Lagerinventour
Mitglieder des Bayerischen Flüchtlingsrats haben 17 Unterkünften im Freistaat einen Besuch abgestattet. Sie trafen zufriedene und verzweifelte Bewohner, engagierte Heimleiter und geschäftstüchtige Betreiber
Text: Bayerischer Flüchtlingsrat
Lagerinventour
Mitglieder des Bayerischen Flüchtlingsrats haben 17 Unterkünften im Freistaat einen Besuch abgestattet. Sie trafen zufriedene und verzweifelte Bewohner, engagierte Heimleiter und geschäftstüchtige Betreiber
Text: Bayerischer Flüchtlingsrat
Lost in Paradise
Oberpfalz, Flüchtlingslager Kastell Windsor, 9. Oktober 2014
Oberpfalz, Flüchtlingslager Kastell Windsor, 9. Oktober 2014
BAGIN – „Beherbergung ausländischer Gäste in Not“, so hat Wolfgang, der Pächter des idyllisch gelegenen ehemaligen Erholungszentrums, die Unterkunft genannt, als vor einem Jahr die Idee aufkam, man könnte hier Flüchtlinge unterbringen. 37 Asylsuchende, ausschließlich Familien, sind mittlerweile untergebracht, hier im BAGIN. Die Zimmer sind groß, zwei Familien teilen sich jeweils eine Küche, Toiletten und Duschen sind gut in Schuss. Im Erdgeschoss gibt es einen Raum mit Sofas, Fernseher, Computertisch.
Gefühlt: Vierte Klasse, Landschulheim. Alles in allem: Von wegen Hölle, Paradies! Oder doch nicht? Das Kastell Windsor liegt abseits, zwischen einigen kleinen Weilern. 29 Kilometer Richtung Wörth, 34 Kilometer Richtung Regensburg. Idyllisch eben. Zwei Mal am Tag hält ein Bus drei Kilometer entfernt vom BAGIN. Der Besuch von Beratungsstellen, Ärzten, Therapie, Freunden und Veranstaltungen erfordert tagelange Vorbereitung. Wer das Stadtleben gewöhnt ist, leidet unter Einsamkeit. Die Bewohner sagen: „This place is good for holidays, but we are not on holidays!“
Dezember 2015: Im Kastell Windsor leben 35 Personen, davon fünf alleinstehende Flüchtlinge. Zusätzlich entstand ein Jugendhaus, in welchem derzeit 20 minderjährige Flüchtlinge untergebracht sind. Familien übernehmen Patenschaften für die Flüchtlingskinder, bringen sie zum Kindergarten und begleiten die Eltern bei Behördengängen.
Hähnchenschenkel und Pommes
Oberpfalz, Flüchtlingslager Wörth an der Donau, 9. Oktober 2014
Oberpfalz, Flüchtlingslager Wörth an der Donau, 9. Oktober 2014
Ein altes Hotel, der Anblick skurril: Ein großer Gebäudekomplex in einem dunklen Beige mit einem Turm in der Mitte. Der Besitzer wirkt nervös. Er erzählt, dass er das Gebäude 2008 bei einer Zwangsversteigerung gekauft hat. Seit etwa drei Jahren verpachtet er es an das Landratsamt als dezentrale Flüchtlingsunterkunft. Auf unsere Nachfrage, wie viel er dafür pro Person im Monat erstattet bekommt, lacht er. „Das ist Geschäftssache und wird nicht verraten.“
Hier wohnen derzeit 130 Personen. „Es gibt immer Pommes“. Meist in der nahrhaften Kombination mit Hähnchenschenkeln. Hier werden die Bewohner durch eine Kantine im Haus versorgt, zweimal am Tag gibt es warmes Essen.
J. und S. zeigen uns ihr Zimmer. Es ist gerade mal geschätzte 11 Quadratmeter groß. Hier stehen zwei Betten und eine Kommode. Nebenan wohnt eine Familie aus dem Irak. Sie haben bereits ihre Anerkennung vom Bundesamt bekommen und sind auf Wohnungssuche. Und dies seit einem Jahr. Die fünfköpfige Familie findet keine Wohnung in der Umgebung.
Es ist gerade Essensausgabe. Natürlich gibt es auch Pommes. Der Koch winkt mich herein und zeigt mir stolz seinen Arbeitsplatz. Ich soll ein Foto von ihm und seiner Mitarbeiterin machen. Der Boden der Küche ist glatt vom Fett der Friteuse. Einer der Bewohner erzählt, im Schnitt kämen nur etwa 30 Personen in die Kantine. Alle anderen kochen selbst für sich und bezahlen dies aus eigener Tasche. Beim Anblick des Buffets wird mir auch klar warum: Nahrhaft und ausgewogen sieht anders aus. Hier wird massiv am Essen gespart.
