Festgehalten
Greifswald in den 80er Jahren
Text: Wieland, Kerstin, Berlin
Festgehalten
Greifswald in den 80er Jahren
Text: Wieland, Kerstin, Berlin
Das Haus von Robert Conrads Eltern stand im Abrissgebiet der Altstadt, er selbst wohnte hier später in illegalen Wohnungen. Mit der Kamera wollte er festhalten, was da unterging.
Greifswald liegt vor Stralsund, wenn man von Berlin aus ans Meer fährt. Die Route führt dicht am Stadtzentrum vorbei. Am Hafen fällt der Blick kurz in von Plattenbauten gesäumte Straßen, aber auch auf die Spitzen alter Kirchtürme.
Greifswald hatte kapituliert, im April 1945, und entging so der Zerstörung. Doch die Fachwerkbauten der alten Hanse- und Universitätsstadt verfielen, bis sie in den 80er Jahren in ganzen Straßenzügen abgerissen wurden. Der Fotograf Robert Conrad, Jahrgang 62, aufgewachsen in der Stadt, hat diesen Abriss abgelichtet. Seine dokumentierenden Arbeiten sind derzeit im Pommerschen Landesmuseum Greifswald zu sehen. Der Titel ist mit „Heimatkunde“ gut gewählt – Conrads Bilder werden in die geschichtlichen Zusammenhänge gesetzt, die das Geschehen erklären, aber es keinesfalls rechtfertigen.
Greifswald wurde zum Experimentierfeld, in den späten 60er Jahren. Getestet werden sollte hier, wie auch in Gotha und Bernau, der industrielle Wohnungsbau in Altstadtbereichen von Mittel- und Kleinstädten. Die über Jahre nicht gepflegte Bausubstanz galt als „verbraucht“, und zeitgleich mit dem Kernkraftwerk Lubmin entstand vor den Toren der Stadt auch ein neues Wohngebiet. Die Altstadt leerte sich. 8000 Menschen lebten kurz nach dem Krieg noch hier, 1984 waren es nur noch 2800. Dies alles lässt sich in historischen Dokumenten, Plänen Zeichnungen und Modellen lesen, bevor man den Aufnahmen gegenübersteht, die der damals gut 20-jährige Robert Conrad von seiner Nachbarschaft machte.
Das Haus seiner Eltern stand im Abrissgebiet der Altstadt, er selbst wohnte hier später in illegalen Wohnungen. Mit der Kamera wollte er festhalten, was da unterging, um es wenigstens zweidimensional zu bewahren und auch um zu sensibilisieren, für die Vergangenheit und die Individualität der Stadt. Beim Gang durch die Ausstellung taucht unweigerlich die Frage danach auf, was es bei den Greifswaldern bewirkte, hier zu leben. Die einen resignierten, wenige, besonders Jüngere, rebellierten. Den Aufnahmen der verfallenden Häuser schließen sich Porträts aus Conrads Freundeskreis an. Und damit entsteht ein Bild der Stadt in dieser Zeit. Es zeigt die Zwänge, denen sich die einen in den selbstgegebenen Programmen aussetzten, und man spürt die Bedrängnis derer, die sich dem Geschehen widersetzen wollten.
Robert Conrad studierte erst nach 1990, Kunst und Architektur, mit dem Schwerpunkt Baugeschichte und Denkmalpflege. Seit 2000 arbeitet er als Architekturfotograf. Noch immer gehört zu seinen Themen, festzuhalten, was, aus welchen Zwängen auch immer, zu verschwinden droht.
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