Louis Kahn
Opulente Retrospektive im Vitra Design Museum
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Louis Kahn
Opulente Retrospektive im Vitra Design Museum
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Mehr als 60 Original-Modelle, 120 Original-Pläne und unzählige weitere Exponate hat das Vitra Design Museum zusammengetragen, die das Bild eines Allround-Künstlers entstehen lassen.
Die Karriere von Louis Kahn (1901–1974) taugt als Balsam für die Seele jedes in einer Schaffenskrise steckenden Architekten. Lange Jahre baute Kahn fast ausschließlich Wohnhäuser an der Ostküste der USA und unterrichtete – zunächst in Yale, später an der University of Pennsylvania. Seine großen Projekte realisierte er erst, als er beinahe im Rentenalter war. Und für die Regierungsbauten in Dhaka (1962–83), der Hauptstadt des neu gegründeten Bangladesch, war er nicht einmal die erste Wahl des Bauherrn. Le Corbusier und Alvar Aalto hatten den Auftrag zuvor schlicht abgelehnt. Kein Wunder, das Gelände liegt direkt neben dem Flughafen und wird während des Monsuns regelmäßig überflutet. Allein für den Masterplan benötigte Kahn zwei Jahre, immer wieder inspizierte er das Areal, bis er zum entscheidenden Kunstgriff ansetzte: Er ließ rund um die Regierungsbauten einen künstlichen See (ein Regenrückhaltebecken) anlegen. Das Gebäudeensemble spiegelt sich in der Wasserfläche, was ihm jene mystisch-spirituelle Wirkung verleiht, die es längst zur Architekturikone hat werden lassen.
Mehr als 60 Original-Modelle, 120 Original-Pläne und unzählige weitere Exponate hat das Vitra Design Museum für die opulente Retrospektive „Louis Kahn – The Power of Architecture“ zusammengetragen. Mit der Ausstellung, einer Kooperation mit der University of Pennsylvania und dem NAi in Rotterdam, ergebe sich „ein neues Bild von Kahns Schaffen, das sich gängigen Kategorien wie Moderne oder Postmoderne entzieht“, so die Veranstalter. Strömungen wie dem Metabolismus oder Brutalismus habe Kahn entscheidende Impulse gegeben und „hochaktuelle Aspekte des Bauens“ vorweggenommen, so „die Rückbesinnung auf lokale Ressourcen oder auf , weiche‘ Faktoren wie Luft, Licht, Wasser.“
Im Vitra Design Museum entsteht das Bild eines Allround-Künstlers. Als Teenager trug Kahn zum mageren Familieneinkommen bei, indem er in Kinos Stummfilme auf der Wurlitzer-Orgel begleitete. An der Highschool gewann er sämtliche Zeichenwettbewerbe; Skizzen und Aquarelle, die auf seinen ausgedehnten Europareisen entstanden, bezeugen sein Talent. In Paris heuerte er, um die Reisekasse wie-der aufzufüllen, in einem Restaurant als Klavierspieler an. „Kahns Stadt“ jedoch war Philadelphia, in der er als Sohn estländischer Einwanderer aufwuchs, studierte, unterrichtete und bis zu seinem Tod sein Büro führte. Jahrelang arbeitete er an Städtebaustudien zur Aufwertung der Ostküsten-Metropole, verwirklicht wurde fast nichts davon. Dass er seine Mitarbeiterinnen für sich einzunehmen wusste und ein privates Doppelleben führte, ist spätestens seit dem Dokumentarfilm „My Architect“ seines Sohns Nathaniel (2003) bekannt.
Mit Jonas Salk, dem Entdecker des Impfstoffs gegen Kinderlähmung, scheint Louis Kahn einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Salk engagierte ihn für den Bau seines neuen Forschungszentrums (1959–65), ohne ihm formale Vorschriften zu machen. Gemeinsam wählten sie die spektakuläre Lage an einem Steilhang über dem Pazifik in San Diegos exklusivem Vorort La Jolla aus. Es gibt wohl keinen Architekten auf der Welt, der ihn nicht kennen würde: den Blick über den Hof des Salk Institute, der sich zum Meer öffnet. Die Wasserrinne in der Hofmitte, die sich am Horizont mit dem Himmel zu verbinden scheint, geht übrigens auf einen Vorschlag von Luis Barragán zurück. Kahn hatte ursprünglich eine Allee aus schlanken Bäumen im Sinn gehabt.
Louis Kahns große Zeit kam nicht zufällig Ende der 50er Jahre, als für repräsentative Staats- und Universitätsbauten nach den Stahl-Glas-Skeletten des internationalen Stils wieder mehr Monumentalität gefragt war. Mit seiner klassischen Ausbildung und seinem Gespür für traditionelle Materialien, Details und Proportionen konnte er das bieten – ohne wie viele Kollegen in historisierende Spielereien zu verfallen. Das macht sein Spätwerk so zeitlos.
Im Grunde reicht ein einziges Exponat, um sich Kahns Können eindrucksvoll vor Augen zu führen: eine Gebäudeecke des „Fisher House“ in Hatboro/Pennsylvania (1960–67), die das Vitra Design Museum im Maßstab 1:1 nachbauen ließ. Kein Besucher wird sich der Wirkung von Kahns Detaillösung entziehen können. Beim Vorbeigehen an dem Fassadenmodell verspürt man den unwiderstehlichen Drang sich augenblicks auf die akkurat zwischen Holz- und Glaselemente eingepasste Sitzbank niederzulassen.
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