Olé, olé olé olé
Die Akademie der Künste in Berlin lädt zur Sportschau
Text: Külbel, Dorothea, Berlin
Olé, olé olé olé
Die Akademie der Künste in Berlin lädt zur Sportschau
Text: Külbel, Dorothea, Berlin
Auf dem Weg zur Ausstellung „Choreographie der Massen“ in der Berliner Akademie der Künste gerate ich in eine Horde schwarz-rot-gold gekleideter und lauthals singender Menschen. Richtig, in ein paar Stunden ertönt der Anpfiff zum zweiten Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft: Deutschland gegen Italien.
Wie passend, dass sich direkt neben der größten deutschen Fanmeile am Brandenburger Tor eine Ausstellung mit der Faszination sportlicher Großereignisse beschäftigt. Ich kann mich dem Sog der Masse entziehen und trete ein. Doch statt der erwarteten Ruhe begegnet mir auch im Akademiefoyer ein weit entfernt scheinendes Rufen und Grölen. Wirklichkeit und Ausstellung vermischen sich.
Die Kuratoren Volkwin Marg, Gert Kähler und Michael Kuhn haben sich viel vorgenommen, wollen sie doch die Wechselwirkungen zwischen Sport, Architektur und Fankultur aufdröseln und das auf sehr begrenzter Fläche. Entstanden ist eine dichte Ausstellung, die sich, wie der Untertitel „Im Sport. Im Stadion. Im Rausch“ bereits vermuten lässt, thematisch wie auch räumlich in drei Themenbereiche gliedert.
Im ersten Raum informieren sechs überbreite Bücher auf tapeziertischlangen Stehmöbeln umfassend über die Geschichte großer Sportereignisse. Die Themen reichen von Sport in der Antike über die Turnbewegung des 19. Jahrhunderts bis hin zu Massenveranstaltungen wie den Olympischen Spielen im 20. Jahrhundert. Den Sport von heute untersuchen die Kuratoren auf Aspekte wie Politik, Kommerz und Gewalt und machen auch vor Peter Sloterdijks „Verachtung der Massen“ nicht halt. Hier ist viel Aufnahmebereitschaft gefragt, die sich jedoch lohnt – bequemer könnte man natürlich die Theorie im gut zusammengestellten Katalog nach dem Besuch studieren. Vor allem, da das weiterhin vom anderen Ende der Ausstellung erklingende Raunen eine permanente Unruhe erzeugt. Da hinten scheint was los zu sein. Verpasse ich etwas?
Doch vorher warten im zweiten Raum die jüngst eröffneten Stadien von Gerkan, Marg und Partner in Warschau und Kiew. Weitere Stadienprojekte von anderen Akademiemitgliedern umrahmen die beiden Austragungsorte des Eröffnungs- und Endspiels der Europameisterschaft. Pier Luigi Nervis Florentiner Stadion Artemio Franchi aus den 30er Jahren ist genauso vertreten wie das London Aquatic Centre für die diesjährigen Olympischen Sommerspiele von Zaha Hadid Architects – deren Partner Patrik Schumacher ist seit 2011 Mitglied der Berliner Akademie. Fotografien, Modelle und Pläne ohne Erläuterungstexte lassen dem Besucher Spielraum zum eigenen Bewerten.
Die Geräuschkulisse ist nun ganz nah und entpuppt sich als Tonspur einer Film-Montage im dritten Raum. Die Berliner Filmemacherin Hannah Leonie Prinzler zeigt Dokumentationsausschnitte aus verschiedenen Jahrzehnten, „Olympia“ von Leni Riefenstahl, das Turn- und Sportfest der DDR 1969, das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 1974, vermischt mit Sequenzen vom Ritual der Kaaba-Umrundung, von Technokonzerten und vom Schwarmverhalten bei Tieren. Auf drei Leinwänden wird die Montage um jeweils eine Sekunde zeitlich versetzt projiziert. Dieses Bilderrauschen lässt sie beinahe körperlich spürbar werden: die verführerische und zugleich beängstigende Ästhetik, die von der Dynamik einer Masse ausgeht.
Unweit der Akademie haben sich mittlerweile eine halbe Million Menschen versammelt, Besucherrekord. Sie alle warten gespannt auf das bevorstehende Spiel. Nun ja, wir wissen, wie es geendet hat.
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