Bauwelt

Fertig in 55 Tagen, Leichtgewichte, Alleskönner

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

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Klaus Noichl

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Klaus Noichl


Fertig in 55 Tagen, Leichtgewichte, Alleskönner

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

Holztafelbauten für L’Aquila, Kastenelemente für Decke und Dach, 45-cm-Vollholzwand
Holztafel­bauten aus Tirol für L’Aquila
Außerordentliche Ereignisse erfordern außer-ordentliche Maßnahmen – so das Erdbeben in der Abruzzenstadt L’Aquila im April 2009, das in 23 Sekunden 70.000 Menschen um ihr Dach über dem Kopf brachte. Ungewöhnlich schnell war die Reaktion der Verantwortlichen, die bereits im Mai 3500 Wohneinheiten international ausschrieben. Mitte Juni konnten 16 Anbieter ermittelt werden, darunter 373 Wohneinheiten durch zwei österreichisch-italienische Kooperationen – als Brettsperrholzbauweise aus Tirol der Firmen Schafferer Holzbau aus Navis und Binderholz aus Fügen. Anfang September waren die ersten Einheiten bezugsfertig.
Konstruktionsvorgabe war ein Ortbeton-„Tisch“, darauf zwei Varianten von dreigeschossigen Wohnbauten mit 23 bzw. 27 Wohnungen. Variante eins wurde inkl. Dämmung, Öffnungen, Aussparungen als geschosshohe Tafel (10 cm Dämmung, 16 cm Brettsperrholz) im Werk am Brenner fertig abgebunden, in LKW-Konvois geliefert, in 14 Tagen wetterdicht ausgeführt und mit Außenputz, Innenschale und Ausbau in
55 Tagen fertiggestellt. Variante zwei wurde in 125 cm breiten konfektionierten Elementen aus 11 cm Brettsperrholz geliefert, vor Ort gefügt, beidseitig (3 bzw. 5 cm) gedämmt und beplankt. Die Varianten zeigen zwei Wege im heutigen Massivholz-Tafelbau: Im ersten Fall steht der ausführende Zimmereibetrieb mit seiner Werkstattfertigung im Zentrum, im andern liefert der Tafelhersteller Elemente, die auf der Baustelle nachbearbeitet werden. Dass beim zweiten Fall die Grenzen enger gezogen sind, versteht sich.
Kriterien für die Vergabe waren neben der kurzen Bauzeit die ökologischen Qualitäten des Baustoffs, die Elastizität und Stabilität der Konstruktion und die Baukosten, die mit 1140 bzw. 1180 Euro pro Quadratmeter ange­geben werden. Voraussetzungen sind die erstklassige Qualität des Halbzeugs Brettsperrholz, erfahrene Betriebe, die für Planung und Vorfertigung eingerichtet sind und die logistische Herausforderung meistern. Schließlich ein Bausystem, das einfach zu fügen ist. Ausdrücklich angemerkt sei, dass dank Material und Konstruk­tion aufwendige Details, etwa bezüglich Kältebrücken, hinfällig werden. 
Lediglich klimatisch bleiben diese Bauten unter den Anforderungen nördlich der Alpen. Ansonsten erfüllen sie in jeder Hinsicht die An­sprü­che, die hierzulande an das Bauen im sozialen Wohnungsbau gestellt werden. Ein gran­dioser Feldversuch auf der seinerzeit größten vergleich­baren Baustelle Europas.
Kasten­­elemente für Decke und Dach
Appenzell ist eine Holzbauregion, und man braucht nicht weit hineinzureisen, um die Eigen­art der dortigen Holzbauten zu bemerken. Die kassettierte, oft farbig gestrichene Haut lässt den verborgenen Blockbau bestenfalls erahnen. Als ob hier der Holzbau den Schritt vom Zimmerer zum Tischler nachvollzogen hätte: Vertäferung, Leim, Farbe. Ist es verwunderlich, dass aus dieser Gegend Bauelemente kommen, die eigentlich Kisten (Kistler heißt der Schreiner in Bayern) sind?
Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass in dem familiengeführten Zimmerer- und Schreinerbetrieb in Waldstatt mit vorelementierten Deckenelementen begonnen wurde – einem Kas­tenprofil aus gleichstarken Brettern. In der Grundversion stehen die Seiten im Achsmaß von 20 cm, variieren in der Höhe entsprechend der Spannweite und sind durch Querstege im Meterabstand ausgesteift. Das Ganze ist mit dem oberen und unteren Deckbrett auf die gesamte Länge verleimt und mit Nut und Feder für den Anschluss des folgenden Elements versehen. Diese Grundeinheit wird addiert zu Ele­men­ten von einem Meter Breite. Eingesetzt werden die Elemente für Decken und Dächer. Der Querschnitt erlaubt hohe statische Belastung mit freien Spannweiten bis zwölf Meter.
