigte Staaten


aus Bauwelt 39.2012
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