Stadt und Energie
Editorial
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
Stadt und Energie
Editorial
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
Dämmst Du noch oder planst Du schon? Sieht man sich derzeit um in Deutschland, könnte man den Eindruck erhalten, die Sache mit Klimaschutz und Energiesparen sei eigentlich ganz simpel: dämmen, dämmen, dämmen.
Aber so einfach ist es nicht. Spätestens, wenn man sich den Alltag eines Bewohners in seinem, sagen wir einmal, Nullenergiehaus vor Augen führt – Wie kommt der Mensch zur Arbeit? Was nimmt er zu sich? Wo verbringt er seine Freizeit? –, wird einem nach und nach die immense stadtplanerische Dimension des Themas klar. Die Häuser, in denen wir leben, mögen sich in ferner oder naher Zukunft selbst mit Energie versorgen können; auf ihre Bewohner trifft dies nicht zu. Von der Fahrt „ins Grüne“ bis zum Kauf der Mango aus Spanien verbrauchen wir Städter eine Menge Energie, deren unumgängliche Reduktion uns in Zukunft weit mehr schmerzen wird als die architektonische Verunstaltung einiger Fassaden.
Schon jetzt verbrauchen die Städte weltweit mehr als zwei Drittel aller genutzten Energie, und die Tendenz steigt so rapide wie die Anzahl der Stadtbewohner. Mit einem Anteil von 76 Prozent am Kohlen-, 63 Prozent am Öl- und 82 Prozent am Erdgas-Verbrauch sind sie zugleich unter den größten Verursachern des Klimakillers Kohlenstoffdioxid. Weltweit entfallen u.a. fast 14 Prozent der CO2-Emissionen auf die Landwirtschaft, die vor allem die Städte mit Nahrung und Kleidung versorgt, 14 Prozent auf den Verkehr, 25 Prozent auf die Strom- und Wärmeerzeugung, knapp vier Prozent auf die Müll- und Wasserentsorgung und 18 Prozent auf die Veränderung der Bodennutzung durch Urbanisierung. Wo einerseits am meisten Menschen zusammenkommen und Energie verbrauchen, sich andererseits aber auch die Funktionen des täglichen Lebens am effizientesten bündeln lassen, sind auch die Einsparpotenziale am größten. Platt gesagt: Wenn wir den westlichen Lebensstil über das Energiezeitalter hinaus retten wollen, müssen wir bei den Städten anfangen.
Doch selbst wir im Vorzeige-Co2-Spar-Land Deutschland scheinen beim Denken in gesamtstädtischen Dimensionen noch ganz am Anfang zu stehen. Fern von politischen Absichtserklärungen werden oft einzelne Aspekte der Infrastruktur getrennt voneinander verfolgt, ohne dass man sich der Auswirkungen vollends bewusst ist (auch wenn Pilotprojekte hier wichtige Basisarbeit liefern, siehe S. 32). Dass beispielsweise das Dämmen ganzer Viertel sogar nachteilig für die Effizienz zentraler Fern- oder Nahwärmesysteme sein kann, wenn diese nicht ebenfalls angepasst werden, ist nur einer der harten Fakten jenseits der guten Absichten, die ab Seite 22 vorgestellt werden.
Gerade in Klimafragen leben wir allerdings nicht auf einer Insel. Wir haben deshalb den Blick auch über den heimischen Tellerrand gerichtet und internationale Wissenschaftler und Stadtplaner gebeten, uns vom aktuellen Stand der energieeffizienten Stadtplanung in ihren Ländern zu berichten. Inwieweit werden Probleme und Potenziale auch städtisch wahrgenommen und diskutiert, und inwieweit konzentrieren sich die Bemühungen noch zu sehr allein auf die Optimierung von Gebäuden? Welche Ideen gibt es für nachhaltiges Wachstum? Was wird vom jeweiligen Staat gefördert und gefordert, und wie verorten sich einzelne Städte?
Die Antworten stimmen beileibe nicht mit den Wissensfetzen überein, die sich im Laufe der Zeit im Kopf des gemeinen Mitteleuropäers über gewisse Länder angesammelt haben. USA – ganz schlimm, oder? Ja. Aber – bei der Zertifizierung von Nachhaltigkeit auf städtischer Ebene schon viel weiter, als man den Kyoto-Boykottierern zugetraut hätte. Oder China – Erster beim Wachstum, Letzter bei der Umwelt? Tatsächlich ist hier nicht nur die Problematik größer, sondern auch die Macht zur Umsetzung von Maßnahmen – im Guten wie im Schlechten. Schon allein zur Sicherung ihrer eigenen Lebensgrundlage diskutieren chinesische Planer inzwischen dieselben Maßnahmen wie wir im Westen – und verwerfen manche aus denselben wirtschaftlichen Überlegungen. Nicht zuletzt hängt die Entwicklung des weltweiten Energieverbrauchs maßgeblich davon ab, ob Bevölkerung und Planer in Entwicklungs- und Schwellenländern wie Indien die westlichen Muster sorglosen Wachstums und Konsums auch im 21. Jahrhundert ebenso sorglos kopieren. Auf der Suche nach Gegentrends landeten wir letztlich im Iran – warum, lesen Sie ab Seite 64.
Ob verpulvert oder gespart – Energie kann man nicht sehen. Deshalb haben wir die Bildebene der Beiträge von den Texten gelöst. Was in der Planung längst verpönt ist, optisch ist es erlaubt und schärft den Blick: die strenge Trennung nach Sektoren. Die thematischen Fotoserien zeigen u.a. verschiedene Stadtstrukturen im maßstabsgerechten Vergleich (S. 22–31), das Chaos in einer Stadt ohne Strom (S. 40–47) oder Recycling von Konsum-Müll in Indien (S. 56–63) – und bieten so wiederum jede Menge Anknüpfungspunkte zu den in den Texten angesprochenen Problemen und Möglichkeiten der Städte.
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