Bauwelt

Gebaute Gesellschaftskritik

Wang Shu erhält den Pritzker-Preis 2012

Text: Wang, Wilfried, Berlin

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Wang Shu und seine Partnerin Lu Wenyu
© Amateur Architecture Studio; Lu Hengzhong

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Wang Shu und seine Partnerin Lu Wenyu

© Amateur Architecture Studio; Lu Hengzhong


Gebaute Gesellschaftskritik

Wang Shu erhält den Pritzker-Preis 2012

Text: Wang, Wilfried, Berlin

Der Preisträger reagierte erstaunt: Er sei ja noch so jung. Tatsächlich ist der chinesische Architekt Wang Shu mit 48 Jahren einer der jüngsten unter den Pritzker-Preisträgern. Manch älterem Hoffenden mag diese Wahl einen schmerzhaften Seitenhieb verpasst haben.
Steven Holl und David Chipperfield stehen seit Jahren auf der Anwärterliste. Sollte die Altersgrenze also heruntergesetzt worden sein, müsste mancher Architekt seine Hoffnungen auf den Preis begraben.
Warum also Wang Shu? Seit 1997 führt er mit seiner Frau Lu Wenyu ein Büro mit dem manifestartigen Namen „Amateur Architecture Studio“ in Hang­zhou. Die Haltung des Büros ist so eindeutig, dass es verwundert, wie oberflächlich die Pritzker-Laudatio damit umgeht. Es hat fast den Anschein, als würde man sie absichtlich nicht benennen, aus Angst, das könne einen diplomatischen Eklat zwischen den USA und China provozieren.
Altmeisterlicher Handwerker
Amateur Architecture Studio spricht sich dezidiert gegen die geschichtslose und menschenverachtende, globale industrialisierte Bauweise aus, die im Bauboom der letzten Jahrzehnte auch von China übernommen wurde. Dieser Bauweise setzte das Büroin seinen frühen Jahren handwerkliche Konstruktionen aus wiederverwendeten Baumaterialien entgegen, die Kraft ihrer Patina von der Spur des Menschen im Werk sprechen. (Bibliothek des Wenzheng-College in Suzhou, Bauwelt 35.01, Ningbo History Museum, Bauwelt 37.09). Es ist auch das aus der Mode gefallene alte Handwerk, auf das Wang Shu und Lu Wenyu setzen.
Sieht man sich um in der Welt, so wird deutlich, wie die aalglatten, fassadenbündigen modernistischen Träume zum Leitbild des globalen Bauens geworden sind. In den 80er Jahren kam dieses Leitbild in China an; mittlerweile hat es sich auch hier verselbständigt. Und so wirkt die Wahl Wang Shus zum Pritzker-Preisträger wie die jährliche Vergabe des Friedensnobelpreises: Ein beschwichtigender Tropfen für das schlechte Gewissen im Ozean der belanglosen Formen.
Ja, Wang Shu, der altmeisterliche Handwerker. Anlässlich der Übergabe des Schelling Architekturpreises an Wang Shu und seine Partnerin Lu Wenyu im November 2010 machten die beiden klar, dass ihre Kritik global adressiert ist.

In der Reihe der Gelehrten
Als Dekan der Architekturfakultät der Chinesischen Akademie der Künste in Hangzhou, der Elite-Kunsthochschule Chinas, die sich an dem kulturträchtigen Ort Chinas befindet, begnügt sich Wang Shu nicht damit, seine Kritik zu bauen, er setzt sich auch mit den chinesischen Künsten auseinander, mit der Kalligrafie und Etymologie, der Poesie und Malerei, der Gartenbaukunst und Landschaftsarchitektur. Er sieht sich, so wie seine von ihm geschätzten Vorgänger, im Stand der Gelehrten. Ein Stand, der nicht nur bis  zur kommunistischen Revolution, sondern auch bis zur Kulturrevolution der gesellschaftliche angesehenste in China war. Erst nach ihm kamen die Mandarine, das Militär, die Geschäftsleute, die Bauern.
Wang Shu ist Kalligraph. Täglich zieht er mehrfach die Schriftzeichen eines Gedichts aus dem 12. Jahrhundert, verfasst von einem seiner Vorbilder, nach. Ja, er kopiert es oder versucht es zumindest. Es ist eine tägliche Anmaßung und Selbstdemütigung zugleich. Manches Zeichen gelingt, doch das Ganze ist noch nicht annähernd das, was das Original darstellt. Aber genau diese penible Auseinandersetzung mit einem hochgeschätzen Meisterwerk kennzeichnet Wang Shus kulturelle Ambitionen, die Rückbesinnung auf traditionelle chinesische Kulturwerte. Sie gilt in China, wie die Wiederverwendung von Baumaterialien, als Grundlage aller neuen Gedanken und Formen. Ohne die Beherrschung der alten Künste und des alten Handwerks entstehen keine neuen, keine eigenen, der Zeit gemäßen Inhalte und Formen. Die Idee der Kopie, durch die westliche Moderne seit der Aufklärung in Kunstkreisen „verboten“, ist die Grundlage des geduldigen Lernens, des Aneignens der Tradition und des Verstehens der Geschichte.
Die Bauten von Amateur Architecture Studio sind daher eine gebaute Kritik an allem, was durch die rationalisierte Aufklärung im Sinne von Adorno und Horkheimer falsch gelaufen ist. Und das ist so ziemlich alles: von der Stadtplanung bis zum Starkult in der Architektur, von der Agri-Pharmaindustrie bis hin zu den zentralistischen Energie- und Machtstrukturen. Weltweit.
Die Wahl Wang Shus stellt vermutlich aber keine fundamentale Richtungsänderung des Pritzker Preis-Kommitees dar. Wäre das der Fall, wäre der Seitenhieb für all die hoffenden Anwärter doppelt schmerzlich. Welches Architektenwerk sonst verkörpert eine derartige Synthese von Herkunftswurzeln, hinscheidendem Handwerk und zeitgemäßen, zurückhaltenden Formen?
Fakten
Architekten Wang, Shu, Beijing
aus Bauwelt 12.2012
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