Bauwelt

SENSEable Cities

Das digitale Netz der Stadt

Text: Biderman, Assaf, Cambridge; Outram, Christine, Cambridge; Ratti, Carlo, Cambridge

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

New York Talk Exchange, 2008

  • Social Media Items Social Media Items
New York Talk Exchange, 2008


Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Real Time Rome, 2006

  • Social Media Items Social Media Items
Real Time Rome, 2006


SENSEable Cities

Das digitale Netz der Stadt

Text: Biderman, Assaf, Cambridge; Outram, Christine, Cambridge; Ratti, Carlo, Cambridge

Die Kommunikation via Handy und kabellose Netzwerke ist auf den ersten Blick immateriell und flüchtig. Tatsächlich hinterlassen wir jedoch eine Vielzahl elektronischer Spuren. Das SENSEable City Lab des MIT wertet seit 2005 anonyme Datenströme verschiedener Telekommunikations- und Verkehrsnetze aus und macht so Muster des modernen Alltagslebens sichtbar.
Netzwerke unterstützen seit jeher die Funktion und das Wachstum unserer Städte. Früher handelte es sich dabei um massive, im wahrsten Sinne des Wortes „greifbare“ Strukturen – man denke an die Straßen und Viadukte des antiken Rom oder an die Autobahnen, Stromnetze und Untergrundbahnen der modernen Stadt. Die Netzwerke, die das SENSEable City Lab am Massachusetts Institute of Technology betrachtet, sind nicht sichtbar. Doch auch sie unterstützen die lebenswichtigen Funktionen der Stadt so unmittelbar wie die physische Infrastruktur.
Seit wenigen Jahrzehnten verwebt sich eine wachsende Zahl miniaturisierter, vernetzter, überall vorhandener, digitaler Technologien mit der städtischen Umwelt – mit Gebäuden, städtischen Infrastrukturen und Kommunikationseinrichtungen. Sie legen eine neue funktionale Schicht über unsere Städte und schaffen ein digitales Nervensystem, mit dem wir alltäglich interagieren. Dieses gewaltige System an Sensoren, Fernsprechgeräten, Microcontrollern und Kameras ermöglicht es, unsere Städte in ganz neuer Form zu erfassen, zu verstehen und zu imaginieren. Die Technik erhält einen Wert, der über ihren ursprünglichen Zweck hinausgeht: Die Emission der Mobilfunknetze enthüllt gesellschaftliche und ökonomische Muster, miniaturisierte Lokalisierungs-Tags zeigen die weltweiten Müllströme auf, und hybride Elektroräder mit Um- weltsensoren liefern Daten über Luftverschmutzung und Verkehrsstaus in der Stadt.
Wir sind der Ansicht, dass die Auswirkung der digitalen Netze auf die Städte so wichtig werden wird wie bisher jedes andere Unterfangen der Menschen. Das SENSEable City Lab stellt angesichts dieses bedeutsamen Wandels die Frage: Wenn das die Zukunft ist, was kommt danach? Das Labor hat sich einer antizipatorischen Forschung verschrieben und formulieren zusammen mit Städten, gemeinnützigen Organisationen und Unternehmen Voraussagen, welches die größten Bedürfnisse, Fragen und Chancen sein mögen, die uns im Verlauf der technologischen Entwicklung begegnen werden. Wir entwickeln neue Forschungsmethoden und Technologien, die nachhaltigen Visionen der städtischen Zukunft unterstützen.
Die vorgestellten Projekte sind exemplarisch für unsere Arbeitsweise: Wir forschen beim Entwerfen und Entwerfen beim Forschen. Jedes Projekt kann für sich alleine stehen; in Summe sind sie jedoch durch eine Vielzahl von Kategorien miteinander vernetzt, von denen wir hier nur zwei – neue Wege bei der Nutzung von Telekommunikationsdaten und die Datensammlung aus öffentlichen Quellen – herausstellen wollen. Unsere Städte entwickeln sich tatsächlich zu vernetzten Computern unter freiem Himmel. Wie das Internet fordert auch diese neue Plattform eigentlich alle Bewohner heraus, sich an der Programmierung und Gestaltung der digitalen Architekturen, die unsere städtische Zukunft prägen werden, zu beteiligen.
New York Talk Exchange | 2008
