Bauwelt

Rehabilitierung der Moderne

Ein „Konsensplan“ für die Karl-Marx-Allee II. Bauabschnitt

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

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Moderate Nachverdichtung entlang der Schillingstraße
Bezriksamt Mitte von Berlin/ Stadt Land Fluss

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Rehabilitierung der Moderne

Ein „Konsensplan“ für die Karl-Marx-Allee II. Bauabschnitt

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

Die „Karl-Marx-Allee II. Bauabschnitt“ zählte lange Jahre zu den umstrittensten Quartieren Berlins. Doch nun zeichnet sich ein Konsens ab: Das Wohnvier­tel soll wohl in seiner Struktur erhalten bleiben.
Die Rede ist, wohlgemerkt, vom zweiten Bauabschnitt des Ensembles zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz, der zwischen 1959 und 1969 entstand – und nicht vom weiter östlich gelegenen ersten Bauabschnitt mit der Bebauung im Stil des sozialistischen Realismus. Der zweite Bauabschnitt wurde von Josef Kaiser, Edmund Collein und Werner Dutschke ganz im Sinne des modernen Städtebaus und seiner Forderung nach „Licht, Luft und Sonne“ geplant: frei stehende Wohnscheiben mit hellen Keramikfassaden und vorgesetzten Balkonen; zwischen den Gebäuden: große Grünflächen; und mit dem Kino International und dem Restaurant Moskau entstanden zwei Ikonen der DDR-Moderne, die einen Hauch von Luxus in das Viertel brachten.
Nach der Wende wurde das Gebiet Schauplatz einer ideologischen Auseinandersetzung um den DDR-Städtebau. Kritiker bemängelten die „zugige Weite“ des Wohngebiets, die „Unwirtlichkeit“ der Stadträume und einen Mangel an „urbaner Dichte“. Diese Kritik fand ihren Niederschlag im 1999 vom Berliner Senat beschlossenen „Planwerk Innenstadt“, das vorsah, die Freiräume in Anlehnung an die Stadtstrukturen aus der Vorkriegszeit zu verdichten.
Umso erstaunlicher ist der aktuelle Sinneswandel. Während einer Veranstaltung Ende vergangenen Jahres zur Weiterentwicklung des Wohngebiets wurde deutlich, dass das Quartier mittlerweile auch bei Senatspolitikern unumstrittene Wertschätzung genießt. Die Vertreter des Bezirksamts Mitte und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung betonten gleichermaßen die Bedeutung und Attraktivität des Gebiets. Manfred Kühne von der Senatsverwaltung nannte es gar „eines der bedeutendsten Zeugnisse des modernen Städtebaus nicht nur in Deutschland“. Die Wohnungen des Viertels sind nach wie vor gefragt, vor allem junge Familien schätzen die zentrale Lage und die Grünflächen. Daher bestand bei allen Akteuren Konsens darüber, die städtebauliche Struktur zu bewahren – und hier das „Planwerk Innenstadt“ nicht weiter zu verfolgen.
Dennoch gibt es Handlungsbedarf: An der Schilling- und der Berolinastraße befinden sich eingeschossige Pavillons, in denen ursprünglich Kaufhallen, Geschäfte, Gaststätten und Dienstleistungseinrichtungen untergebracht waren. Die Pavillons wurden nach 1990 privatisiert. Nun gibt es seitens der Eigentümer Pläne, die Gebäude zugunsten höherer Neubauten abzureißen. An der Schillingstraße gibt es Interesse von Investoren, achtgeschossige Wohn- und Geschäftshäuser zu errichten, an der Holzmarktstraße soll ein siebengeschossiges Hotel entstehen, an der Berolinastraße ist gar ein vierzehngeschossiges Hostel geplant.
Die absehbare Beeinträchtigung der städtebaulichen Struktur gab den Anstoß für die Erarbeitung einer Bereichsentwicklungsplanung. Zunächst erließ das Bezirksamt Mitte eine Veränderungssperre: Vor der Verabschiedung der Bereichsentwicklungsplanung dürfen keine Neubauten errichtet werden. Im Sommer 2011 folgte ein von Berlins ehemaligem Kultursenator Thomas Flierl moderierter Workshop, an dem das Berliner Planungsbüro Stadt Land Fluss, Vertreter des Bezirksamts und der Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung sowie weitere Akteure beteiligt waren. Das Ergebnis ist ein sogenannter Konsensplan. Dieser legt fest, dass die Neubauten an der Schillingstraße und der Berolinastraße maximal fünf Geschosse hoch sein dürfen. Im Gespräch ist zudem eine Ausweitung des Denkmalschutzes für das Wohngebiet.
Auf der oben erwähnten Veranstaltung wurde allerdings auch deutlich, dass längst nicht alle Kontroversen beigelegt sind. Etliche Teilnehmer, vor allem Bewohner, empfanden auch die geplanten fünfgeschossigen Neubauten als zu hoch. Ein Investorenvertreter hingegen machte deutlich, dass fünfgeschossige Gebäude für ihn nicht lukrativ seien und er daher überhaupt nicht bauen wolle. Die Debatte über den Umgang mit dem zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee wird wohl bis zur Verabschiedung der Bereichsentwicklungsplanung 2013 weitergehen.  

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