Logenplätze statt Balkon?
Städtebauliche Entwicklung auf dem Brauhausberg in Potsdam
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Logenplätze statt Balkon?
Städtebauliche Entwicklung auf dem Brauhausberg in Potsdam
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Die Potsdamer wollen ein neues Sport- und Freizeitbad bauen, doch es fehlt Geld. Deshalb soll der öffentliche Stadtbalkon am Brauhausberg zu Bauland für Stadtvillen werden. Ein Wettbewerb lotete aus, was machbar ist.
Eine solch privilegierte Lage haben nicht viele: Der Brauhausberg ist im wahrsten Wortsinne Potsdams Stadtbalkon. Im Grunde nur eine mäßige Erhebung in der wasserreichen Havellandschaft, bietet er einen Panoramablick, auf die imposante Kuppel von Schinkels Nikolaikirche und die umliegenden historischen Zentrumsbereiche zwischen Altem Markt und Speicherstadt. Mit seinen nördlichen Ausläufern reicht der „Berg“ bis fast an den Verkehrsknoten am neuen Hauptbahnhof. Zentraler geht es kaum in der Hauptstadt des Landes Brandenburg (Bauwelt 44.09).
Der Name verweist auf die frühere Nutzung. Seit Anfang des 18. Jahrhunderts florierte hier die Bierproduktion, die das übliche gründerzeitliche Ausflugswesen beförderte, mit Schankgärten und Aussichtsturm. Nur zögerlich wurde der flache Hang besiedelt, historische Aufnahmen zeigen ein regelloses Baugewirr, das ab 1900 von einer romantisierenden Burganlage – von Franz Schwechtens neuer Kriegsschule – theatralisch überragt wurde. Nach zeittypischer Versachlichung diente sie während der NS-Zeit als Reichsarchiv. Im Krieg kaum beschädigt, zog hier 1950 die Bezirksleitung der SED ein. Ab 1969 begann eine umfassende Neugestaltung des frei geräumten Nordhanges, zuerst mit einer Schwimmhalle unter schwungvoller Hängedachschale (Architekt Karl-Heinz Birkholz), 1971–77 kam vom gleichen Autor die Großgaststätte „Minsk“ mit ihren breiten Aussichtsterrassen hinzu. Eine opulente Treppenkaskade mit Wasserspielen machte den Balkon der Stadt nun auch zu deren Sommersalon.
Das 1990 wiedergegründete Land Brandenburg wählte die vormalige Parteizentrale als provisorischen Sitz seines Landtags. Sobald dieser in die demnächst fertiggestellte Schlossreplik umgezogen sein wird, muss für die düster wirkende Anlage auf dem Berg (Spitzname „Kreml“) eine sinnvolle Nachnutzung gefunden werden. Inzwischen ist das einst noble Ausflugslokal zur Ruine verfallen. Das Schwimmbad kam 2005 bundesweit ins Gerede, als die Stadt hoffte, einen Entwurf vom greisen Oscar Niemeyer an dessen Stelle zu setzen. Bekanntlich zerschlug sich das Ehrgeizprojekt, doch die Idee eines neuen Sport- und Freizeitbades ist nicht vom Tisch, und bei einer Befragung wünschten sich 65 Prozent der Potsdamer dieses Bad wieder genau hier an den Brauhausberg (Bauwelt 26.12).
So entstand Handlungsbedarf: Nicht nur die Lage der neuen innerstädtischen Freizeitoase war zu bestimmen, es ging auch um einen zusätzlichen zentrumsnahen Wohnstandort. Zur Teilnahme am städtebaulichen Wettbewerb waren nach Bewerbung 14 Büros ausgewählt worden. Die Jury (Vorsitz: Heinz Nagler) fand recht bald zu einer Spitzengruppe von vier Arbeiten, unter denen schließlich die Ränge verteilt wurden: ein erster, ein zweiter Preis, zwei Anerkennungen. Dabei war man sichtlich um Ausgleich bemüht, denn an dem exponierten Ort konkurrieren zwei völlig konträre Haltungen. Während die einen sich für die landschaftlichen Qualitäten der sanften Bergflanke ins Zeug legten, hatten die anderen nur die unklaren Ränder dieses letzten wilden Terrains gegenüber von Bahnhof und „Schloss“ im Blick. Erstere betupften den Hang mit Solitären, um möglichst viel Grün (nach außen) und möglichst viel Stadt (für künftige Bewohner) sichtbar zu lassen. Letztere wuchteten dichte Blockkanten auf, um entlang der Verkehrsstraßen „kompakte Stadt“ zu markieren; höher gelegene Hangareale wurden dabei aber zu schieren Restflächen, von allen umliegenden Stadträumen abgeklemmt – Adieu Stadtbalkon!
Aus jedem der beiden Lager schafften es zwei Arbeiten in die Spitzengruppe, eine allerdings schien beide Positionen geschickt zu vereinen: 14 Villenwürfel, mal im Raster, auch mal frei über die Wiese gestreut, während für die Raumkante zur Stadt das Schwimmbad und eine überlange Pergola sorgen. Dieser Kompromiss von Löffler und Engel war den Juroren den ersten Preis wert. Denn mehr, als wenigstens pro forma „der Landschaft eine Chance“ zu geben, konnten sie nicht tun. Sonst hätten sie die radikale Liegewiese von Dominik Uhrmeister (Anerkennung) wählen müssen: Dessen bescheiden geschnittene Viergeschosser rücken zugunsten einer breiten Schneise beiseite, die zwar nach typisch Potsdamer Manier „Kaiser-Wilhelm-Blick“ heißt, doch die Renderings versprechen den freien Geist eines Bürgerparks.
Aber so war der Wettbewerb wohl nicht gemeint. Ein neuer städtischer Badetempel ist nämlich nicht ohne den Wohnstandort zu bekommen: Der Verkauf der Parzellen soll den Hallenneubau finanzie-ren. Ein verhängnisvolles Junktim, denn so wird am Brauhausberg nicht nur die elegante Hängeseilkonstruktion der Schwimmhalle (deren baugleiches Pendant in Dresden unter Denkmalschutz steht) mit der üblichen Nonchalance als DDR-Relikt entsorgt, sondern gleich noch die einst festlich für alle inszenierte Freianlage privatisiert. Es heißt, Potsdam habe als einzige unter Ostdeutschlands Großstädten heftigen Zuzugsdruck und also ein Wohnungsproblem. Ausgerechnet auf solch privilegiertem Standort will man gegensteuern, noch gar mit Stadtvillen vom Typ „Belvedere“? Die werden aus dem Stadtbalkon lauter Logenplätze für Besserverdiener machen. An den lückenlosen Grundstückshecken rings um die preisgekrönten Wohnwürfel kann man sie schon erkennen.
Städtebaulicher Wettbewerb
1. Preis Markus Löffler, Christopher Kühn, Potsdam | 2. Preis Konermann Siegmund Architekten, Hamburg | Anerkennung Dominik Uhrmeister, Berlin; bbz Landschaftsarchitekten, Berlin | Anerkennung keller mayer wittig architekten stadtplaner bauforscher, Cottbus; Hutterreimann Landschaftsarchitektur, Berlin
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