Im Informationszeitalter verbinden Infrastrukuren der Telekommunikation, wie das Internet und das Telefon, die Menschen. Räumliche Entfernungen verlieren an Bedeutung. Das Projekt New York Talk Exchange illustriert den Informationsaustausch zwischen New York und Städten in aller Welt in Echtzeit, indem es das Volumen an Ferngesprächen und IP-Daten (Internet-Protokoll-Daten) optisch sichtbar macht. Dieser Typus von Data-Mining- und Visualisierungstechnik deckt die Beziehungen auf, die die New Yorker in alle Welt haben und bildet zudem einige der sozialen Netzwerke ab, die in der Stadt existieren. Man erfährt, welche Städte rund um den Globus die stärksten Verbindungen zu New York haben und wie sich diese Beziehungen je nach Tageszeit, Woche und Jahr verschieben.
Real Time Rome | 2006 
In der heutigen Welt erzeugen drahtlose mobile Kommunikationsgeräte neue Dimensionen der Vernetzung zwischen Menschen, Orten und städtischer Infrastruktur. Dies lässt sich an­hand der von den Kommunikationsnetzwerken gesammelten Aufzeichnungen verzögerungsarm beobachten und interpretieren. In den Visualisierungen von Real Time Rome synthetisieren wir anonyme Echtzeitdaten aus verschiedenen Telekommunikations- und Ver­kehrs­netzen, um Muster des römischen Alltagslebens zu verstehen: Wie werden Stadtviertel im Verlauf des Tages genutzt? In welcher Relation steht die Verteilung von Bussen und Taxis zum jeweiligen Personenaufkommen? Wie werden Güter und Dienstleistungen in der Stadt verteilt? Wie nutzen verschiedene soziale Gruppen die Stadt?
Current City | 2009
Was wäre, wenn sich die Dynamik einer Stadt verzögerungsarm sichtbar machen ließe? Wir würden dann nicht nur die Gebäude und die öffentlichen Plätze sehen, sondern auch die gesammelten Bewegungen, die sie beleben. Wir könnten, egal wann, erkennen, welche Viertel die am stärksten frequentierten sind, und so Energie und andere knappe Ressourcen besser zuteilen; wir könnten die Muster der Pendlerströme rekonstruieren und so eine bessere Lenkung der Verkehrsströme betreiben; wir könnten die Reaktion der Stadt auf außergewöhnliche Vorkommnisse messen und so in Notfällen besser Hilfe leisten. Currentcity versucht, diese Vision in Amsterdam zur Realität werden zu lassen. In der weltweiten Zusammenarbeit mit Mobilnetzbetreibern und anderen Anbietern gesammel­ter Daten wollen wir Nutzeranwendungen schaffen, mit denen schon lange bestehende Probleme innovativ von Stadtverwaltungen gelöst werden können.
Obama | 2009
Die Wahl Barack Obamas zum 44. Prä­sidenten der Vereinigten Staaten war für die US-Amerikaner und das Ausland gleichermaßen ein fesselndes Ereignis. Menschen reisten von nah und fern nach Washington, D.C., um Zeuge seiner Amtseinführung am 20. Januar 2009 zu werden. Zu diesem besonderen Anlass kreierten wir eine Visuali­sierung der Mobiltelefonaktivität der im District of Columbia versammelten Menge. Damit lassen sich folgende Fragen beantworten: Woher kamen die Menschen am Tag der Amtseinführung? Wann versammelte sich die Menge, wann löste sie sich auf? Die Ergebnisse unseres Data Mining und unserer Ana­lysen werden in zwei Visualisierungen präsentiert, die eine Hommage an Barack Obama und die Menschen sind, die ihn unterstützten.
Los Ojos del Mundo | 2008
Los ojos del mundo vermittelt Einblicke in das soziale Netz und das Verkehrsnetz Spaniens. Mit Hilfe von Data-Mining- und Visualisierungstechniken zeigt das Projekt die Entwicklung der Touristenströme auf. Es analysiert, welche Fotos die Besucher des Landes im Internet veröffentlichen. Die Fotos spiegeln die Intensität des Tourismus wider und zeigen, woher die Besucher kommen, wo sie sich aufhalten, wofür sie sich interessieren und was sie von ihrem Besuch für mitteilenswert halten. Daraus lässt sich die Attraktivität von Ferienorten und ihrer jeweiligen Anziehungspunkte ablesen. Und ganz nebenbei erfährt man auch, welche Regionen noch vom Touristenrummel verschont sind.
My Architect | 2009
