Heimatarchitektur, die sich der Geschichte stellt
Zum Tod von Günther Domenig (1934–2012)
Text: Rudhof, Bettina, Frankfurt a.M.
Heimatarchitektur, die sich der Geschichte stellt
Zum Tod von Günther Domenig (1934–2012)
Text: Rudhof, Bettina, Frankfurt a.M.
Günther Domenigs Opus Magnum, das "Steinhaus" am Ossiacher See, an dem der Architekt fast dreißig Jahre lang plante und baute, steht programmatisch für seine Baukunst und die dekonstruktivistische Architektur.
Am 15. Juni ist Günther Domenig kurz vor seinem 78. Geburtstag in Graz gestorben. Graz ist der Ort, in dem er studiert, mehrere Gebäude errichtet und ab 1980 Architektur gelehrt hat. Nach diesem Ort ist auch die „Schule“ von Architekten benannt, die mit Domenigs Gebäuden einige ihrer eindrücklichsten Werke fand: die Grazer Schule. Seine Architektur ist allerdings gleich für mehrere Strömungen zeitgenössischen Bauens, insbesondere für den Dekonstruktivismus, richtungsweisend geworden. Die meisten seiner Bauten sind öffentliche Gebäude, zu den bekanntesten zählt das Dokumentationszentrum auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (Bauwelt 42–43.2001).
Bekannter noch ist das Haus, das er für sich selbst gebaut hat, das „Steinhaus“ in Steindorf am Ossiacher See. Die Einweihung nach über zwanzigjähriger Bauzeit wurde ein internationales Ereignis; sie folgte mit einem Jahr Abstand auf die Eröffnung der Ausstellung, mit der das Wiener Museum für Angewandte Kunst 2007 sein grafisches Werk ehrte.
In dieser Ausstellung war auch jene erste programmatische Skizze aus dem Jahr 1980 zu sehen, in der Domenig den Entwurf des Steinhauses aus der kunstvollen Zerlegung eines traditionellen Bauernhauses in drei ungleiche Teile entwickelte. Mit ihr, wie mit zahlreichen folgenden Skizzen, vergewisserte er sich der Geometrie des geplanten Wohnhauses und hoffte, mit diesem Bau den „Weg zu einer Heimatarchitektur zu finden, die sich der Geschichte stellen und sich deshalb der Verlogenheit einer Scheinheimatarchitektur entziehen“ würde. Dazu gehört, dass Ort und Haus auch seiner Lebensgeschichte verbunden sind: Domenig ist hier geboren, hat das Grundstück von seiner Großmutter geerbt und den mehr als vier Millionen Euro teuren Bau auch durch den Verkauf weiterer von ihr ererbter Grundstücke finanziert. Im spiralförmigen Zentrum des Hauses gräbt sich ein gläserner Zylinder bis zum Grundwasser, wo seine symbolische Quelle, gleichsam sein Herz liegt: Nach Domenigs Wunsch sollte hier die Urne der Großmutter beigesetzt werden. Von dort ragt ein langer geschwungener Stab zum Nachbarort Feldkirchen, in dem sie wohnte.
Heimelig wirkt das Haus allerdings nicht – seltsam zergliedert, ruppig, mit scharf konturierten Wandscheiben aus Sichtbeton. Es staffelt sich in vier ungleich platzierten, durch Treppen, Brücken und Stege erschlossenen, „Schwebesteine“ genannten Bauteilen in die Höhe und kragt zugleich in die Horizontale aus. Ein großer Glaskubus neigt sich sperrig dem Besucher entgegen, ihm wurde eine durch Stahlbetonstützen und Strebepfeiler gegliederte Blendfassade vorangestellt. Wie ein Betonfinger weist der „hohe Weg“ zum See, von ihm leitet eine Treppe nach unten auf einen Pfad zum Ufer, wo ein gewundener Holzsteg schließlich ans Wasser führt. In südwestlicher Richtung haben helmartige Kanzeln ihre stählernen Visiere wehrhaft herunter geklappt, geben durch verglaste Schlitze Blicke auf Wald, See und Gebirgslandschaft frei und verstärken mit ihrem technoiden Material und der Anspielung auf Cockpit und Tower noch einmal den Eindruck einer maschinenästethischen (De-)Komposition.
