Stadt zum Verkauf
Warschau wehrt sich gegen ein Übermaß an Reklame
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Stadt zum Verkauf
Warschau wehrt sich gegen ein Übermaß an Reklame
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Vielerorts besetzt Werbung den öffentlichen Raum. In Warschau nimmt sie ihn regelrecht in Beschlag. Das dortige Museum für zeitgenössische Kunst widmet seine erste Schau im neuen Interimsquartier Geschichte und Gegenwart dieser Vereinnahmung.
1844 verfügte die Regierung im fernen St.Petersburg, dass in Warschau jedes Ladengeschäft neben polnisch auch russisch auszuschildern sei. Kam in manchen Vierteln noch das Jiddische hinzu, nahm das Gewirr der Zeichen an den noch frischen Gründerzeitfassaden groteske Ausmaße an. Im Ersten Weltkrieg befahlen die deutschen Besatzer, die russischen durch deutsche Inschriften zu ersetzen. Dem optischen Chaos endlich Einhalt zu gebieten, traten Werbeagenturen in den 20er Jahren an – auch in Polen das Jahrzehnt weltsüchtigen Art décos: mondäne Figuren in eleganten Roben und mit modernsten Ponyfrisuren warben für Zigaretten, Waschmittel, Autoreifen.
So wurde die Grundlage geschaffen für die weltweit bewunderte polnische Plakatkunst. Deren Siegeszug begann, als sozialistische Stadtplaner Mitte der 50er, ermüdet von den ewigen Aufbau- und Zukunftsparolen, eine Rückkehr zur bürgerlichen Reklamekultur forderten, um „das urbane Lebensgefühl der Städte zu bereichern“. Eine Riesenmanufaktur entstand, die mit Tausenden Kilometern Neonröhren nach opulenten Entwürfen eigener Designbüros den Wiederaufbau an der Weichsel eindrucksvoll illuminierte.
So unterhaltsam lässt sich die Geschichte der Werbung im Stadtbild erzählen. Doch die Kuratoren der Ausstellung „Miasto na sprzedaż“ (Stadt zum Verkauf), mit der das Muzeum Sztuki Nowoczesnejw Warszawie Anfang Oktober seinen Interimsstandort im ehemaligen Möbelhaus EMILIA erstmalig für das Publikum öffnete, haben mehr im Sinn als Stilvergleich oder Heimatkunde. Was sie am Beispiel Warschaus aufblättern, ist eine Revue der Mittel und Methoden, wie seit Beginn des Industriezeitalters das Medium „Reklame“ sich auf den öffentlichen Raum auswirkte. Und wie es ihn neuerdings zu überwältigen, ja auszulöschen droht. Denn am Ende dieser Bildungsreise entlang alten Fotos und Emailleschildern, Zeitzeugeninterviews, nachgebauten Schaufenstern, Entwurfsblättern und Spielfilmschnipseln wartet im Obergeschoss noch eine letzte Abteilung: die Gegenwart! In der scheint Warschau um obskure Rekorde zu kämpfen – um die komplettest verhüllten Hochhäuser, um die rücksichtsloseste Verschandelung von Baudenkmalen. Auf Jahre hinaus haben internationale Konzerne die wichtigsten Straßenkreuzungen gemietet, um sie Saison für Saison mit neuen Gigantbildern zu verhängen. Mehr als drei Dutzend Gesetze sind mit der Frage befasst, irgendeinen Paragrafen findet ein Investor immer, der ihm freie Hand gewährt. Sechs Monate prozessierte das Denkmalamt um allein eine einzige Fassade. Wen wundert da aufkeimende Resignation.
