Bauwelt

Neue Werkzeuge für die dichte Stadt

Wohnen in München

Text: Fink, Dietrich, München; Fischer, Florian, München

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Grafik: TU München, Lehrstuhl für Integriertes Bauen

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Neue Werkzeuge für die dichte Stadt

Wohnen in München

Text: Fink, Dietrich, München; Fischer, Florian, München

Über das Für und Wider lässt sich trefflich streiten – verdichtet wird nach § 34 BauGB im Einzelfall sowieso. Weil bei solchen Ad-hoc-Entscheidungen der Blick auf die Gesamtstadt mehr und mehr verloren geht, hat München eine Studie zur „Qualifzierten Verdichtung“ in Auftrag gegeben.
Das Resümee des Autorenteams: Eine strategische Nachverdichtung ist nicht nur möglich, sie ist dringend notwendig, um unkontrolliertes Wachstum in städtischen Raum zu übersetzen. Sicher ist aber auch, die Umsetzung wird nur gelingen, wenn aus dem trockenen Planerjargon eine von der breiten Bevölkerung getragene Idee wird.

Die Dynamik des Wachstums bleibt, so die Prognosen, ungebrochen. In zwanzig Jahren wird sich die Einwohnerzahl Münchens um weitere 150.000 Menschen erhöht haben. Aber schon in zehn Jahren werden die vorhandenen Flächenressourcen ausgeschöpft sein. Das Wachstum wird, wenn es innerhalb der Stadt stattfinden soll und nicht in den zersiedelten periurbanen Zonen, in Auseinandersetzung mit den bestehenden Strukturen erfolgen müssen. So selbstverständlich und gerade unter ökologischen Gesichtspunkten naheliegend diese kausale Kette ist, so präzise sind die Schritte der Verdichtung zu planen und zu kommunizieren. Die bevorstehende Entwicklung benötigt eine strategische Steuerung auf allen Ebenen. Eines ist klar: Die Verdichtung kann nicht einfach nur Vermehrung der Geschossflächen auf gleicher Grundfläche bedeuten. Sie muss, wenn sie erfolgreich sein will, eine umfassende Verbesserung der Lebensqualität für die Bürger einer Stadt mit sich bringen.

Wachstum als Normalfall | Das Wachstum ist so alt wie die Stadt selbst. Betrachten wir hierzu exemplarisch die Genese eines Gevierts in der Münchner Maxvorstadt, so wird offensichtlich, dass einer kleinteiligen Bebauung mit privaten Gärten in den Anfängen der Besiedelung sukzessive die Entwicklung des bürgerlichen Stadthauses folgte und sich mit einer immer dichteren Bebauung ein geschlossener Blockrand entlang der Geviertgrenzen ausbildete. Parallel dazu hielten das Hinterhaus und eine kleinteilige Hofbebauung Einzug in die Bebauungstypologie der Parzellen. Die dabei zwangsläufig auftretenden Zwischenstadien und die typologischen Ausnahmen, wie die Zusammenlegung von Parzellen oder der Einbau von großmaßstäblichen Bauten sozialer oder technischer In­fra­struktur belegen, dass die Gleichzeitigkeit von alter und neuer Struktur wesentlicher Bestandteil des dynamischen, städtischen Wachstumsprozesses ist. Brüche gehören genauso essentiell zur Stadt wie ihre Regeln.

Ungesteuerte Verdichtung | Bereits heute werden die maximalen Grenzen der baurechtlichen Möglichkeiten Schritt für Schritt ausgeschöpft. Im Fall ausbleibender übergeordneter Planungen vollziehen sich substanzielle bauliche Verdichtungen durch Baugenehmigungsverfahren im Einzelfall. Rechtsgrundlagen sind hierbei im Wesentlichen § 34 Baugesetzbuch und die Bayerische Bauordnung. Die räumlichen Auswirkungen derartiger Verdichtung stoßen dort an ihre Grenzen, wo es um übergeordnete stadträumliche Belange geht. Viele kritisieren an diesen Verfahren das „Aufschaukeln“ der Baurechtspotenziale und das damit einhergehende „Volllaufen“ der Grundstücke. Die Folge dieses „Vollaufens“ ist eine Form der Nachverdichtung, die ungesteuert und schleichend die Identität städtischer Räume verändert und vorhandene Qualitäten zerstört, ohne erkennbar neue zu schaffen.

