Bauwelt

„Schaut doch mal, ob ihr aus der Siedlung eine Stadt machen könnt“

Interview mit Frank Bielka

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

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Frank Bielka
Foto: Brigitte Schultz

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Plan: Fachbereich Vermessung und Geoinformation

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„Schaut doch mal, ob ihr aus der Siedlung eine Stadt machen könnt“

Interview mit Frank Bielka

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

Das größte Berliner Wohnungsunternehmen, die degewo, ist auch der größte Vermieter in der Gropiusstadt. Ihr Vorstandsmitglied Frank Bielka kennt sich gut aus im Gebiet, er war schon in den achtziger Jahren im Bezirk als Bezirksstadtrat und Bezirksbürgermeister aktiv. Wir sprachen mit ihm über politischen Druck zum Neubau in Berlin, den Reiz der städtebaulichen Moderne und die Schwierigkeiten bei der Nachverdichtung einer Großsiedlung.
Was bedeutet für Sie als Wohnungsunternehmen der Standort Gropiusstadt?
Großsiedlungen haben natürlich erstmal ein schlechtes Image, bundesweit. Auch für die Gropiusstadt werden Symbolfiguren wie Christiane F. immer gern zitiert. Aber das ist Vergangenheit. Für uns bedeutet der Standort im Moment eher: Toll geschnittene Wohnungen – Häuser wie das Frühwerk von Kleihues am Feuchtwangerweg sind bis heute her­vor­ra­gend – und eine gute Anbindung. Mit der U-Bahn brauchen Sie eine halbe Stunde in die Innenstadt, mit dem Auto auch. Die Häuser sind gut vermietet, wir haben weniger als 1 Prozent Leerstand.
Wo liegen Ihrer Meinung nach dann die Probleme?
Lange war Segregation ein großes Problem. Die Gropiusstadt bestand zu fast 100 Prozent aus Sozialwohnungen. Sobald jemand ein höheres Einkommen erreichte, galt er als „Fehlbeleger“ – das klingt ja schon halbkriminell – und musste eine zusätzliche Abgabe zahlen. Das wurde relativ streng bis Ende der 90er exekutiert. Viele haben sich dann für das Geld eine angesagtere Lage gesucht. Irgendwann war es hier fünf vor zwölf. Erst nachdem dieses System ein Ende fand, konnten wir auch wieder Leuten mit höherem Einkommen Wohnraum anbieten. Seitdem stabilisiert sich das Gebiet.
Was zahlt man denn an Miete in ihrem Teil der Gropiusstadt?
Die Mieten sind relativ übersichtlich. Unsaniert teilweise  4,30 Euro kalt, selbst saniert landen sie erst bei 5 bis 6 Euro.
Ziehen die Menschen nicht immer noch weg, sobald sie sich etwas Bürgerlicheres leisten können?
Die Fluktuation ist sehr gering, die allgemeine Zufriedenheit der Mieter ist doch relativ hoch. Und das städtebauliche Konzept der 60er Jahre wird von den Leuten akzeptiert. Im Gegensatz zu den Stadtplanern und Architekten, die das in den letzten dreißig Jahren zum Kotzen fanden, finden die Bewohner das gut. Es ist grün, ruhig, kein Durchgangsverkehr ...
Trotzdem wollen Sie die Siedlung verändern. Warum?
Der erste Anstoß war, dass wir die Sanierung der 60er-Jahre-Bauten angehen mussten. Während dieses Prozesses haben wir begonnen, auch über Verdichtung zu reden. Uns war klar, dass Neubau in Berlin irgendwann wieder eine Rolle spielen würde. Und weil wir nicht gewartet haben, bis uns die Politik Befehle gibt, haben wir überlegt: Kauft man neue Flächen oder gibt es in Beständen Situationen, in denen man Ergänzungsbauten errichten kann? Und kann man damit möglicherweise sogar bestehende Strukturen verbessern? Das wa­ren unsere Überlegungen bei der Gropiusstadt.
Sie haben dann ein städtebauliches Werkstatt-Verfahren zur Nachverdichtung der südlichen Gropiusstadt durchgeführt. Das ist ziemlich ungewöhnlich. Was war der Hintergrund?
