Bauwelt

Schönheit und Verschwendung

Opulente Art-déco-Schau in Paris

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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Detail eines Schranks von Jacques-Émile Ruhlmann, 1920
Fotos: Cité de l’Architecture & du Patrimoine/Gaston Bergeret, 2013

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Detail eines Schranks von Jacques-Émile Ruhlmann, 1920

Fotos: Cité de l’Architecture & du Patrimoine/Gaston Bergeret, 2013


Schönheit und Verschwendung

Opulente Art-déco-Schau in Paris

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Der Kunstgewerbeschau Exposition internationale des Art décoratifs et industriels modernes des Jahres 1925 in Paris haftet etwas Legendäres an. Mit ihr hat sich der Begriff Art déco durchgesetzt; aber was er beschreibt, vor allem was auf dieser Freiluftausstellung an der Seine gezeigt wurde, bleibt undeutlich.
Es war jedenfalls die Zeit, in der die Dritte Republik Frankreichs ihre vielleicht größte Blüte erlebt, finanziert nicht zuletzt durch die enormen Reparationszahlungen, die dem geschlagenen Deutschen Reich im Vertrag von Versailles auferlegt worden waren.
Die aktuelle Ausstellung 1925, quand l’Art Déco séduit le monde in der Cité de l’architecture et du patrimoine ist die erfolgreichste, die die „Cité“, das Pariser Architekturmuseum, je erlebt hat. Die Besucher drängen sich vor den Vitrinen mit Vasen aus Sèvres, den Möbeln aus erlesenen Tropenhölzern von Jacques-Émile Ruhlmann und den Kleidern von Coco Chanel. Es ist, als ob es erneut als Magnet wirkt: das Bedürfnis nach Schönheit und Verschwendung, das damals die Massen elektrisierte, die sich doch die gezeigten Produkte nicht im Entferntesten leisten konnten.
Art déco war im wesentlichen eine Pariser Angelegenheit. Nur hier lebten jene großbürgerlichen Konsumenten in genügender Anzahl, die sich die jeweils neuesten Angebote auf ihre Wünsche hin maßschneidern lassen konnten, vom Automobil bis zur Villa. Die neue Mode des Sommer-Aufenthalts an der Cote d’Azur brachte jenen Schiffsstil mit sich, der die Villen des Art déco, die aussehen wie an Land gegangene Yachten, so unwiderstehlich macht. Robert Mallet-Stevens mit seiner Villa Noailles in Hyères prägte 1929 das luftig-leichte Ideal dieser vermeintlich unbeschwerten Jahre. Überhaupt wurde der Schiffbau zur puren Fantasieproduktion. In der Ausstellung ist denn auch ein Farbfilm vom Leben und Treiben an Bord der 1935 in Dienst gestellten „Normandie“ zu sehen, dem wohl schönsten Transatlan­tikdampfer, den es je gegeben hat.
Über die Ausstellung von 1925 selbst ist in der Cité nicht viel zu erfahren. Weder der sowjetische Pavillon von Konstantin Melnikow noch der Pavillon de l’Esprit nouveau von Le Corbusier und Pierre Jeanneret finden die gebührende Erwähnung. Allgemein handelte es sich bei der Kunstgewerbeausstellung von 1925 um eine Mischung aus nationalen und kommerziellen Pavillons. Es ging darum, einen neuen französischen dekorativen Stil zu lancieren und vor allem, den Konsum anzuregen.
Die Architektur des Art déco ist disparat. Sie erklomm ihren Höhepunkt erst ein Jahrzehnt nach der Pariser Leistungsschau, Mitte der 30er Jahre, ja eigentlich erst zur Weltausstellung von 1937. Die großen Palais, Chaillot und Tokyo, die zu diesem Anlass aus dem Boden gestampft wurden, zeigen in der eleganten Verbindung von monumentalen Bauformen, skulpturalem Dekor und gefällig angelegtem öffent­lichen Raum jene bühnenbildartige Qualität, die 1925 naturgemäß noch nicht ausgereift sein konnte.
Was genau ist Art déco?
Herrliche Modelle sind in der Cité zu sehen. Der schlan­ke Turm, den Robert Mallet-Stevens für die „Maison du tourisme“ aufgerichtet hatte, sieht im Modell noch eindrucksvoller aus, steht ihm doch kein Beaux-Arts-Protzbau im Wege wie in der Wirklichkeit von 1925. Licht und hell sollte alles sein, gerade auch die öffentlichen Bauten. Diese Botschaft kam nach den Jahrzehnten überladener Eklektizismus-Bauten besonders an. So baute Urbain Cassan 1928 den Bahnhof der verrußten Bergarbeiterstadt Lens mit einem tonnengewölbten Dach, bestens beleuchtet dank der damals so beliebten Glasbausteine. Das Rathaus von Boulogne-Billancourt vor den Toren von Paris errichtete Tony Garnier einerseits einschüchternd klotzig, andererseits mit vollständig durchfensterten Wänden vor den Arbeitsplätzen der Kommunalbeamten.
Art déco war ein Gesamtkunstwerk. Damit liegt der Stil auf der Linie der Zeit, die nach einer Neu­ordnung des ganzen Lebens strebte. Es ist kein Wunder, dass sich die neue Auffassung am deutlichsten im Bau von Ladengeschäften und Firmenrepräsentanzen aussprechen konnte, die die Modernität als solche im Ausweis führten. Doch entstanden auch Sozialwohnungsbauten in einem eher blockhaften Art déco, so von Henri Sauvage.
Eine durchgängige Definition des Art déco lässt sich kaum formulieren. Am ehesten kann man das Dekorative anführen, das gegenüber der Konstruktion und der bloßen Funktion den Vorrang erhält. Art-déco-Bauten erklären dem Betrachter gewissermaßen, welchem Zweck sie dienen. Paris schwelgte in einer Eleganz, die den harten, harschen Formen des Nordens, vom holländischen de Stijl über das deutsche Bauhaus bis zu Wchutemas in Sowjetrussland, gänzlich fremd war. Es ging nicht um Massenproduktion, schon gar nicht um Massenbedürfnisse. Die Ausstellung in dem langgestreckten, leicht gebogenen Untergeschoss der Cité überrascht mit immer neuen Schönheiten, mit Schmuck, Kleidern, Möbeln, denen die Architektur den Rahmen liefert. Man darf sich an Art déco erinnern als einen Auswuchs des Luxus und zugleich eine Formensprache, die dem breiten Publikum eine bis dahin unbekannte Würde gewährte. Nicht die Moderne eines Le Corbusier ist der tiefere Ausdruck der 30er Jahre, sondern der Staatsstil der Bahnhöfe und Postämter zu Zeiten von Republik und Volksfrontregierung. 

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