Heimatarchitektur ist das Steinhaus trotzdem: In seinen Volumen und Formen auf die zerklüfteten Berge hinter ihm bezogen, verweist es gerade im Widerspruch zur pittoresken Urlaubslandschaft auf seine Umgebung und behauptet sich ausdrücklich als ein im radikalen Sinn ortsgebundenes Haus. Zum Bezug auf die Geschichte tritt der Bezug auf die sie mitbestimmenden eruptiven Kräfte der Natur. Ihnen entspricht das architektonische Artefakt durch die Dynamik seiner Zerklüftung, erweist sich so als in die Gebirgslandschaft hinein- und ihr zugleich entgegengestellt: Aus ihr herausgebrochen und dabei aus den Fugen geraten, artikuliert es mit scharfen Kanten und zustoßenden Spitzen die Auflösung des statischen Verhältnisses von Stützen und Lasten. Programmatisch für die Baukunst Domenigs und die dekonstruktivistische Architektur, ist das Haus in seinem Pathos zugleich ein spätexpressionistisches Meisterwerk, fasst den „Ausbruch der Seele“ (Theodor Däubler) in architektonische Gestalt und dokumentiert so die Bindung seines Erbauers an die „Wahrhaftigkeit der Architektur“.
Bekannter noch ist das Haus, das er für sich selbst gebaut hat, das „Steinhaus“ in Steindorf am Ossiacher See. Die Einweihung nach über zwanzigjähriger Bauzeit wurde ein internationales Ereignis; sie folgte mit einem Jahr Abstand auf die Eröffnung der Ausstellung, mit der das Wiener Museum für Angewandte Kunst 2007 sein grafisches Werk ehrte.
In dieser Ausstellung war auch jene erste programmatische Skizze aus dem Jahr 1980 zu sehen, in der Domenig den Entwurf des Steinhauses aus der kunstvollen Zerlegung eines traditionellen Bauernhauses in drei ungleiche Teile entwickelte. Mit ihr, wie mit zahlreichen folgenden Skizzen, vergewisserte er sich der Geometrie des geplanten Wohnhauses und hoffte, mit diesem Bau den „Weg zu einer Heimatarchitektur zu finden, die sich der Geschichte stellen und sich deshalb der Verlogenheit einer Scheinheimatarchitektur entziehen“ würde. Dazu gehört, dass Ort und Haus auch seiner Lebensgeschichte verbunden sind: Domenig ist hier geboren, hat das Grundstück von seiner Großmutter geerbt und den mehr als vier Millionen Euro teuren Bau auch durch den Verkauf weiterer von ihr ererbter Grundstücke finanziert. Im spiralförmigen Zentrum des Hauses gräbt sich ein gläserner Zylinder bis zum Grundwasser, wo seine symbolische Quelle, gleichsam sein Herz liegt: Nach Domenigs Wunsch sollte hier die Urne der Großmutter beigesetzt werden. Von dort ragt ein langer geschwungener Stab zum Nachbarort Feldkirchen, in dem sie wohnte.
Heimelig wirkt das Haus allerdings nicht – seltsam zergliedert, ruppig, mit scharf konturierten Wandscheiben aus Sichtbeton. Es staffelt sich in vier ungleich platzierten, durch Treppen, Brücken und Stege erschlossenen, „Schwebesteine“ genannten Bauteilen in die Höhe und kragt zugleich in die Horizontale aus. Ein großer Glaskubus neigt sich sperrig dem Besucher entgegen, ihm wurde eine durch Stahlbetonstützen und Strebepfeiler gegliederte Blendfassade vorangestellt. Wie ein Betonfinger weist der „hohe Weg“ zum See, von ihm leitet eine Treppe nach unten auf einen Pfad zum Ufer, wo ein gewundener Holzsteg schließlich ans Wasser führt. In südwestlicher Richtung haben helmartige Kanzeln ihre stählernen Visiere wehrhaft herunter geklappt, geben durch verglaste Schlitze Blicke auf Wald, See und Gebirgslandschaft frei und verstärken mit ihrem technoiden Material und der Anspielung auf Cockpit und Tower noch einmal den Eindruck einer maschinenästethischen (De-)Komposition.
Heimatarchitektur ist das Steinhaus trotzdem: In seinen Volumen und Formen auf die zerklüfteten Berge hinter ihm bezogen, verweist es gerade im Widerspruch zur pittoresken Urlaubslandschaft auf seine Umgebung und behauptet sich ausdrücklich als ein im radikalen Sinn ortsgebundenes Haus. Zum Bezug auf die Geschichte tritt der Bezug auf die sie mitbestimmenden eruptiven Kräfte der Natur. Ihnen entspricht das architektonische Artefakt durch die Dynamik seiner Zerklüftung, erweist sich so als in die Gebirgslandschaft hinein- und ihr zugleich entgegengestellt: Aus ihr herausgebrochen und dabei aus den Fugen geraten, artikuliert es mit scharfen Kanten und zustoßenden Spitzen die Auflösung des statischen Verhältnisses von Stützen und Lasten. Programmatisch für die Baukunst Domenigs und die dekonstruktivistische Architektur, ist das Haus in seinem Pathos zugleich ein spätexpressionistisches Meisterwerk, fasst den „Ausbruch der Seele“ (Theodor Däubler) in architektonische Gestalt und dokumentiert so die Bindung seines Erbauers an die „Wahrhaftigkeit der Architektur“.
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