Kommende Raumverteilungskämpfe
Ressourceful-Cities-Konferenz in Berlin
Text: Kockelkorn, Anne, Zürich
Kommende Raumverteilungskämpfe
Ressourceful-Cities-Konferenz in Berlin
Text: Kockelkorn, Anne, Zürich
Reden Entwerfer und kritische Stadtforscher über „Stadt“, meinen sie unterschiedliche Dinge. Entwerfer verhandeln über gebaute Räume, Stadtforscher interessieren sich für soziale Prozesse.
Dennoch bot die diesjährige Konferenz des Research Commitee 21 auch Architekten einen aufschlussreichen Blick hinter die Kulissen der Stadtproduktion. Das 1970 gegründete akademische Netzwerk, Teil der International Sociological Association (ISA), greift inzwischen weit über die Grenzen der Stadtsoziologie hinaus.
Bei mehr als siebzig Vortrags- und Debattenrunden gestaltete sich die Teilnahme für die etwa 550 Tagungsgäste allerdings zu einer Herausforderung. Das Programmheft, mit dem Geografen, Ethnologen, Kultur- und Politikwissenschaftler suchend über den Campus der Berliner Humboldt-Universität liefen, war so übersichtlich wie der Stadtplan von Tokio; und manche Sitzung ähnelte der Anzeigetafel von Großflughäfen, in denen im Zwanzig-Minuten-Takt Papers mit Fallbeispielen aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt vorbeirauschten. Doch Ausharren lohnte sich, denn die zentralen Fragen der „Ressourceful Cities“ betitelten Konferenz sind, politisch brisant, auch nicht einfach zu beantworten: Wer wird in den nächsten Jahrzehnten über städtische Räume verfügen? Und wie lassen sich diese Verteilungsprozesse beschreiben und konzeptualisieren?
Bei der Ermittlung von direkten und indirekten Folgen beschleunigter Kapitalisierungsprozesse tauchten erstaunlich viele Fallbeispiele des sogenannten „Urban Renewal“ auf. Das Prinzip, nach dem die Akteure der politischen Ökonomie ins Zentrum investieren und dafür schwächere Akteure in die Peripherie verdrängen, vollzieht sich auf globaler Ebene in vielen Schattierungen: Die Spekulation um die Zukunft von Industriebrachen veranschaulicht von Mailand bis Mumbai so unterschiedliche Themen wie Finanzkrise, Expansionsdruck, Gentrifizierung, Armut, Protest oder Partizipation. Darin tauchte ein zweites Leitmotiv auf: die Konflikte der Stadtentwicklung mit jenen, die aus politischen oder ökonomischen Gründen von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind.
Eine universelle Stadttheorie – kann es die geben?
Der Vielfalt der Fallstudien stand der große Wurf der Theorien in den Plenumsvorträgen gegenüber, in denen die Größen der Szene ihre unterschiedlichen theoretischen und politischen Haltungen darlegten – unter anderem auch deren Unvereinbarkeit. So vertrat der südafrikanische Politikwissenschaftler Jeremy Seekings die Auffassung, es könne keine sinnvolle universelle Theoriebildung geben, da diese nach wie vor fest im Griff des postkolonialen Machtgefälles stünde: Erstens sei Wissen (messbar an Publikations- und Wissenschaftlerdichte) institutionell nach wie vor an Europa und die USA gebunden, während das exponentielle Städtewachstum in Asien und Afrika stattfinde. Zweitens verfehlten verallgemeinernde Konzepte der akademischen nördlichen Hemisphäre (z.B. „Neoliberalismus“ oder „Governance“) die strukturellen Voraussetzungen des Südens, in denen das Verhältnis von Staat zum informellen Markt in so grundsätzlich anderen Kategorien gelagert sei, dass es mit den Begrifflichkeiten der Nordhalbkugel nicht zu erfassen sei. Demgegenüber vertrat der amerikanische Stadttheoretiker Neil Brenner die These, dass es eine Form der universellen Stadttheorie geben müsse: Erstens, weil die Hebel der globalen Finanzindustrie sich weltweit auf ähnliche Art und Weise manifestierten; zweitens, weil sich kapitalistische Expansionsprozesse nicht nur im Zentrum der Macht – sprich den Städten – manifestierten, sondern gleichzeitig im gesamten Rest der Welt. Die Prozesse der „planetaren Urbanisierung“ könne man nur dann verstehen, wenn man alle geografischen und politischen Räume gleichzeitig im Auge behalte.
Völlig unerwartet tauchten ausgerechnet im Panel über den Einfluss globaler Finanzakteure auf die Stadtentwicklung Überlegungen zum Handlungsspielraum von Architekten auf: Dieser Spielraum entsteht, wenn das Minutengeschäft der Finanzmärkte einen Keil zwischen die Bedürfnisse lokaler Akteure (z.B. nach öffentlich zugänglichen Plätzen, Infrastrukturen oder sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit) und den Renditeerwartungen von Aktionären treibt. Zur Realisierung von Großprojekten setzen diese bei den verantwortlichen Kommunen die Daumenschraube des Zeitdrucks an und zwingen per Vertrag zur termingerechten Bewilligung von Masterplänen. Zeitraubende Verhandlungen mit örtlichen Unternehmen oder Bürgerinitiativen sind dadurch ausgeschaltet. In diesem Moment verlagert sich die Verhandlungsebene auf das fertig lieferbare architektonische Gesamtprodukt. Als Gestalter, als Kulturträger und „Brander“ bleiben Architekten auch dann nur Dienstleister; aber sie verfügen über eine minimale Marge der Handlungsfähigkeit, um architektonische Form und sozialen Raum zusammenzudenken zu können – nach Ausschluss der Öffentlichkeit.
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