Bauwelt

„Seit dem Abriss fehlt etwas“

Der Tankwart

Text: Spix, Sebastian, Berlin

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Gustav Harm
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„Seit dem Abriss fehlt etwas“

Der Tankwart

Text: Spix, Sebastian, Berlin

Gustav Harm führte bis vor einem Jahr in seinem Wohnhaus eine Tankstelle. Seit der Eröffnung 1952 wurde das Haus am Plöner See ständig umgebaut.
Das Haus von Gustav Harm liegt im Zentrum des Luftkurorts Bosau in der Holsteinischen Schweiz. In dem Backsteinhaus im Zentrum des 764-Seelen-Dorfs führte Harm 40 Jahre lang eine Tankstelle, die der Vater eröffnet hatte. Aber nicht nur das – Harms Geburtshaus vereinte in den fünfziger Jahren diverse Funktionen: Schuster, Fahrradverleih und Postamt. Bedingt durch diese gewerbliche Vielfalt wurde das Haus un-ter der Regie der Familie ständig umgebaut; die Anpassungen an die wechselnden Mineralölfirmen prägten das Gebäude im Verlauf der letzten 60 Jahre. Vor allem eine markante Pilzstütze, die bis vor kurzem ein Vordach über den Zapfsäulen trug, erinnerte an das von Peter Behrens 1927 entworfene Tankstellen-Design für Gasolin. Ob Altkanzler Helmut Schmidt, der schon in der Sechzigern regelmäßig nach Bosau reiste, auch bei Harms getankt hat, und was mit der Tankstelle seit der Schließung im vergangenen Winter passiert ist, erzählt der ehemalige Tankwart bei einem Besuch in seiner Küche.
Ihre Familie eröffnete 1952 die Tankstelle in Bosau. Wie kam es dazu?
Gustav Harm | Mein Vater war eigentlich Schuster und hatte hier im Haus einen Laden. Ein Freund meines Vaters wollte in Bosau eine Tankstelle eröffnen. Der bekam dann allerdings einen Job bei Mercedes und überredete meinen Vater, die Tankstelle ohne ihn und auf unserem Grundstück zu eröffnen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Im Sommer 1952 wurden einfach ein paar Kartons Öl, ein Messeimer und eine Pumpe mit einem 200-Liter-Fass und zwei 5-Liter-Messgläser Sprit geliefert – damit begann es.
Hat Ihr Vater für die Tankstelle einen Architekten beauftragt?
Nein. Er hat einfach selbst zwei runde Tank-Säulen vor unser Haus gebaut. Mit der Benzinfirma Gasolin hatte er einen Vertrag geschlossen, dass er Benzin auf seinem Grundstück im Namen der Firma verkauft. 1954 ließ Gasolin einen 10.000-Liter-Tank unterirdisch vergraben und das Vordach mit der Stütze anbauen. Für den Umbau musste mein Vater etwa 3000 DM abbezahlen.
Wer hat damals das Tankstellen-Design entworfen?
Einen Entwurf gab es nicht. Mein Vater hat eine Art Mast von einem Bauunternehmen bauen lassen, vierkantig, aus einem Doppel-T-Träger. Gasolin wollte allerdings eine runde Stütze. Also wurde sie mit Pappe und gepressten Sägespänen rund geformt. Ein paar Jahre später eröffnete Gasolin in Plön eine Tankstelle, bei der man für die Stützen dann standardisierte Gießformen verwendete.
Sie wurden zum Radio- und Fernsehtechniker ausgebildet. Warum haben Sie die Tankstelle übernommen?
Ich habe 1965 die Lehre bestanden – aber das war nicht mein Ding. Ich bewarb mich bei der Post und wurde mit einer 48-Stunden-Woche Post-Angestellter. Meine Eltern waren zu dieser Zeit schon sehr krank. Die Tankstelle habe ich einfach parallel mit meiner Familie zusammen betrieben.
Sie waren bei insgesamt 5 Benzinfirmen unter Vertrag ...
Ich war bei Gasolin, die 1972 von Aral übernommen wurden. Unsere Tankstelle passte auf einmal nicht mehr in deren Netz. Sie wollten eigene, große Stationen ohne Bedienung.
Aral war Ihre Tankstelle zu klein?
Richtig. Ich hab damals 300.000 Liter Kraftstoff verkauft, das entspricht ungefähr 14 Tankfüllungen am Tag. Am Buß- und Bettag 1980 flog ich schließlich bei Aral raus. Die Welt ging unter!
Aber es ging weiter ...
Ich schrieb nach der Kündigung die großen Benzinfirmen an; alle haben abgesagt. Doch 1981 kam ein BP-Vertreter und sagte: „Zu klein. Aber wir haben noch eine Tochter-Firma, die sucht so was noch.“ Ein paar Tage später kam ein Vertreter von Fanal und wir einigten uns auf Selbstbedienung – es ging weiter! Als 2001 BP England die Firma Aral übernahm, bin ich wieder Aral „geworden“.
1997 haben Sie die Tankstelle komplett umgebaut.
