Längst fällige Wiederentdeckung
G. M. Cantacuzino in Stuttgart
Text: Baus, Ursula, Stuttgart
Längst fällige Wiederentdeckung
G. M. Cantacuzino in Stuttgart
Text: Baus, Ursula, Stuttgart
Auf einem stark vergrößerten Foto tritt dem Besucher ein eleganter Herr mit hellem Anzug, Weste und Hut entgegen. Kaum jemand dürfte ihn kennen, aber das darf nicht so bleiben.
In der Stuttgarter Weißenhofgalerie wird eine Persönlichkeit vorgestellt, die in den Baugeschichtsbüchern bisher leider fehlt: der Rumäne G. M. Cantacuzino. Die Teilung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost und West mit ideologischen Verblendungen hier wie dort hinterließ in der Architekturgeschichte – und nicht nur dort – befremdliche weiße Flecken. In der Bundesrepublik erschienen zum Beispiel erst gegen Ende der 90er Jahre einige Bücher zur Moderne in Rumänien. Nun führt uns die Ausstellung „Eine hybride Moderne“, die im Zusammenhang mit einer Dissertation von Dan Teodorovici zustande kam, zu Gheorge Matei Cantacuzino: Der 1899 in Wien geborene und 1961 im rumänischen Jassy gestorbene Architekt und Theoretiker war neben Marcel Janco und Horia Creanga vor allem in den Dreißigern eine Leitfigur der Moderne in Rumänien.
Dreisprachig erzogen, Schüler in Wien und Montreux, Student in Paris – als Sohn eines rumänischen Diplomaten erinnert sich Cantacuzino an eine glückliche Jugend, der konfliktreiche Jahrzehnte mit diktatorischen Regimes folgten. In der Ausstellung stehen seine Bauten und Zeichnungen im Vordergrund, immerhin rund siebzig von hundert Projek-ten konnte er realisieren. Eindrucksvolle Beispiele seiner integrativen Architekturauffassung sind zwei Villen in Eforie, das von einem Erdbeben zerstörte Carlton-Gebäude in Bukarest, der rumänische Pavillon auf der New Yorker Weltausstellung 1939 oder auch das Hotel Bellona in Eforie: Es sind Bauten, die auf eigenartige Weise Tradition und Moderne zu einer Einheit verbinden, in denen rigorose Schlichtheit mit ornamentaler Zier kombiniert ist und Palladianisches genauso wie Spuren von Perret, Le Corbusier oder der Wiener Szene zu erkennen sind.
Cantacuzino, der an der Beaux Arts in Paris vor allem bei dem Theoretiker Georges Gromort und dem Architekten Roger-Henri Expert studiert hatte, interessierte sich in einer bemerkenswerten Intensität für Kontinuität: „Nicht die Vielfalt der Stile hat uns beschäftigt, sondern der rote Faden, der sie verbindet. Die Durchlässigkeit der Grenzen verweist jeden Versuch einer absoluten Klassifizierung ins Reich der Illusionen; denn nicht das Besondere und das Individuelle machen das Wesentliche aus.“ Cantacuzino war kein Anhänger des International Style, sondern ein kulturbewusster Europäer; als Theoretiker war er kein Systematiker, sondern Essayist. Er war Korrespondent von L’Architecture d’aujourd’hui, gründete in Rumänien eine regimekritische Kulturzeitschrift und lehrte ab 1942 Architekturgeschichte und -theorie an der Bukarester Kunstakademie. Doch Ende der 40er Jahre geriet er ins Visier der Kommunisten, wurde in Arbeitslager und ins Gefängnis verbannt. In den 50er Jahren arbeitete er noch als Denkmalpfleger, bis man ihn – den Aristokraten, Intellektuellen und Regimegegner – 1957 entließ; bis zu seinem Tod 1960 konnte er als Diözesanbaumeister in Jassy wirken. Die Ausstellung vermittelt bestens den wechselhaften Lauf dieses europäischen Lebens und eine Spielart der Moderne, die Tradition, Ästhetik und Ethik miteinander verband.
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