„Fiktion und Erinnerung lassen sich hier nicht trennen.“
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
„Fiktion und Erinnerung lassen sich hier nicht trennen.“
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
Interview mit den Filmemachern Nina Fischer und Maroan el Sani
Sie haben 2009 als Berliner Künstler für Ihre Video-Installation „Spelling Dystopia – Sayonara Hashima“ auf Hashima gedreht, als die Insel in Deutschland noch fast unbekannt war. Wie sind Sie auf den Ort aufmerksam geworden?
Maroan el Sani | Als wir 2007 als außerordentliche Professoren an die Sapporo City University gekommen sind, haben uns Kollegen von der Insel erzählt. Sie kannten unsere Arbeiten zum Palast der Republik und zur alten Bibliothek National in Paris und wussten, dass wir uns für leer stehende Orte interessieren.
Nina Fischer | Wir sind dann an die Universität Nagasaki gefahren, um Professor Goto zu treffen. Er betreibt seit Jahren Materialforschung auf Hashima, weil dort das erste Betonhochhaus Japans steht. Der jahrzentelange Zersetzungsprozess wird hier mit Wärmebildaufnahmen analysiert. Außerdem wird der Einfluss der Witterung auf den Zustand der betonierten Kaimauern untersucht, was in Japan eine wichtige Rolle spielt.
Inzwischen umrunden zwar Touristenboote Hashima, aber das Innere der Insel ist nicht öffentlich zugänglich. Wie haben Sie es geschafft, dennoch auf die Insel zu gelangen?
NF | Zum Glück haben wir Doutoku Sakamoto getroffen, der uns sehr geholfen hat. Er ist auf Hashima aufgewachsen und engagiert sich für die Aufnahme der Insel ins Unesco-Weltkulturerbe. Er hat uns zuerst als Besucher mit auf die Insel genommen und uns dann dabei unterstützt, eine offizielle Drehgenehmigung zu bekommen. So konnten wir als erste Ausländer einige Tage lang auf der Insel drehen. Über Nacht durften wir allerdings leider nicht bleiben.
Welchen Ansatz haben Sie bei Ihrem Film über Hashima verfolgt?
NF | Es geht uns um die Verschiebung im kollektiven Gedächtnis. Fragt man in Japan junge Leute zu Hashima, bekommt man den Horrorfilm „Battle Royal“ von Kinji Fukasaku nacherzählt, der dort spielt, oder Manga-Storys wie die „GetBackers“. Die wahre Geschichte der Insel ist dagegen in den Hintergrund getreten.
MeS | Der Ort ist fiktional aufgeladen, ein wenig wie in Los Angeles, wo viele Bewohner ihre eigene Stadt eher als Filmkulisse wahrnehmen.
Was ist der Grund für diese Verschiebung?
NF | Das kollektive Gedächtnis verändert sich durch die Nutzung der unterschiedlichen Medien. Das führt dazu, dass es sich von Generation zu Generation unterscheidet.
Wie setzen Sie dieses Phänomen im Film um?
NF | In unserer Installation vermischen wir auf zwei Leinwänden die reale Erinnerung von Herrn Sakamoto, der dort zur Schule gegangen ist, mit der „fiktiven“ eines Mädchens, das den Horrorfilm gesehen hat.
MeS | Wir verweben diese beiden Erzählungen. Wer vorher nichts darüber weiß, nimmt es als eine Geschichte wahr, so wie sich Fiktion und Erinnerung über die Generationen vermischen. Man kann es nicht auseinanderhalten.
Warum die düstere Stimmung des Films?
NF | Hashima hat eine düstere Vergangenheit: die Zwangsarbeiter, die während des Kriegs in den Minen arbeiteten. Das wurde erst mündlich und dann in Romanen erzählt, später zu Schauergeschichten weiterentwickelt, und schließlich ist das düstere Gefühl in thrillerartige Mangas und Gruselfilme übersetzt worden.
MeS | Die Insel ist ein Symbol. Dass ein privilegierter Ort wie Hashima ein so jähes Ende nehmen konnte, war ein gesellschaftlicher Schock, ein böses Omen, das bis heute nachwirkt, als Menetekel für ganz Japan.
Wie sehen Sie die Zukunft der Insel?
NF | In Deutschland hätte man sicher längst ein Museum daraus gemacht. Die Unesco-Pläne gehen in dieses Richtung, aber wofür stünde das Denkmal? Für das Industriezeitalter in Japan?
MeS | Andererseits ist Hashima ein im schnellebigen Japan sehr seltener Ort, wo man an seine Kindheit zurückkehren kann. Herr Sakamoto zum Beispiel hat uns stolz sein Englisch-Heft gezeigt, das noch im alten Lehrerzimmer liegt. Für die Unesco mag das nicht so wichtig sein, umso mehr aber für die Bevölkerung.
Ist Ihre Arbeit in diesem Kontext auch ein Statement für die Erhaltung des Ortes?
MeS | Wir setzen mit allen unseren Arbeiten an der Spannung des „Dazwischen“ an, wenn etwas Großartiges entstehen könnte, aber auch ein totales Desaster. Aber wir plädieren nicht grundsätzlich dafür, alte Dinge zu erhalten.
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