In Zeiten der Energiewende
Sind unsere historischen Kulturlandschaften bedroht?
Text: Friedrich, Jan, Berlin
In Zeiten der Energiewende
Sind unsere historischen Kulturlandschaften bedroht?
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Die Denkmalpflege hat stets einen schweren Stand, wenn es zum Streit über Eingriffe ins Umfeld eines Denkmals kommt. Sie wird vielleicht argumentieren, der geplante Eingriff störe die Geltung des Denkmals im Stadtbild.
Die Befürworter des Eingriffs werden erwidern, das Stadtbild sei aber nicht geschützt, nur das Denkmal selbst, und dessen Substanz werde ja nicht angetastet. Wie solche Konflikte meist ausgehen, insbesondere wenn wirtschaftliche Interessen Regie führen, ist bekannt.
Mit zunehmender Distanz zwischen Eingriff und Denkmal wird die Sache für den Denkmalschutz immer heikler. Wenn etwa historische Sichtachsen verstellt werden oder wenn der Landschaft in der weiteren Umgebung des Denkmals Verunstaltung droht. Der Bau eines Windparks, dessen Türme und Rotoren, je nach Beschaffenheit der Topografie, kilometerweit zu sehen sind, kann ein solcher Eingriff sein. Im sogenannten Greifswalder Appell hat der Verband Deutscher Kunsthistoriker 2013 deshalb vor der „Bedrohung der historischen Kulturlandschaften durch die Energiewende“ gewarnt. Zehntausende Denkmale in Deutschland würden durch die Errichtung neuer Windkraft- und Photovoltaikanlagen „in ihrem Wirkungsraum beeinträchtigt“.
So war es sicher kein Zufall, dass die diesjährige Pressefahrt des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz unter dem Motto „Energielandschaften. Von der Kulturlandschaft zur Technolandschaft?“ stand. Alljährlich organisiert das Komitee eine solche Tour, auf der Journalisten Themen nahegebracht werden, die der Denkmalpflege unter den Nägeln brennen. Mitveranstalter war in diesem Jahr das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Sachsen-Anhalt ist das Land mit der größten Dichte an Denkmalen in Deutschland, gleichzeitig ist es traditionell von der Energiewirtschaft geprägt. Bis heute wird dort Braunkohle abgebaut, längst hat man sich aber auch eine führende Position bei der Windenergie erarbeitet. Mehr als die Hälfte seines Nettostrombedarfs deckt Sachsen-Anhalt über Windkraft. Die neue Hochspannungstrasse, die Strom aus dem windreichen Norden in den Süden transportieren soll, wird ebenfalls durch das Land führen. Eine Gegend mit reichlich Konfliktstoff im Sinne des Greifswalder Appells also.
Enthauptete Fledermäuse, kastrierte Denkmale
Vor der Doppelkapelle Landsberg, auf dem Belvedere von Schloss Wörlitz, im Pfahlkreis des Sonnenobservatoriums bei Goseck, auf der Terrasse von Schloss Goseck – an vielen Stationen der Fahrt wurde deutlich, wie weich die Argumente sind, mit denen die Denkmalpflege hantieren muss, weil sie interpretierbar sind. Sehen kann sie selbstverständlich jeder, die mal größere, mal kleinere Versammlung von Windrädern in der Ferne; ob er sie aber auch als Störung der Denkmal-Landschaft empfindet, das liegt in vielen Fällen im Auge des Betrachters.
Die Denkmalpfleger betonen, sie seien keinesfalls gegen Windkraft, es gehe um die richtigen Standorte dafür. Doch bei der Suche danach würden die Belange des Denkmalschutzes im Gerangel der Interessen zu wenig wahrgenommen. Sie wäre schon froh, sagt die Landeskonservatorin von Sachsen-Anhalt, Ulrike Wendland, wenn der Denkmalschutz dasselbe Gehör fände wie der Umweltschutz. Vermutlich ist die handfeste Not von Fledermäusen, denen die Enthauptung in Windrad-Rotoren droht, für die meisten Politiker, Juristen und Bürgerinitiativen einfach leichter zu verstehen als die Idee vom beeinträchtigten Wirkungsraum eines Kulturdenkmals.
Eine Gestaltungsaufgabe!
Ob man die Vorbehalte der Denkmalpflege in jedem Fall teilt oder nicht – die Tour ließ eine schon länger gehegte Vermutung Gewissheit werden: Bisher hat niemand an verantwortlicher Stelle die Energiewende als Gestaltungsaufgabe begriffen. Eine klassische Mission für Landschaftsplaner und Architekten! Die würden vielleicht auf den Gedanken kommen, die Windräder in Sichtweite des Unesco-Welterbes Gartenreich Dessau-Wörlitz alle in einer Achse des Parks zu versammeln. Diese Weiterführung des Gartenkonzepts hätte auch dessen Schöpfer, Fürst Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817), begeistert. Der war besessen von technischen Innovationen. Und warum nicht die Sichtbeziehung zwischen zwei Burgen, deren Herren sich das gesamte Mittelalter hindurch bis aufs Messer bekriegt haben, mit einem Spalier aus Windrädern unterstreichen?
Vielleicht steht so die Energiewende in hundert Jahren erneut auf der Agenda der Denkmalpflege. Sie wird dann darum kämpfen, aufgegebene Windparks als „herausragende Zeugen der Lösung der Energiefrage am Beginn des 21. Jahrhunderts“ zu erhalten.
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