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Nachahmung angeraten

Meinungsäußerungen zu Ästhetik und Nachhaltigkeit

Text: Wieland, Kerstin, Berlin

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Miguel Rothschild beim Aufbau des Hauses der Atlantiden
Marcus Lieberenz / bildbuehne.de

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Miguel Rothschild beim Aufbau des Hauses der Atlantiden

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Nachahmung angeraten

Meinungsäußerungen zu Ästhetik und Nachhaltigkeit

Text: Wieland, Kerstin, Berlin

„In jenen tagen des festes hab’ ich mich, wie ich nicht läugnen will, männlicher benommen als die kräfte nachhielten“, zitieren die Brüder Grimm Goethe in einem Brief an Zelter. Da war es also auch schon auf der Welt, dieses Wort, das uns heute so inflationär begegnet. Und wäre eben jene Nachhaltigkeit schon im Titel der Ausstellung erschienen – wer weiß, ob ich sie mir angesehen hätte.
Stattdessen bin ich immer wieder auf das Plakat aufmerksam geworden, auf dem ein Mann in einem selbstgebauten Boot türkisblaues Wasser durchpflügt. „Zur Nachahmung empfohlen“ wird mir angeraten. Der Mann hat einen Tisch umgedreht und an eine Schmalseite einen Außenbordmotor gebaut; Gischt spritzt unter den Tischkanten hervor. Die Szenerie er­innert an Spiele aus Kindertagen, als aus Tisch und Decken Höhlen wurden. Der umgedrehte Verhandlungstisch ist Teil der Versuchsanordnung „Under Dis­cussion“ von Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla. In ihrem Video verweist das in Puerto Rico lebende Künstlerpaar auf die Gegensätze auf der vermeintlich idyllischen Karibik-Insel Vieques, die seit mehr als 60 Jahren von der US-Marine als Ausbildungsstandort genutzt wird. Die Arbeit thematisiert die vorherrschende Auffassung, nach der arme Leute als Bedrohung für die Umwelt gelten – statt als Bürger, die mit einem ganz eigenen ökologischen Bewusstsein leben.

Im Einklang mit den Göttern

Kuratorin Adrienne Goehler und Projektleiterin Jaana Prüss haben für die Ausstellung „Zur Nachahmung empfohlen – Experimente in Ästhetik und Nachhaltigkeit“ 40 Meinungsäußerungen zum Thema zusammengetragen, die die Grenzen zwischen künstlerischer und technischer Forschung, zwischen Idee und Machbarkeit aufheben. In den Uferhallen in Berlin-Wedding, der ersten Station der Schau, ist eine vielgestaltige Mischung zusammengekommen, die zu Ge­dankenspielen und -experimenten auffordert. Lässt man sich darauf ein, kommt man, ohne einem moralisch erhobenen Zeigefinger folgen zu müssen, dazu, manche Dinge von einer anderen Seite wahrzunehmen. Das ist ausgesprochen anregend.
Gezeigt werden unter anderem die „Experimente“ von Gerd Niemöller, der aus Altpapier und Kunstharz ein extrem leichtes Produkt entwickelt hat, mit dem stabile Bauten errichtet werden können; Christoph Keller bringt mit einem Reflexionssystem Licht in Hinterhöfe. Xing Danwen fotografiert recycelten Elektroschrott in China und Till Leeser gepressten Plastikmüll in Hamburg; beides hat eine ganz eigene Ästhetik – der Gedanke, dass dies wirklich irgendwo
in solchen Mengen rumliegt, ist unangenehm. Miguel Rothschild baut aus Wasserflaschen das von Hermann Finsterlin skizzierte Haus der Atlantiden nach. Er lädt in eine kleine Bibliothek ein, in der man sich mit Platon an den Mythos der einst glücklichen Insel Atlantis erinnern kann, auf der die Menschen im Einklang mit den Göttern lebten – als sie aber Gier und Eroberungslust nachgaben, von einer gewaltigen Naturkatastrophe getroffen werden. Das Regalbrett in der Bibliothek ist  genauso fragil wie das von Rothschild gebaute Haus. Die Konstruktion ist empfindlich wie unsere Welt. In der Ausstellung kann man sie mit etwas Kraft wieder trimmen.

Von Schwärmen lernen?

Mit wie viel Kraft wir aber eigentlich gerade an der Welt zerren, zeigt der „Cubus Niger“ von Michael Saup, ein Würfel aus säuberlich gestapelter Braunkohle, drei Meter misst seine Seitenlänge. Er fällt be­stimmt nicht um, und trotzdem meint man, von ihm erdrückt zu werden. Er liefert so viel Energie, wie eine Million Nutzer des Internets verbrauchten, als sie sich den Trailer von Avatar anschauten. Sparsam mit Papier sein, o.k., aber dass meine Klicks Strom fressen? Und macht es Sinn, auf den ständig wachsenden Stromverbrauch mit neuen Technologien zu reagieren, oder sollte es nicht genauso intensive Überlegungen geben, weniger Strom zu verbrauchen. Welche neuen Strukturen brauchen wir für den Umgang miteinander und mit der Welt? Könnten wir von Schwärmen lernen? 
Ästhetik ist für Adrienne Goehler die Summe der Wahrnehmung, die die Menschen begreifen lässt, dass alles mit allem verbunden ist. Und dass Nachhaltigkeit auch eine politische Dimension hat, wird schnell klar. Die Schau versteht sie als einen Schritt auf dem Weg zu einem Fonds für Nachhaltigkeit und Ästhetik, für den sie sich engagiert. Er soll die unterschiedlichen Perspektiven und Handlungsfelder auf dem weiten Feld der Nachhaltigkeit miteinander verbinden. Zur Ausstellung ist ein Katalog mit einem Lesebuch erschienen, das zu lesen sehr empfohlen sei.

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