My Architect bietet einen Blick auf die Präsenz und das Werk einer Auswahl der weltweit bedeutendsten Architekten. Das Projekt zeigt, dass berühmte Gebäude des 21. Jahrhunderts ein „Doppelleben“ führen: Sie existieren in der physischen und in der digitalen Welt. Ständig projizieren Menschen die physische Welt auf die digitale, in­dem sie Websites wie Flickr, Twitter, Facebook oder Wikipedia nutzen, um ihre Eindrücke und Fotos von berühmten Bauwerken hochzuladen. Das Projekt sammelt diese Anmerkungen und bietet so eine digitale Datenbank jener  Bauten, die weltweit von zahllosen Menschen besucht und dokumentiert werden.
WikiCity und LIVE SINGAPORE | seit 2007
In den vergangenen Jahrzehnten wurden für eine Vielzahl ingenieurtechnischer Anwendungen verzögerungsarme Steuerungssysteme entwickelt. Die Effizienz dieser Systeme wurde durch Energieeinsparungen, Regulierung der Dynamik, größere Robustheit und Störungstoleranz erheblich gesteigert. Die WikiCity-Plattform des SENSEable City Lab lässt Städte zu verzögerungsarmen Steuerungssystemen werden. Dazu tragen u.a. Mobiltelefone und die Verbreitung von Außensensoren und Computern in unserer städtischen Umwelt bei.
iSpots | 2005
Im Oktober 2005 war der gesamte Campus des MIT mit fast 3000 WLAN-Hotspots überzogen. Das iSpots-Pro-jekt analysiert die Nutzung dieses Netzwerks durch die Menschen und destilliert Aktivitätsmuster – wie leben, ar- beiten und studieren die Menschen auf dem Campus des MIT. Wir fanden heraus, dass angesichts der weiten Verbreitung von Laptops immer weniger Studenten und Mitarbeiter auf dem Campus den Tag am Schreibtisch verbringen. Sie arbeiten mittlerweile an den verschiedensten Orten und zu flexibleren Zeiten als früher. Da viele Städte weltweit über öffentlichen WLAN-Zugang nachdenken, liefert die Analyse des MIT-Campus möglicherweise einen Ausblick in die Zukunft – was heute die Norm am MIT ist, könnte morgen überall die Regel sein.
Trash Track –Müllverfolgung | ab 2009
Man stelle sich eine Zukunft vor, in der sich die Müllberge nicht an den Peripherien der Städte aufhäufen; in der wir die Details der Entsorgungskette genauso gut verstehen, wie die der Beschaffungskette: Im SENSEable City Lab arbeiten wir an einer solchen Zukunft. Wir haben winzige Sensoren an Abfall befestigt, so dass sich die letzte Reise unserer Alltagsgegenstände nachvollziehen lässt – auf nationaler und internationaler Ebene. Diese In­formationen machen wir Bürgern, Gemeinden und Entsorgungsunternehmen zugänglich. So erzeugen wir eine „Feedback-Schleife“ die genutzt werden kann, um Ineffizienzen innerhalb des Systems zu reduzieren, nachhaltigere Infrastrukturen aufzubauen und Verhaltensänderungen zu fördern.
Copenhagen Wheel | ab 2009
Das Copenhagen Wheel ist ein greifbares neues Symbol für nachhaltige urbane Mobilität. Intelligent, reaktionsfähig und elegant verwandelt es herkömmliche Fahrräder in hybride Elek­troräder mit Energierückgewinnung und verzögerungsarmer sensorischer Erfassung. Die rote Radnabe enthält nicht nur einen Motor, Batterien und eine Gangschaltung, die den Fahrer bei hügeligem Gelände oder Fahrten über größere Entfernungen unterstützen, sondern auch Sensoren, die in Echtzeit Informationen zur Luft­verschmutzung, zur Verkehrsauslastung und zum Straßenzustand aufzeichnen. Diese Daten können Stadtverwaltungen helfen, Entscheidungen zur Umwelt- und Verkehrspolitik zu treffen.
AIDA | ab 2009
AIDA (Affective, Intelligent Driving Agent) ist ein Navigationssystem, das das freundliche Wissen eines Beifahrers nachahmt, der den Fahrer kennt, dem aber auch die Stadt vertraut ist. Statt es bei der Bestimmung der Route zu einem angegebenen Ziel zu belassen, analysiert diese Mobilitätshilfe auch das Verhalten des Fahrers und nutzt Data-Mining-Techniken, um die Ziele zu identifizieren, die der Fahrer erreichen will. AIDA wird die Route voraussagen, die der Fahrer ver­mutlich einschlägt. Es registriert Echtzeit-Informationen z.B. zu Verkehrs­staus, zu Ereignissen, die Verzö­gerun­gen bewirken könnten, zur Lage von Tank­stellen oder häufigen Zielen, und stellt Fahrern relevante Fakten zur richtigen Zeit zur Verfügung.

0 Kommentare


loading
x
loading

26.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.