Der Pächter allerdings bekommt Geld für seine Unterbringung mit „Vollpension“, bei gutem Verhandlungsgeschick können das bis zu 40 Euro pro Person und Tag sein – 1200 Euro pro Monat. Bei 130 Bewohnern macht das in einem Jahr stolze 1 872 000 Euro, da amortisiert sich die Investition schnell – ein lukratives Geschäft für den Besitzer. Aber so eklig der Gedanke ist, dass er hier mit den Flüchtlingen sein Geschäft macht, umso wütender macht es mich, dass so etwas überhaupt möglich ist.
Dezember 2015: Im Rahmen des Projekts „Deutschunterricht Wörth an der Donau & Asylnetzwerk Wörth an der Donau“ werden Deutschkurse und Veranstaltungen organisiert, die das Zusammenleben von Asylbewerbern und Bürgern verbessern sollen.
Die Halle der Ahnungslosen …
Mittelfranken, Flüchtlingslager „Höffner“, Fürth, 10. Oktober 2014
Mittelfranken, Flüchtlingslager „Höffner“, Fürth, 10. Oktober 2014
Als wir die Frankenschnellstraße verlassen, fällt uns das Gebäude sofort ins Auge. Das Möbelhaus, von sämtlichen Firmenlogos bereinigt, ragt als riesiger, weiß getünchter, fensterloser, von Bauzäunen und weißen Plastikplanen umgebener Betonwürfel vor uns auf. Das ehemalige Möbelhaus der Firma Höffner dient als Dependance der Erstaufnahmeeinrichtung Zirndorf. An der Pforte werden wir von einem blau gekleideten Sicherheitsmann in Empfang genommen und dürfen mit unserem Wohnmobil plus Begleitfahrzeug auf das Gelände. Auf dem Parkplatz erwartet uns die Fürther Sozialreferentin Elisabeth Reichert, am Personaleingang haben sich Herr Vogtherr und Frau Strauß von der Regierung von Mittelfranken und ein Herr der Sicherheitsfirma eingefunden.
Wir betreten die gigantisch-große Halle des Möbelhauses, deren vorderer Teil mit langen Reihen von Tischen und Stühlen im Stil einer Kantine bestückt ist. Der hintere Teil der Halle ist mit Bauzäunen und Plastikplanen abgetrennt, hier befinden sich die Wohnparzellen. Vor einer Absperrkordel hat sich eine kleine Gruppe eingefunden, die geduldig auf die Essensausgabe wartet. Wir nehmen an zwei zusammengeschobenen Tischen Platz und dürfen Fragen stellen. Das Möbelhaus wurde vom Besitzer kostenlos mit Mobiliar ausgestattet und im September in Betrieb genommen. Lediglich die Nebenkosten muss die Regierung Mittelfranken übernehmen. Hinzu kommen die Kosten für Sicherheitsdienst, Catering, Putzdienst und 90 Prozent der Kosten für die sozialpädagogische Betreuung. Die Nutzung ist vorerst auf ein halbes Jahr beschränkt, mit der Option auf ein halbes Jahr Verlängerung.
Das ehemalige Möbelhaus beherbergt derzeit etwa 480 Männer, Frauen und Kinder. Die Menschen werden direkt aus der Erstaufnahmestelle in Zirndorf gebracht und müssen hier ausharren, bis sie registriert sind und geklärt ist, wohin sie umverteilt werden.
Wie hat die Bevölkerung die Flüchtlingsunterkunft aufgenommen? Laut Frau Reichert war die Stimmung im benachbarten Ronhof anfangs von Angst und Unsicherheit geprägt. Die Unterkunft wurde innerhalb von zehn Tagen eingerichtet. Zur Informationsveranstaltung der Stadt Fürth kamen über 80 Leute. Es gab sehr wenige kritische Beiträge. Die Mehrheit erkundigte sich nach Unterstützungsmöglichkeiten.
