Learning from Europe
Bauwelt 100!
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Learning from Europe
Bauwelt 100!
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Ein europäischer Rundumblick zum hundertsten Geburtstag der Bauwelt: pointierte Stellungnahmen von Autoren aus 26 Ländern. Sie zeigen an jüngst realisierten Projekten auf, wohin die architektonische Reise in die Zukunft gehen kann.
Reden wir über uns. Wir haben mit Heft 1–2 zu Anfang des Jahres die Chronologie von hundert Jahren Bauwelt in Zehnerschritte zerlegt und dabei den Wandel vom Bild des Architekten nachverfolgt. Für das zweite Heft zum Jubiläum machen wir die Architektur unserer Nachbarländer zum Thema. Eine Architekturzeitschrift wie die Bauwelt ist auch eine große mentale Karte. Hier sitzt die Redaktion mit dem kritischen Blick, und irgendwo draußen entwerfen und bauen Architekten. In einem solchen Kommunikationsnetz zwischen Kritik, Architektur und Bauproduktion steckt die Kompetenz, die wir als Redaktion in eine verdichtete, lesbare Form übersetzen. Wir haben im Juli eine große Recherche bei unseren europäischen Nachbarn gestartet, auf der Suche nach vorbildlichen Projekten der letzten Jahre. 34 Autoren aus 26 Ländern wurden von uns um Stellungnahme gebeten: „Welche Bauten und welche städtebaulichen Strategien der letzten Zeit sind für die künftige Entwicklung des Landes exemplarisch?“ Kritische Rückfragen blieben nicht aus. Emmanuel Caille etwa schrieb zweifelnd zurück: „In Frankreich finden sich viele gute Projekte. Aber herausragende? Das ist schwierig!“ Ähnlich äußerten sich andere. Dann aber hat sich Caille doch entschieden, für die Sanierung der Insel von Nantes, deren Entwicklungsprozess noch im Gang ist. Sie zeigt, wie ein ganzes Quartier aus einer elenden Verfassung Stück für Stück herausgeholt wird, ohne Großprojekte und Architekturikonen, sondern auf der Basis eines intelligenten Plans.
Was für Deutschland und die Niederlande an dieser Stelle vertraut anmuten mag, ist für das zentralistische Frankreich eine risikoreiche Neuheit – und ist im Umkehrschluss auch für Länder interessant, die große Innenstadtflächen bisher „mit einem Ruck“ bebaut haben und jetzt nach neuen Wegen suchen, Stadt als Prozess zu entwickeln.
Von Varbuse, Estland, nach Nikosia, Zypern | Wir stellen die Stimmen der 34 europäischen Autoren mit ihrer Wahl und ihrem kritischen Blick in den Vordergrund. Auf zwei großen Karten haben wir die Antworten mit einem Kurzkommentar verzeichnet und nach einer Reihe von Prinzipien katalogisiert. Sie als Leser können schnell oder langsam lesen und dieses Heft vielleicht sogar als eine Art Reiseanregung hernehmen. Sechzehn Projekte werden detailliert besprochen. Sichtbar wird dabei: Die Nachkriegsmoderne ist in fast ganz Europa in freiem Fall auf dem Boden aufgeschlagen. Sie gehört heute zum zentralen Erbe, das transformiert werden muss, meist mit großer Geduld, manchmal auch mit Erfindung und Witz: wenn in Gent aus einer Industriehalle ein Park wird, wenn in Linz ein Stadtautobahntunnel mit einem provisorischen Giebelhaus überbaut wird, wenn im estischen Varbuse an die Stelle einer alten Autobahn ein Freiluft-Infrastrukturmuseum tritt, wenn in Stavanger ein Stadtplatz aus ausrangierten Erdölbehältern gebaut wird.
Außerdem wird ein langsames Zusammenwachsen der Problematiken zwischen Ost und West sichtbar. Es ist die gemeinsame Geschichte seit 1989, wo auf die erste Euphorie für mindestens zehn Jahre eine konträre Haltung folgte, in der die eine Seite kapitalistisch nachverdichtete, während sich die andere bereits die Wunden leckte und teilweise dramatisch schrumpfte. Was aber ergibt das zusammen? Ein kleiner Kontinent besinnt sich darauf, dass die Debatte über Architektur wieder die Frage nach den Verbindungen stellen muss. Der öffentliche Raum wird Teil der Architektur, nach langen Jahren, in denen er eher ein Aperçu war: Heute wird und muss er wieder als relationelles Konzept gedacht werden. Viele Beiträge in diesem Heft, von der Architektur zum Städtebau, beschreiben, wie dies geht. Dabei wird die strikte Unterscheidung zwischen „Architektur“ und „Landschaft“ hinfällig: sei es in den Innenräumen der Schulkonzepte, die als interne Landschaft gestaltet sind (Kopenhagen, Zagreb), sei es bei der öffentlichen Rampenlandschaft der Oper von Oslo.
4892 Mal | Wenn Sie die Bauwelt am heutigen Freitag in der Hand halten, werden es 4892 Hefte sein, die seit März 1910 erschienen sind. Ulrich Conrads hat zum 50. Jubiläum erstaunt angemerkt: Die Bauwelt startete damals ohne geschriebenes Programm. Sie erschien einfach. Das gilt weiter: Die Bauwelt erscheint einfach. Woche für Woche. Man kann diese Einfachheit als gespannte Neugier bezeichnen. Vieles hat sich deutlich verändert, gerade im letzten Jahr: Es gibt, seit dem 28. September, den neuen Online-Auftritt. Und es gibt seit Sommer die neue Veranstaltungsreihe Bauwelt Live, die wir im nächsten Jahr kräftig ausbauen werden, in enger Verbindung mit den Heftthemen. Dies sind zwei Elemente, die Sie selbst als Leser direkter mit uns, der Redaktion, in Verbindung setzen. Das ist uns wichtig: Sie die nächsten Jahre an der Seite zu haben.
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