Karg, rein, puritanisch
Fotos von Walker Evans im Martin-Gropius-Bau
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Karg, rein, puritanisch
Fotos von Walker Evans im Martin-Gropius-Bau
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Er wolle so fotografieren, wie James Joyce schreibt, hat der große amerikanische Fotograf Walker Evans (1903–1975) einmal gesagt. Damit meinte Evans nicht die Arroganz, die der Ire seinen Kollegen entgegenbrachte, sondern dessen freien Geist und seine ungeschönte Sprache für Umstände, wie sie eben sind.
Während die literarischen Wälzer von Joyce zu den wohl prominentesten ungelesenen Werken der Weltliteratur avancierten, zählen einige Bildserien von Walker Evans zu den populärsten und meistveröffentlichten Ikonen der Fotografiegeschichte.
Am bekanntesten ist das rund 200.000 Aufnahmen umfassende Konvolut, das Evans nach der Weltwirtschaftskrise 1929 im Auftrag der staatlichen Farm Security Administration (FSA) erstellte. Es gilt seither als visuelles Synonym der ökonomischen Schieflage Amerikas. Evans hielt die ärmlichen Le-bensverhältnisse der Landarbeiter und Kleinpächter, Handwerker und Bergleute im Süden der USA um 1935 fest – das soziale und wirtschaftliche Elend ei-nes abgehängten Teils der weißen Bevölkerung. Präsident Roosevelt wollte mit dieser monumenta-len, sozialdokumentarischen Bestandsaufnahme das gegenseitige Verständnis unterschiedlicher Gesellschaftsschichten fördern und seine Interventionspolitik des New Deal stützen. Walker Evans verbat sich aber bereits bei Vertragsabschluss die propagandistische Instrumentalisierung seiner Arbeit. Ihm lag allein an der reinen Aufzeichnung durch einen unabhängigen Fotografen: „No politics whatever.“
Architektur wie menschliche Porträts
Im Martin-Gropius-Bau in Berlin wird nun die 50 Jahre umspannende Karriere von Walker Evans dargeboten: über 200 Vintage Prints von 1928 bis 1974, gegliedert in neun thematische, nicht zwangsläufig chronologische Kapitel, aufgeteilt auf vier Säle, dazu Zeitschriften und ein 12-Minuten-Film aus Kuba. Auch Unbekanntes ist dabei, etwa eine botanische Studie von 1929 zu Gladiolen, die Evans’ Vater in seinem Garten in Connecticut züchtete. In einheitlich strengem Hochformat sind Aufnahmen einzelner Blütenrispen vor neutralem Hintergrund wie eine systematische Inventarisierung angelegt. Diese betont sachliche Technik wiederholt sich in späteren Auftragsarbeiten, so bei der Dokumentation von 600 afrikanischen Skulpturen einer Ausstellung im New Yorker MoMA 1935 oder bei bildjournalistischen Themen wie Beauties of the Common Tools (1955), sorgfältig präsentierte alltägliche Kleinwerkzeuge.
Seine Bildsprache – er selbst definierte sie als dokumentarisch – führte Evans auch zur Architekturfotografie. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch sein Lebenswerk, als Auftrag oder als Nebenpro-dukt, etwa während Besuchen bei Freunden. Ab 1931 entstand eine Bestandsaufnahme der vom Verfall bedrohten viktorianischen Architektur der Neuenglandstaaten. Erstmals kam eine Großbildkamera zum Einsatz. Evans nutzte ihre technischen Möglichkei-ten aber nicht zur abstrahierenden, gar dramatischen Inszenierung. Die in mildem Seitenlicht meist klassisch frontal angelegten Architekturtypologien erscheinen vielmehr wie menschliche Porträts, wie der feine Nachhall eines erodierenden Lebensgefühls.
39 dieser Architekturaufnahmen hielten neben 40 Fotos der FSA-Serien 1938 Einzug ins MoMA. Walker Evans’ Einzelausstellung war die erste Fotografiepräsentation des Hauses überhaupt. Unter dem Titel American Photographs ging es ihm um eine Standortbestimmung – individuell wie national. Er verortete sich jenseits der aktuellen, das journalistische Tagesgeschäft illustrierenden Dokumentarfotografie und einer damals noch einflussreichen künstlerischen Lichtbildnerei. Aus seiner Beobachtung der Alltagskultur erwuchs ein Zeitverständnis, das sich nicht aus großen Persönlichkeiten und he-roischen Ereignissen bestimmt. Evans entdeckte inmitten der Armut und des Verfalls ein Arbeitsethos und Werte, die denen etablierter Bevölkerungsschichten überlegen schienen. Gleichwohl beharrte er auf seiner mitunter ironischen Distanz zu dieser ihm fremden Welt, knüpfte Kontakte nur über die Kamera, manchmal gar mit dem diskreten Winkelsucher – karg, rein, puritanisch und ohne soziale Empathie.
Angedeutet durch Abwesenheit
Evans blieb seinen Themen zeitlebens treu, der menschlichen Arbeit, der Stadt, seiner Liebe zu Amerika. Er fotografierte Denkmäler und Werbetafeln, Geschäftsauslagen, ganze Industriekomplexe, das Flüchtige wie das Profane gleichermaßen. Menschen werden mitunter durch ihre Abwesenheit angedeutet, hier seinem großen Vorbild Eugène Atget folgend. Seinerseits beeinflusste Evans wiederum junge Fotografen wie Robert Frank, der in den 50er Jahren aus der Schweiz in die USA kam und dort ungeschönt die zeitgenössische Zivilisation ablichtete. Evans frühe Versuche mit Polaroids ebneten den Weg in die bis dahin als gewerblich verpönte Farbfotografie, William Eggleston wendete sie im trivialen Alltag der Südstaaten an. Das MoMA widmete Evans 1971 eine neuerliche Personale. Kurz vor seinem Tod verkaufte er seine Abzüge. Dem Sammlerehepaar Joan und Clark Worswick ist es wesentlich zu verdanken, dass das Lebenswerk von Walker Evans in der nun gezeigten Komplexität erhalten ist.
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