Die degewo hat seit über zehn Jahren nichts mehr gebaut und städtebauliche Planung stand auch schon ewig nicht mehr auf der Tagesordnung. Unser Knowhow auf dem Gebiet ist also nicht so ausgeprägt. Wir wollten die Sache aber profes­sionell angehen und nicht etwas basteln.
Die Beteiligung des ehemaligen Berliner Senatsbaudirektors Hans Stimmann an dem Verfahren hat viele irritiert, er ist ja nicht gerade als Freund der städtebaulichen Moderne bekannt geworden. Wie kam es dazu?
Es ist manchmal so banal. Wir waren Kollegen im Berliner Senat, und ich habe ihn immer sehr geschätzt. Er hat eine Menge in der Stadt bewirkt. Jetzt ist er pensioniert und ich hatte ihn gefragt, ob er uns bei der Sanierung hilft, damit man nicht nur Wärmedämmverbundsysteme an die Wand klebt, sondern das Ganze hinterher auch nach etwas aussieht. Da hat uns Stimmann schon sehr intensiv beraten. Und der städtebauliche Wettbewerb war dann seine Idee.
Wie wurden die beteiligten Architekturbüros ausgewählt?
Die Diskussionen in der Szene über Günstlinge von Herrn Stimmann hatten wir natürlich im Kopf. Dann haben wir beschlossen, es müssen nicht nur Leute sein, die er gut findet, sondern wir nehmen eine Mischung von Planern, die die richtige Erfahrung und Kenntnis haben.
Was waren die Vorgaben an die Architekten?
Die ursprüngliche Vorgabe war sehr allgemein: Schaut doch mal, ob ihr aus der Siedlung eine Stadt machen könnt; auch mit etwas Gewerbe, um eine bessere Mischung zu bekommen.
Wie sind die drei Architekten die Aufgabe angegangen?
Ganz unterschiedlich. Bernd Albers hat sehr stark verdichtet und eine zentrale Platzsituation geschaffen. Christoph Mäckler hat eine andere Ebene in die bestehende Bebauung gelegt, die mit zwei- bis drei Geschossen relativ niedrig bleibt, dann aber die Kanten betont. Regine Leibinger hingegen hat im Grunde die Struktur der Gropiusstadt aufgenommen, mit Hochhäusern und Ähnlichem. Was ich sehr überzeugend fand war, dass sie das ganze Verkehrssystem sehr sorgfältig analysiert hatte. Ihr Entwurf hat dann eine zentrale Achse gestärkt und die Straßenführung verändert.
Ein unrealistischer Ansatz?
Die Idee war gut. Aber wir hatten jemanden vom Stadtplanungsamt dabei, der hat gleich gesagt, neue Straßen bauen wir nicht. Das Problem ist immer, wenn sie Eigentümer sind, müssen sie mit der Ist-Situation leben.
Inwieweit konnten sich Ihrer Meinung nach die Planer mit der Ist-Situation anfreunden?
Es gab mit allen drei Spannungen, weil die ersten Entwürfe alle, wie soll ich sagen, zu radikal waren. Die geplanten Quadratmeter waren sagenhaft, überall entstanden Kanten, mit teilweise minimalen Gebäudeabständen – das hätten wir nicht gemacht. Es steht mir gar nicht zu, zu sagen, das ist Schrott oder so – das war es natürlich nicht! Intellektuell war das alles hochspannend. Aber gemessen an dem Pragmatismus, den man als Wohnungsunternehmen gegenüber seinen Mietern an den Tag legen sollte, hatte es zu wenig Bodenhaftung. Da kann ich damit rechnen, dass mindestens 4500 Mieter Sturm laufen werden. Und zwar zu Recht. Im Lauf des Verfahrens sind dann alle drei ein bisschen moderater geworden.
Besteht beim Weiterbauen einer solchen Siedlung nicht prinzipiell die Gefahr, einen „Wolpertinger“ zwischen zwei städtebaulichen Richtungen zu schaffen?
Ja, die Gefahr besteht. Es ist eine Gratwanderung. Sie haben auf der einen Seite das städtebauliche Leitbild der 60er Jahre – und wir haben in den letzten Jahren einiges getan, um das Wohnen in der Parklandschaft wieder erlebbarer zu machen. Auf der anderen Seite versuchen Planer, entsprechend dem heutigen Zeitgeist, eine Verstädterung durch Blockräume zu schaffen. Ich stehe dem einerseits sehr positiv gegenüber, an­dererseits möchte ich nicht, dass die Qualitäten der Moderne kaputt gehen. Weiterbauen darf nicht dazu führen, dass sie dem neuen Dogma der Blockrandbebauung die Lebensqualiät im Innenblock opfern und Hinterhofsituationen schaffen.