Sanitäre Einrichtungen befinden sich in blauen Containern auf dem Außengelände. Mit Bauzäunen und Planen ist der Männer- vom Frauenbereich getrennt. Es gibt lediglich 12 Duschen für ca. 240 Frauen. Die mit den Bauzäunen und Planen abgetrennten Wohnparzellen sind relativ groß und mit Stockbetten ausgestattet. Die Menschen werden in Familiengruppen und Herkunftsgruppen eingeteilt, es gibt auch Frauenbereiche. Besonders auffallend ist die Geräuschkulisse. Das Neondeckenlicht, das die nahezu fensterlose Halle ausleuchtet, wird um 22 Uhr ausgeschaltet und geht um 8 Uhr wieder an. Jede Parzelle ist mit einer Steckdosenleiste ausgestattet, damit die Bewohner ihre Handys aufladen können. Wir erfahren, dass der Lärmpegel das größte Problem ist. „Immer reden irgendwelche Leute laut, oder ein Kind schreit“, sagt einer der Bewohner und klagt über die hygienischen Verhältnisse.
Es gibt zwei Sozialpädagogen der Caritas, die halbtags im Höffner-Haus arbeiten. Unterstützung erhält das Team durch eine Vielzahl ehrenamtlicher Helfer. Die Bewohner äußern sich positiv zum Personal, sie beschweren sich aber über den Umgang in der Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf. Hier jedoch wird von allen Seiten guter Wille gezeigt, um aus einer chaotischen Gesamtsituation das Beste zu machen. Dennoch kann die Unterbringung im stillgelegten Möbelhaus nur eine temporäre Notlösung sein.
Dezember 2015:Das ehemalige Möbelhaus beherbergt 800 Flüchtlinge. Die Flüchtlingshilfe Fürth hat dort eine Kleiderkammer eingerichtet. Im Rahmen der Sport- und Spielangebote entstand ein Indoor-Spielplatz. Ehrenamtliche sind als Deutschlehrer und Behördenbegleiter aktiv. Demnächst soll ein Computerraum eingerichtet werden.
Allein unter Kühen
Mittelfranken, Flüchtlingslager Hubmersberg, 10. Oktober 2014
Mittelfranken, Flüchtlingslager Hubmersberg, 10. Oktober 2014
Nachdem wir mit unserem Wohnmobil einen kleinen Hügel erklommen haben, erblicken wir den Weiler Hubmersberg. Eine Ansammlung von bäuerlich anmutenden Häusern, teilweise mit ortstypischem Fachwerk, die um eine Dorfkirche angeordnet sind. Mittendrin ein heruntergekommenes Anwesen, bestehend aus zwei Gebäuden, von denen eines irgendwann ein Gasthof gewesen sein könnte. Dahinter ein Bauernhof und eine weidende Kuhherde.
16 junge Männer und 4 Frauen leben hier. Im ehemaligen Gastraum werden wir empfangen. Es stinkt penetrant nach Kuhmist und Gülle. Von den altmodischen Lampen hängen gelbe Fliegenfallen.
Das größte Problem an Hubmersberg ist die extreme Isolation. Im gesamten Ort gibt es keinen Handyempfang und im Haus keinen Festnetzanschluss. „Was sollen wir tun, wenn wir hier einen Notfall haben?“, fragt sich eine der Frauen. „Und wenn wir einen Arzt brauchen?“ Die einzige Möglichkeit zu telefonieren besteht im Nachbarhaus, indem der ehemalige Besitzer des Gasthofes, „Herr Michael“, wohnt. Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist vier Kilometer entfernt. Ein Schulbus fährt einmal am Tag, leider zu spät für die Berufsschüler unter den Bewohnern. Zum Glück nimmt sie eine Lehrerin in ihrem Auto mit. Ansonsten müssten sie sieben Kilometer zum nächsten Bahnhof laufen.
Der Großteil möchte so schnell wie möglich weg von hier. Einige wenige haben sich mit der Situation arrangiert und genießen die Ruhe. Mir wird Ilona vorgestellt. Die 53-Jährige aus Serbien leidet unter Asthma, Herzproblemen und hohem Blutdruck und hatte vor kurzem eine schwere Operation. Ihr Sohn lebt in einem Flüchtlingslager in Pforzheim. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, zu ihrem Sohn ziehen zu dürfen. Er könnte sie unterstützen und sie wäre nicht mehr so hilflos. Sie muss Anti-Depressiva einnehmen. Sie verbringt die Tage auf einer Bank sitzend vor dem Haus. Wenn die Sonne scheint kann sie aufgrund ihres Asthmas das Haus nicht verlassen. Sie kann nicht selbst einkaufen gehen, weil sie die vier Kilometer zum Supermarkt nicht schafft. Während Ilona mir ihre Probleme schildert, wird sie immer verzweifelter und beginnt zu weinen. Plötzlich platzt es aus ihr heraus: „Hier ist tot. Das ist eine tote Welt hier”.
Dezember 2015: In der Unterkunft sind 22 Flüchtlinge untergebracht. Die Situation, Isolation und Mobilität betreffend, hat sich nicht verändert.
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