How architecture grows
Junya Ishigami im deSingel in Antwerpen
Text: Kasiske, Michael, Berlin
How architecture grows
Junya Ishigami im deSingel in Antwerpen
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Sein unlängst gezeigtes Atelier lässt keinen Bezug zur Außenwelt erkennen. Die Tische stehen in Reih und Glied, das Weiß der Wände und der Decken lässt alle Strukturen zur einer Oberfläche verschmelzen (Bauwelt 44.12).
Wo kein Pavillon zu Wandzeichnungen reizt, wie bei der Biennale 2010, oder die Statik sich in hunderten von Stützen manifestiert, wie bei seinem KAIT-Workshop-Building (42.08), bleibt Junya Ishigami abstrakt. So hält es der wohl prominenteste Nachwuchsarchitekt auch mit seiner ersten monografischen Ausstellung in Europa, die im Antwerpener Kunstzentrum deSingel präsentiert wird. Sie wurde von der Shiseido Gallery aus Tokio übernommen (14.11).
Durch ein Fenster kann der Besucher einen ersten Blick in den makellosen Ausstellungsraum werfen. Darin acht lange Tische, auf denen fragile Modelle aufgereiht sind. Also, Schuhe ausgezogen und hinein in die rundherum weiße Höhle, in der sich der Kosmos des 39-jährigen Japaners eröffnet. Dabei geht es vordergründig weder um Gebautes noch um Geplantes: Die Exponate sind Denk- und Studienmodelle, die mit einem frappierenden Sinn für Details ausgeführt wurden.
Das Konzept „Wald und Stadt“ etwa beruht auf der Idee, eine Stadt mit großen Bäumen gleichsam zu „verwalden“, sodass urbaner Raum als „Lücke“ zwischen verdichteten Baumgruppen verbleibt. Die Modellbäume bestehen aus übereinander geschichteten, penibel ausgeschnittenen Scheiben, ihr Volumen unterstreicht die Vorstellung von ungebremstem Wachstum.
Eine andere Raumphantasie ist im Modell eines halbierten Bergs dargestellt; der weiße Gips birgt eine schwarz eingefärbte Höhle. „Das ist ein Planetarium, in dessen Finsternis tagsüber die Sterne zu sehen sind, die sich auf der im Dunkel liegenden Seite der Erde zeigen,“ schreibt Ishigami, „nachts bilden In- nen und Außen eine zusammenhängende Landschaft.“
Die überlagernde Lesbarkeit von Innen- und Außenraum bei Tag und Nacht charakterisiert seine Bauwerke. Da die Landschaft Japans ohnehin vollkommen kultiviert ist, stellen das Gebaute und die Natur gleichermaßen Artefakte dar. Dafür steht das bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Modell „Big House“, in dem Ishigami von der Vorstellung beflügelt ist, ein Stück der Erde mitsamt Klima zwischen vier Wände bannen zu können, wenn diese ausreichend dimensioniert wären. Durch das KAIT-Workshop-Building, wünschte er, solle man sich bewe-gen, „als liefe man durch einen Wald, in dem das Sonnenlicht gefiltert wird“.
Die Besucher der Ausstellung in Antwerpen hingegen bewegen sich wie in einer Art Prozession entlang von 56 Modellen, die ästhetisch beeindrucken, freilich nur durch die Begleittexte verständlich werden. Den Abschluss bildet ein runder Tisch in der Mitte eines separaten Raums, auf dem winzige Miniaturblumen wie Schmuckstücke liegen. Diese Apotheose nennt Ishigami charmant „Little Garden“.
Ob solcherlei Konzeptmodelle oder ob Gebau-tes, in seinen Arbeiten kultiviert er das Spielerische und Literarische mit Akribie. Deshalb erwartete man im vergangenen Jahr viel von Ishigamis Beitrag zum Audi Urban Future Award: Sein Konzept sah das Implementieren alternativer Transportmöglichkeiten vor, die er aus der kleinteiligen Morphologie der „Stadtlandschaft“ Tokio ableiten wollte. Leider sagte er nach der ersten Präsentation die Teilnahme ab – wegen der zu kurzen Bearbeitungszeit.
Mit „How small? How vast? How architecture grows“ (v)erklärt Ishigami die Entstehung seiner „abstrakten Architektur“ aus der Natur. Das mag im blendenden Weiß der Ausstellung befremden, doch die in den Modellen sichtbaren Korrelationen lassen diese Wurzel seiner Arbeiten deutlich werden.
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