Linz
Strategien für einen Elefanten der Architekturgeschichte
Text: Schnell, Angelika, Wien; Geipel, Kaye, Berlin
Linz
Strategien für einen Elefanten der Architekturgeschichte
Text: Schnell, Angelika, Wien; Geipel, Kaye, Berlin
Eine brach gefallene Industrieanlage von der Bedeutung der Tabakfabrik in Linz stellt die Planung vor die Frage, wie ein Zuviel an großartigem Raum und eher kleinteilige Nutzungen in eine architektonisch und ökonomisch überzeugende Verbindung gebracht werden können.
Für die Transformation solcher Großbauten gibt es nur wenig internationales Know-how – jeder Fall ist ein Einzelfall und entsprechend wichtig für das politische Selbstverständnis einer Stadt. Das Programm des Wettbewerbs stellte deshalb den Planungsprozess in den Mittelpunkt. Mit welchen Schritten aber soll der Umbau dieses Spätwerks von Peter Behrens beginnen?
„Linzer Blau“ – den Entwurf entwerfen | „Wer plant die Planung?“, hat Lucius Burckhardt vor fast vierzig Jahren gefragt und damit auf die politisch-ökonomischen Bedingungen des architektonischen Entwerfens hingewiesen, in die Architekten als Akteure und Betroffene zugleich eingreifen sollen, um tatsächlich an der Planung teilzunehmen. Es scheint, als sie die Botschaft inzwischen angekommen. Da Europan-Gebiete fast immer Antworten für komplexe Transformationsprozesse in der Stadt suchen, trifft man zunehmend auf Projekte die versuchen, die Strategie des Planens und Entwerfens selbst zu entwerfen, statt eine komplette Gestaltung vorzulegen. Einen ganz besonderen Fall stellt hier die Tabakfabrik von Peter Behrens und Alexander Popp in Linz dar. Über die üblichen Anforderungen hinaus, die die Neunutzung eines ehemaligen Industrieareals betreffen (Verkehrslärm, Altlasten, große Gebäudetiefe, für Fußgänger schwer zugänglich usw.), geht es um den Umgang mit einem denkmalgeschützten Gebäudeensemble aus den frühen dreißiger Jahren, dessen angedachte Nutzbarkeit für verschiedene private oder öffentliche Einrichtungen wie z.B. eine Kunstschule weiter umstritten bleibt (Bauwelt 7.2011).
Die drei Europan-11-Preisträger in Linz – es wurden drei zweite Preise vergeben – repräsentieren gewissermaßen das zeitgenössische Spektrum an Strategien, mit deren Hilfe Architekten hoffen, in der ökonomischen Auseinandersetzung mit den vielen Beteiligten am ehesten ihre Ideen umsetzen zu können. Da gibt es die bewährte Strategie eines attraktiven Entwurfs-Bildes, das fast schon den Charakter einer Filmkulisse trägt – so beim Projekt „Monolith“ des sechsköpfigen (!) italienischen Architektenteams (Zoli/Rampazzo/Galiotto/Montini/Montagnini/Fusaro). Eine zweite Strategie setzt auf die politische Partizipation einer örtlichen Community, um die Economy-first-Politik von Beginn an zu unterlaufen; sie wird vom Team Potocnik/Gnigler/Gunar favorisiert. Mit ihrem Projekt „Ein Ensemble im Porträt“ verschieben sie den komplizierten Planungsprozess in Richtung eines Rollenspiels, in dem die denkmalgeschützten Gebäudetrakte als „Akteure“ auftreten. Der dritte prämierte Vorschlag bietet schließlich eine Variante, die zwischen Archi-tektur und Planungsorganisation angesiedelt ist. Er sieht ganze Reihe von einzelnen Interventionen vor, deren Ablauf und Zusammenhang präzise orchestriert gehört; dabei trifft das Projekt „Linzertus“ der spanischen Architekten Julio de la Fuente und Natalia Gutierrez die Balance zwischen konkreten Entscheidungen und abstrakter Planungslogistik, eine Balance die verspricht, dass das Projekt zwar noch genug Spielraum für Veränderungen besitzt, gleichwohl als kohärenter Entwurf ablesbar bleibt.
De la Fuente und Gutierrez schlagen verschiedene Eingriffe vor, die sowohl aus subtrahierenden Maßnahmen, Abriss, als auch aus addierenden Maßnahmen, Neubau, bestehen. Der Name „Linzertus“ macht deutlich, dass das Ganze nicht als mechanische Intervention, sondern vielmehr als dynamisches Modell zu verstehen ist. „Insertus“ verweist auf ein Implantat, das aus Gewebe besteht und einen Körper durch Eigenmaterial heilen kann.
