Bauwelt

Selbst ein Stück historische Stadt

Ein Symposium widmete sich dem Freiraum am Berliner Fernsehturm

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

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Selbst ein Stück historische Stadt

Ein Symposium widmete sich dem Freiraum am Berliner Fernsehturm

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

Der Freiraum am Berliner Fernsehturm sorgt immer wieder für Diskussionen. Soll der öffentliche Raum dort so erhalten bleiben, wie er ist? Soll er „zeitgemäß“ umgestaltet werden? Oder gar wieder dicht bebaut, wie vor dem Krieg?
Das Dilemma der Debatte: Sie wird einerseits ausgesprochen hitzig geführt, ist andererseits aber durch weitgehende Unkenntnis von Fakten gekennzeichnet. Deshalb war es längst überfällig, eine wissenschaftliche Basis für den Umgang mit diesem Ort zu schaffen. Das Symposium „Frei-Raum unter dem Berliner Fernsehturm: Historische Dimensionen eines Stadtraums der Moderne“, im Mai veranstaltet vom Center for Metropolitan Studies und dem Fachgebiet Kunstgeschichte der TU Berlin, nahm sich der Sache an. Während der fast zehnstündigen Veranstaltung kamen die unterschiedlichsten Facetten dieses Stadtraums zum Vorschein.
Zum Einstieg gab Kerstin Wittmann-Englert, Vorsitzende des Berliner Landesdenkmalrats und gemeinsam mit Paul Sigel Organisatorin der Konferenz, Kostproben der vielen Negativzuschreibungen. Demnach sei das Gebiet am Fernsehturm entweder eine ungestaltete Brache oder eine DDR-Staatsachse, die nach dem Ende der DDR ihren Sinn verloren habe. Oft werde auch behauptet, dass die Freianlagen mit dem brachialen Abriss der Berliner Altstadt erkauft worden seien. Diese (Vor-)Urteile wurden in der Folge mit den Ergebnissen bauhistorischer Forschungen konfrontiert. So sei die Berliner Altstadt, wie der Bauhistoriker Benedikt Goebel darlegte, keineswegs während der DDR-Zeit, sondern schon viel früher zerstört worden. Von den rund 1100 Gebäuden, die 1840 in Alt-Berlin existierten, seien bis 1940 rund 1000 bereits verschwunden gewesen.
Roman Hillmann und Axel Zutz nahmen sich der Planungen der DDR-Zeit an; in einem Filminterview kam auch Landschaftsarchitekt Hubert Matthes zu Wort, der Gestalter der Flächen am Fernsehturm. So sei der zwischen 1968 und 1986 entstandene Freiraum eben nicht als „Staatsachse“ für Aufmärsche und Demonstrationen, sondern als weltläufiger Ort für Einkauf, Tourismus und Erholung geplant worden. Entsprechend habe Matthes ein Konzept für einen zwanglosen und offen Freiraum entwickelt – im Grunde ein Gegenentwurf zur Demonstrations- und Paradestraße Karl-Marx-Allee – mit Wasserkaskaden, die nachts farbig beleuchtet wurden, Rosenbeeten, Bosketten und schließlich den von Walter Herzog und Heinz Aust entworfenen Pavillonbauten mit ihren gefalteten Dächern.
Hochkarätiger Stadtraum der Moderne
Die den Freiraum einfassenden Bauten wiederum hätten die verschiedensten Ideen der Moderne aufgegriffen. So ließen sich die Rathauspassagen von Heinz Graffunder und die Wohnscheibe an der Karl-Liebknecht-Straße von Wolfgang Radtke als Auseinandersetzung mit Le Corbusiers Konzept für Großwohnbauten lesen; neben Wohnungen gab es dort Geschäfte, Gaststätten, eine Post, einen Supermarkt, einen Bowlingkeller und auf dem Dach einen Kindergarten. Der Fernsehturm (Entwurf: Fritz Dieter, Günter Franke, Werner Ahrendt) dagegen greife Stadtkronen-Ideen aus dem frühen 20. Jahrhundert auf, während seine Ästhetik – die silbrige Kugel, die an den Sputnik erinnere, und der raketenförmige Turmschaft mit den Bullaugenfenstern – die Raumfahrt- und Technikbegeisterung der 60er Jahre widerspiegele. Schließlich, so Hillmann und Zutz, sei auch die komplexe Geschichte dieses Ortes in den Entwurf integriert worden; die wichtigsten Monumente, die für jeweils eine Epoche stehen – die Marienkirche für das Mittelalter, das Rote Rathaus für die Gründerzeit, der Fernsehturm für die Moderne – stellte man frei, um sie miteinander in einen Dialog zu bringen. Das eindeutige Fazit der beiden Referenten: Bei dem Freiraum handele es sich um einen hochkarätigen Stadtraum der Moderne, der mittlerweile auch ein Stück „historische Stadt“ sei und unbedingt erhalten werden müsse.
Die Nutzung des Freiraums am Fernsehturm durch Jugendliche aus Subkulturen, die Geschichte des Marx-Engels-Denkmals und die Transformation des Ortes nach 1990 waren Themen weiterer Beiträge. Doch wie sieht die Zukunft des Areals aus? Manfred Kühne von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wertete die Ausweitung des Denkmalschutzes im vergangenen Jahr als Fortschritt. Während bisher nur der Fernsehturm mit seiner Fußbebauung und die Marienkirche unter Denkmalschutz standen, sind nun auch die Kaskaden und der Neptunbrunnen mitsamt seiner Umgebung unter Schutz gestellt. Martina Levin vom Landschaftsplanungsbüro Levin Monsigny präsentierte die aktuelle Sanierung der Freiflächen, die ihr Büro vornimmt. 
In der Abschlussdiskussion wurde dem Freiraum am Fernsehturm weitgehende Wertschätzung entgegengebracht: Gabi Dolff-Bonekämper, Denkmalpflege-Professorin an der TU Berlin, schwärmte von der Weite des Raums, Manfred Kühne sprach von einem „faszinierenden Raum“, Berlins ehemaliger Kultursenator Thomas Flierl verwies auf die Chancen des Freiraums. Einzig der ehemalige Hauptstadtplaner Florian Mausbach mochte sich nicht recht für den Ort begeistern; er wünscht sich die Entwicklung hin zu einer stärker bürgerlich geprägten Mitte. 

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