Mehr Dichte – mehr Sorgfalt | Die Methode, die unserer Untersuchung zugrunde liegt, gliedert sich in zwei Komponenten: Erstens dem sorgfältigen Studium dessen, was es bereits heute – im Sinne positiv zu bewertender Referenzen – an dichten, urbanen Strukturen in der Stadt gibt. Und zweitens der strategischen Simulation weniger und klar formulierbarer Regeln, mit denen ein gesteuerter baulicher und infrastruktureller Verdichtungsprozess an geeigneten Stellen in Gang gesetzt und moderiert werden kann. Die Methode ist gleichermaßen pragmatisch wie präzise. Sie steht nicht im Zeichen der Neuerfindung individueller Lösungen für Verdichtung. Sie sucht nicht nach einer speziellen architektonischen Lösung für eine spezielle architektonische Situation. Es geht vielmehr um ein Höchstmaß an Übertragbarkeit auf weite Teile der heutigen Stadt. Die Definition einfach fassbarer Qualitäten und Quantitäten dient dabei als Bewertungsmaßstab.

Stadtkarte Verdichtung |
Die Identifizierung der für Nachverdichtung geeigneten Gebiete erfolgt in Abwägung öffnender und limitierender Faktoren. Als öffnend gelten in erster Linie Kriterien einer guten Erreichbarkeit durch den öffentlichen Nahverkehr und einer guten Versorgung mit gebietsnahen Erholungsflächen, als limitierend gelten Kriterien wie bauliche Schutzwürdigkeit oder Aspekte des Landschafts- oder Naturschutzes. Die identifizierten Verdichtungsgebiete werden in der Folge drei morphologisch wie typologisch klar fassbaren Gebietskategorien zugeordnet, in denen der Großteil der Stadtbewohner heute lebt: dem „Einfamilienhausgebiet“, welches, seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts realisiert, heute ca. 100.000 Bewohner im aufnimmt; der „monofunktionalen Wohnsiedlung“, ebenfalls vor allem seit den zwanziger Jahren als Idealtypus der Stadterweiterung propagiert und in der heute ca. 250.000 Menschen wohnen; dem „innerstädtischen Block“, welcher seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts das Bild der Innenstadt und deren gründerzeitlicher Erweiterungsgebiete prägt und heute ca. 150.000 Bewohner aufnimmt. Auf der Suche nach tragfähigen Leitbildern und Dimensionen für die Verdichtung dieser drei unterschiedlichen Gebietskategorien werden, ausgehend von der vorgefundenen Identität eines Quartiers, Szenarien und Ziele seiner Entwicklung definiert. Diese müssen mit den bestehenden Bauten koexistieren und sukzessive neue räumliche Qualitäten eröffnen, die an anderen Stellen der Stadt schon heute sichtbar und begehrt sind. Kurz gefasst: Verdichtung der Stadt entlang ihrer eigenen, bereits existierenden positiven Beispiele; die Stadt ist sich selbst Vorbild.