In den Plänen von „Linzertus“ erscheinen die Implantate als blaue Elemente („Linzer Blau“ genannt), die im wechselseitigen Verhältnis zu sämtlichen anderen Maßnahmen stehen und dazu dienen, eine gemeinsame architektonische Identität für das Areal zu schaffen, das sich zu einem offenen städtischen Platz und einem hochwertigen Wohngebiet transformieren soll. Die Denkmalfrage ist in diesem Projekt nicht der Ausgangspunkt; die Verfasser scheuen auch vor Teilabrissen denkmalgeschützter Bereiche nicht zurück. Implantiert werden kulturelle Einrichtungen wie ein Tabakfabrik-Museum (untergebracht in einer Etage, die im Originalzustand belassen wird) und Loftwohnungen im Baubestand, sowie spezifische Funktionen wie Werkstätten und soziale Einrichtungen aber auch neue Wohn- und Hoteltürme.
Mit jedem neuen Realisierungsschritt soll der geplante Komplex an Kohärenz gewinnen und so nicht einfach nur eine Assemblage von Einzelideen bleiben. Ob diese Entwurfsstrategie aufgeht, wird auch von der Fähigkeit der Architekten abhängen, die Schnittstellen des Planungsprozesses nachgerade kybernetisch zu gestalten. (Alles in allem ein komplizierter Prozess, der Geldgeber und Behörden abschrecken könnte). Das „Linzer Blau“ würde dann zugleich theoretische Schaltstelle und ästhetisches Merkmal bedeuten und wäre als Titel für das Projekt vielleicht sogar besser geeignet als „Linzertus“.Die von Peter Behrens und Alexander Popp gebaute Tabakfabrik ist eines der großen erhaltenen Industriedenkmale der internationalen Moderne. 2009 hat der letzte Nutzer (verif) das Gebäude verlassen. Da die strategische Bedeutung dieses Bauensembles für die Entwicklung von Linz unübersehbar ist, hat die Stadt nach einigem Hin und Her das Areal gekauft. Von den Europan-Entwürfen wurde erwartet, dass sie die räumlich-strategischen Möglichkeiten dieses Bauensembles vor Augen führen. Das Programm des Wettbewerbs führt eine große Bandbreite von denkbaren Nutzungen aus. Der Bauplatz selbst ist in sei-ner Lage im Stadtgefüge in zweifacher Hinsicht von strategisch herausragender Bedeutung: Als funktionaler Übergangsraum vom Stadtkern zu den großmaßstäblicheren Nutzungen längs der Donau und als Knotenpunkt der Mobilität, an dem sich regionale und lokale Konzepte treffen; diese Funktion als Knotenpunkt soll der Bau künftig übernehmen.
Linzertus | Linz ein 2. Preis
Das Projekt Linzertus ist einer von drei zweiten Preisen. Ein erster Preis wurde nicht vergeben. Die Architekten schlagen eine Reihe von langfristigen Eingriffen vor, die im Laufe der nächsten Jahre mit dem Ziel umgesetzt werden können, die Räume der in ihrer Qualität im Detail sehr unterschiedlichen Altbauten wieder zu aktivieren. In städtebaulicher Hinsicht sind verschiedene koordinierte Maßnahmen vorgesehen: Erstens soll die bisher geschlossene „Fabrik-Insel“ an den Kopfenden und Richtung Donau großzügig geöffnet werden. Zweitens wird im Inneren der ehemaligen Fabrik ein öffentlicher städtischer Platz angelegt, der sogenannte „Tabakfabrik-Platz“, der die markanten architektonischen Insignien der alten Fabrik gestalterisch nutzt. Drittens werden neue Öffnungen und Verbindungen quer durch das Gelände gelegt: Die Fußgängererschließung erfolgt ebenerdig über das ganze Areal, und am südlichen Ende wird die Straßenbahn quer durch den Block geführt. An dieser Stelle werden die bestehenden Bauten abgerissen und durch abwechselnd hohe und niedrige Bauten ersetzt, die Türme sollen einen spektakulären Sichtbezug zur Donau haben. Allerdings wirft der Abriss die Frage auf, ob mit dieser radikalen Öffnung nach Süden nicht Kernqualitäten der alten städtebaulichen Struktur aufgegeben werden. Schließlich machen die Architekten Vorschläge, in welchen Teilen der alten Fabrik Wohnen möglich sei. In einem weiteren architektonischen Schritt werden die räumlichen Qualitäten der bestehenden Bauten für neue Nutzungen untersucht: in acht Planungsphasen, jeweils dokumentriert durch Schnitt und Innenraumperspektive. KG
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