Wir ließen für 200.000 DM eine flüssigkeitsdichte Fahrbahn und einen Fernfüllschacht bauen. Dafür wurden die Zapfsäulen abgerissen und zur Einführung von „bleifrei“ ein weiterer Tank eingebaut. Alles wurde von BP gestellt. Man musste es nachher nur bezahlen.
Und anschließend mussten Sie von BP die Registrierkasse kaufen?
Ja, aber ich bekam die Tanksäulen und 20.000 DM geschenkt. Sechs Jahre später wechselte ich zu Star. Mittlerweile gibt es ein neues Urteil, nach dem die Benzinfirma dem Tankstellen-Betreiber die Ausstattung stellen muss.
Ab 1972 haben Sie neben der Tankstelle einen Fahrradverleih angeboten, bis 2004 leiteten Sie die Postfiliale. Hatten Sie jemals Feierabend?
Es hat eigentlich immer geklingelt. Ich hatte zwei Klingeln – eine für die Post und eine fürs Tanken. Im letzten halben Jahr war mir das früh aufstehen ein bisschen lästig. Ich stand um halb sieben auf, um einem Stammkunden die Bild zu verkaufen. Dann habe ich mir die Ost-Holsteiner geschnappt und hier in der Küche gelesen, bis der nächste Kunde kam.
Kam es niemals zur Überschneidungen mit der Kundschaft?
Manchmal hab ich Kunden an der Tankstelle stehen lassen und mich zuerst um die Post gekümmert. Die war für mich wichtiger; da hatte ich ja einen Dienstherrn.
Sind Ihnen kuriose Geschichten passiert? Überfälle?
Einen Überfall hat es nicht gegeben. Aber zerstreute Autofahrer. Einer holte gegenüber in der Bank seine Kontoauszüge, kommt wieder, setzt sich ins Auto und fährt los. Der hat die Säule richtig kaputt gemacht.
Helmut Schmidt wollte in Bosau ein Haus kaufen – hat er auch bei Ihnen getankt?
Das weiß ich nicht. Der ist ja schon in den Fünfzigern, als er noch Senator in Hamburg war, Gast im „Strauers Hotel“ gewesen. Das Haus, das er kaufen wollte, war ihm offenbar zu teuer. Aber er ist oft gekommen und hat in Bosau viele Feste gefeiert. Im vergangenen Herbst kam er spontan, mit seiner Elbsegler-Mütze auf dem Kopf, angefahren und verab­schiedete das in Rente gehende Ehepaar Strauers vom Hotel.
Sie haben die Tankstelle seit 1965 geführt – was war der Anlass für die Schließung?
Man muss den Zeitpunkt zum Aufhören selbst bestimmen. Ich war über 35 Jahre Dorfvorsteher. Einmal bin ich abgewählt worden, aber nach vier Jahren wollten sie mich wieder haben. Auch bei der Post hätte ich weitermachen können und habe mit 63 aufgehört. Wir hatten eine schöne Zeit mit der Tankstelle; der Vertrag mit Star lief aus und ich wollte zu meinem Siebzigsten aufhören.
Mit der Schließung Ihrer Tankstelle gibt es in Bosau kein Kleingewerbe mehr.
Nachdem der Kaufmann 2006 gestorben war, wurde dessen Laden geschlossen. Der Bäcker macht von November bis Februar nur am Wochenende auf. Das Gasthaus „Zum Frohsinn“ hat vor drei Jahren seinen Mittagstisch unter der Woche eingestellt. In Plön und in Hutzfeld haben EDEKA-Märkte eröffnet, die haben sehr viel Kundschaft abgezogen. Wir waren bis zur Schließung der letzte ruhende Pol im Ort.
Gab es die Überlegung Ihre Tankstelle zu vermieten?
Zu keinem Zeitpunkt. Star prognostizierte, dass der Umsatz als Automatentankstelle auf 25 Prozent zurückgehen würde. Und wegen 5000 Euro Mieteinnahmen im Jahr immer Besuch und Lärm im Vorgarten? Meine Frau und ich haben daraufhin entschieden, aufzuhören und den Ruhestand zu ge­nießen. Ich bin in der glücklichen Lage, 40 Jahre bei der Post angestellt gewesen zu sein und nun eine Rente zu bekommen.
Aber warum haben Sie kürzlich die Pilzstütze abgerissen?
Ich fand sie nicht mehr schön; sie wurde nicht mehr gebraucht und musste weg. Außerdem wollten wir den alten Zustand des Hauses wiederherstellen. Trotzdem fehlt jetzt nach dem Abriss etwas.
Gasolin hat 1927, um dem Vorwurf der Verunstaltung der Umwelt zu entgehen, Peter Behrens beauftragt, komplette Tankstellen zu entwerfen ...
Wenn das ein erhaltungswürdiger Bau gewesen wäre, hätte ich sicherlich Schwierigkeiten gehabt, die Stütze abzureißen. Ich habe einfach Glück gehabt, dass man die nicht unter Denkmalschutz gestellt hat.
Warum eigentlich nicht?
Keine Ahnung. Ich hab nicht gefragt, und bei mir hat sich auch keiner gemeldet.

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