Strategie statt Lethargie |
Jede Gebietskategorie wird so mit einem modifizierten Leitbild überlagert und eine entsprechende Entwicklung und Transformation simuliert. Als unverrückbare Konstante gilt, wie schon zu Theodor Fischers Zeiten, die gegebene eigentumsrechtliche Aufteilung. In der Kategorie „Einfamilienhausquartier“ dient eine sukzessive Urbanisierung auf der Grundlage der heutigen Parzellen als Entwicklungsleitfaden. Die räumlichen Vorbilder beziehen sich dabei auf beliebte Quartiere wie Gern, Neuhausen oder Bogenhausen, auf das Modell einer Differenzierung von Straße, Hof und Garten und auf dem Einzug neuer Stadthaustypologien.
 In der Kategorie „monofunktionale Wohnsiedlung“ besteht die Strategie im Weiterbau und der Überformung mittels Aufstockung, Anbau und nachverdichtendem Neubau, die stadträumliche, soziale und funktionale Defizite kompensiert. Im Einzelfall kann es hier, in Abhängigkeit von der räumlichen und architektonischen Qualität der Gebäude, Ersatzneubauten mit deutlich höheren Dichten geben.
In der Kategorie „innerstädtischer Block“ liegt das Verdichtungspotenzial im typologischen Reservoir des städtischen Blocks. Eine Anhebung der Bebauungshöhen durch Aufstockung oder Neubau ist bei gleichzeitiger Neujustierung der Höfe und einer präzisen, vertikalen Nutzungsverteilung der entscheidende Hebel für höhere Dichten. Darüber hinaus können Orte der Stadt identifiziert werden, an welchen durch punktuell höhere Bauten nicht nur eine höhere Dichte, sondern auch ein Gewinn an stadträumlicher Prägnanz erzeugt wird.

Umsetzung und Baurecht | Die Umsetzung der aufgezeigten Verdichtungsmöglichkeiten setzt entsprechendes neues Baurecht im jeweiligen Verdichtungsbereich voraus. Hierfür steht als Steuerungsmittel der qualifizierte Bebauungsplan nach den geltenden gesetzlichen Regelungen als geeignetes Mittel zu Verfügung. Nach Prüfung aller zu beachtenden öffentlichen Belange und einer entsprechenden Bürgerbeteiligung ist ein sachgerechtes Abwägungsergebnis Voraussetzung für einen Normerlass, der das zusätzliche Baurecht bildet. Wegen der sich abzeichnenden Bebauungsdichten ist außerdem nach geltendem Recht die Überschreitung der Maximal-Nutzungsdichten der Baunutzungsverordnung zu bewältigen und eine für diese Fälle vorgesehene Kompensation planerisch zu leisten. Für alle Gebietskategorien wird es notwendig sein, die Folgekosten solcher Baurechtsbildung und deren Übernahme durch Planbegünstigte angemessen und praktikabel zu regeln. Die bewährten Grundsätze der sozialgerechten Bodennutzung in München wird man hierfür modifizieren müssen, um Gebiete mit vielen Eigentümern und unterschiedlichen Interessen sachgerecht überplanen zu können.

Resümee | Das Ergebnis der Studie macht deutlich, dass die Stadt München das kommende Wachstum innerhalb seiner bestehenden stadträumlichen Ressourcen aufnehmen kann. Die beschriebene Verdichtung bestehender Stadtquartiere wird dann erfolgreich sein, wenn sie die Abnahme des Ressourcen- und Flächenverbrauchs, die Verbesserung der Nutzung sozialer und technischer Infrastruktur, die Anwendbarkeit erneuerbarer Energien und zukünftiger Mobilitätskonzepte befördert. Wichtig ist vor allem, dass die durch den Prozess der Verdichtung angestoßene Dynamik durch gezielte Steuerung und Beteiligung aller Akteure so genutzt wird, dass die Aufenthalts- und Freiraumqualitäten verbessert werden, dass es zu einem Gewinn für alle kommt. Im Grunde gibt es dazu keine Alternative: Wachstum und Verdichtung werden unter den gegebenen Bedingungen in München zwangsläufig stattfinden. Die Frage, ob diese ungesteuert oder aber geplant stattfinden, ist letztlich eine Frage des Willens und der Gestaltungskraft aller Beteiligten.
Fakten
Architekten TU München Lehrstuhl für Integriertes Bauen; Fink + Jocher Architekten und Stadtplaner, München; steidle architekten, München; Spengler, Johann; München; mahl gebhard konzepte, München
aus Bauwelt 36.2012
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