Wie sind Sie mit diesem Dilemma umgegangen?
Ich finde, dass unser erster Preisträger Herr Mäckler das sehr elegant gelöst hat, indem er eine neue Schicht reinlegt, die klar als etwas anderes erkennbar ist. Er hat das sogar farblich abgesetzt – das müssen wir uns noch mal überlegen. Aber das erschien uns als ein Weg, der die bestehenden Strukturen nicht platt macht. Ob das trägt, werden wir in den nächsten Monaten mit sehr viel Detailstudien rausbekommen.
Ist es nicht problematisch für das soziale Gefüge, wenn neue, solventere Mieter in eine „neue Schicht“ ziehen und sich damit klar von den jetzigen Bewohnern abheben?
Wir sind ja nicht einfach in das Verfahren rein gesprungen. Wir haben Marktanalysen erstellen lassen. Die interessanteste Frage war: Wer ist eigentlich unsere Zielgruppe? Was mir nicht klar war: Laut unseren Gutachtern sind unsere Zielgruppe die Bewohner vor Ort. Und zwar die, die über gutes Einkommen verfügen, evtl. ein bisschen älter werden und deswegen entsprechenden Komfort suchen. Sie haben uns vorgeschlagen, genau für diese Zielgruppe zu bauen.
Haben die jetzigen Gropiusstädter ein Vormietrecht?
Nein. Wir werden das einfach normal anbieten und dann werden wir ja sehen, was passiert.
Wie reagieren die Bewohner auf die geplanten Maßnahmen?
Meine Erfahrung ist, wenn sie es nicht sorgfältig und hart an der Wahrheit kommunizieren, produzieren sie schnell Ängste. Deshalb haben wir die Bewohner bereits schriftlich informiert, und Ende Januar war die erste Mieterversammlung. Jetzt ist eine gewisse Beruhigung eingetreten. Wir donnern den Leuten nicht ungefragt etwas vor die Nase, sondern gehen einen sorgfältigen Abstimmungsprozess. Und die Ersten haben sich sogar schon erkundigt, ob man da wohnen kann.
Und wer soll in die frei werdenden Wohnungen ziehen?
Ursprünglich hatten wir die Leute im Auge, die eines Tages am neuen Flughafen arbeiten werden, der ja nicht weit weg liegt. Die meisten der 25.000 Beschäftigten, die dort arbeiten werden, gehören dem Niedriglohnsektor an. Für die kommt die traditionelle Gropiusstadt in Betracht.
Wie viele neue Wohnungen sollen entstehen?
Wir planen erst mal ca. 200 Wohnungen. Die Bewohner werden erst ein Urteil abgeben können, wenn etwas steht. Entsprechend können wir dann planen, wie es weitergehen soll.
Was sind jetzt die nächsten Schritte?
Wir haben zunächst eine Reihe von Gutachten in Auftrag gegeben, um Fragen wie die Verschattung zu klären. Ich würde gerne im Sommer neue Entwürfe haben und danach in die Feinplanung gehen. Ob wir 2014 dann auch bauen, hängt ein bisschen vom Geld ab und vom politischen Druck.
Wo werden die Baumaßnahmen beginnen?
Am Zwickauer Damm und der Fritz-Erler-Allee. Ich glaube, das sind Bereiche, die die Menschen am wenigsten beeinträchtigen, aber gut zeigen, wie die Entwicklung aussehen kann. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir den Leuten so die Vorteile zeigen können. Die öffentlichen Räume werden vielleicht ein wenig erlebbarer, ohne dass die bestehenden, sehr spannenden Strukturen kaputt gehen. Wissen Sie, seit ich mich damit beschäftige, bin ich richtig so ein bisschen Fan dieser Strukturen geworden. Ich finde, die haben was. Ich wohne da nicht, aber, sagen wir es mal so, nicht weit weg davon. Und ich finde das schon toll.
Werden die Neubauten so aussehen, wie in den Renderings?
Da bin ich ein bisschen skeptisch. Das erinnert mich ein wenig an amerikanische Städte von vor 150 Jahren ...
Das heißt, Sie hätten es lieber ein bisschen moderner?
Ich denke schon. Aber das ist ja dann Fassadenkleberei.
Fakten
Architekten Albers, Bernd, Berlin; Barkow Leibinger Architekten, Berlin; Mäckler, Christoph, Frankfurt am Main; Woelk, Imke, Berlin;
aus Bauwelt 7.2013
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