Der Hohlkörper kann hinsichtlich Brandschutz, Schallschutz, Wärmedämmung optimiert, das heißt: mit unterschiedlichen Materialien „gefüllt“ werden, so dass beispielsweise F 90 oder Passivhausstandard erreicht werden. Das geringe Eigengewicht – rund die Hälfte einer Massivholzdecke – prädestiniert dieses System für das Bauen im Bestand. Es zeichnet sich durch hohe Maßhaltigkeit und Oberflächen in Sichtqualität vom Schreiner aus. Ergänzt wird dies heute durch die Möglichkeit von schallschluckender Perforierung oder verschiedenster Oberflächenbehandlung bis hin zu farbiger Gestaltung.
Seit 1997 ist die Produktion der Elemente in einer eigenen Firma, „Lignatur“, ausgegliedert. Heute wird weitgehend automatisiert gefertigt, doch Staunen macht, dass die 35 Mit­arbeiter immer noch hauptsächlich mit Holz be­fasst sind: Die optische Kontrolle des Stoffs, das ständige Begleiten der Automaten, die die schwere Arbeit abgenommen haben – kein Messcomputer kann das menschliche Auge ersetzen. Zum Einsatz kommen die Lignatur-Elemente zum einen im Bereich öffentlicher Bauten wie Schulen, Kindergärten oder Bäder, zu ei­nem geringeren Teil im Gewerbebau, zum anderen im Wohnungsbau.
45-Zentimeter-Vollholz­wand aus dem Allgäu
Vertraut soll das Haus sein und doch nicht dem des Nachbarn gleichen, individuell, doch nicht exzentrisch. Auf das richtige Maß, auf Vermittlung kommt es an, und es liegt auf der Hand, die Variationen des Typus „Haus“ auszuspielen. Doch welchen Typus genau? Dem ging vor gut einem Jahrzehnt ein Wettbewerb nach, mit der Frage, wie ein „Allgäu-Haus“ aussehen könnte. Einer der Preisträger war das junge Büro Noichl & Blüml aus Oberstdorf. Sieben Jahre gingen ins Land, bis der erste Auftrag zustande kam, doch nun geht’s „wie’s Brezelbacken“. Fünf Varianten stehen mittlerweile, zwei weitere sind in Arbeit.
Um das Thema Vermittlung ging es den Architekten auch bei der Konstruktion. Sie wollten nicht mit „Spezialisten“-Bauteilen arbeiten, sondern mit „Alleskönnern“, die Raumbildung, Witterungsschutz, Lastabtragung, Wärmedämmung, ja sogar Energiegewinnung in einem erledigen – Holz war da der naheliegende Stoff. Als Glücksfall erwies sich die Kooperation mit dem experimentierfreudigen Holzbauer Konrad Jenn aus Obermaiselstein. Der konnte die Vorzüge der Vorfertigung mit jenen des handwerkli­chen Einzelstücks verbinden.
Herausgekommen ist eine Vollholzwand, ungedämmt, zusammengesetzt aus einem Dielen­zuschnitt der Abmessung 6 x 24 cm; Decken und Dach sind analog konstruiert, jedoch mit Querschnitten nach den jeweiligen statischen Erfordernissen. Den Kern des Bauteils bildet eine stehend und genutet verbaute, holzverdübelte Brettschichtwand in handhabbarer Elementgröße. Die wird auf dem Werktisch zu Wandtafeln mit sämtlichen Öffnungen addiert, beidseitig beplankt, einmal gesperrt mit demselben Profil und mit entsprechendem Hebezeug auf der Baustelle in wenigen Tagen zum fertigen Rohbau gefügt. Außen und innen erhält die Tafel auf der Baustelle die umlaufende Sichtschalung mit nochmals demselben Profil. Das Ergebnis ist eine reine Massivholzwand von ca. 45 cm, wetterfest, dicht, hinreichend gedämmt, behaglich und schön.
Handwerkliche Übung ist bei der Herstellung von Anfang an gefordert; das geübte Auge sortiert die Hölzer nach Sichtflächen und solchen für den Wandkern – so kann der Stamm bestens genutzt werden. Vermeidung von Zuschnitt ist auch der Grund für die schmale Elementbreite. Der Konstruktionsweise liegt nicht zuletzt die Auffassung zugrunde, dass bei aller Vorfertigung jedes Haus neu zugeschnitten ist, in den Worten des Meisters: „Schublade geht nicht.“

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