Während zuständige Politiker sich hinter den Prinzipien schrankenloser Marktfreiheit verschanzen, sinnen Bürger auf Gegenwehr. Die „Befreiung“ des unlängst renovierten Zentralbahnhofs durch eine Facebook-Kampagne (Bauwelt 20.12) darf als erster Erfolg solchen „Wutbürgertums“ gelten. In der Schau kommen gleich mehrere Künstlerinitiativen zu Wort, die mal witzig, oft schlicht verzweifelt gegen die optische Vermüllung ihrer Stadträume
zu Felde ziehen. Dass zur Eröffnung viele Hundert Menschen die Hallen füllten, hatte sicher mit der Brisanz des Themas zu tun und erleichterte der Oberbürgermeisterin die Begrüßungsworte nicht.
Stadt zum Verkauf: Auf pikante Weise lässt sich der Ausstellungstitel auch auf die Situation des Museums beziehen, das nach wie vor auf eigene Räume wartet. Christian Kerez aus Zürich, dem Sieger des Neubauwettbewerbs von 2007 (Bauwelt 11.07), wurde Anfang dieses Jahres der Vertrag gekündigt. Zwar gibt es weiterhin Willensbekundungen für einen Neubau, doch am vorgesehenen Standort klafft derzeit eine riesige U-Bahn-Baustelle. Das als Ersatz ins Spiel gebrachte EMILIA wurde dem Museum (bzw. der Stadt) buchstäblich vor der Nase weggekauft – mit Baurecht für ein Hochhaus. Der neue Besitzer hatte dem Museum einen Nutzungsvertrag über vier Jahre gewährt, möchte jetzt aber schnellstmöglich abreißen, bevor der Glaskubus mit seiner markanten Dachfaltung (Architekten Kuźniar, Wegner, Lewicka, 1965–70) auch formell auf der Denkmalliste landet.
So wurde die Grundlage geschaffen für die weltweit bewunderte polnische Plakatkunst. Deren Siegeszug begann, als sozialistische Stadtplaner Mitte der 50er, ermüdet von den ewigen Aufbau- und Zukunftsparolen, eine Rückkehr zur bürgerlichen Reklamekultur forderten, um „das urbane Lebensgefühl der Städte zu bereichern“. Eine Riesenmanufaktur entstand, die mit Tausenden Kilometern Neonröhren nach opulenten Entwürfen eigener Designbüros den Wiederaufbau an der Weichsel eindrucksvoll illuminierte.
So unterhaltsam lässt sich die Geschichte der Werbung im Stadtbild erzählen. Doch die Kuratoren der Ausstellung „Miasto na sprzedaż“ (Stadt zum Verkauf), mit der das Muzeum Sztuki Nowoczesnejw Warszawie Anfang Oktober seinen Interimsstandort im ehemaligen Möbelhaus EMILIA erstmalig für das Publikum öffnete, haben mehr im Sinn als Stilvergleich oder Heimatkunde. Was sie am Beispiel Warschaus aufblättern, ist eine Revue der Mittel und Methoden, wie seit Beginn des Industriezeitalters das Medium „Reklame“ sich auf den öffentlichen Raum auswirkte. Und wie es ihn neuerdings zu überwältigen, ja auszulöschen droht. Denn am Ende dieser Bildungsreise entlang alten Fotos und Emailleschildern, Zeitzeugeninterviews, nachgebauten Schaufenstern, Entwurfsblättern und Spielfilmschnipseln wartet im Obergeschoss noch eine letzte Abteilung: die Gegenwart! In der scheint Warschau um obskure Rekorde zu kämpfen – um die komplettest verhüllten Hochhäuser, um die rücksichtsloseste Verschandelung von Baudenkmalen. Auf Jahre hinaus haben internationale Konzerne die wichtigsten Straßenkreuzungen gemietet, um sie Saison für Saison mit neuen Gigantbildern zu verhängen. Mehr als drei Dutzend Gesetze sind mit der Frage befasst, irgendeinen Paragrafen findet ein Investor immer, der ihm freie Hand gewährt. Sechs Monate prozessierte das Denkmalamt um allein eine einzige Fassade. Wen wundert da aufkeimende Resignation.
Während zuständige Politiker sich hinter den Prinzipien schrankenloser Marktfreiheit verschanzen, sinnen Bürger auf Gegenwehr. Die „Befreiung“ des unlängst renovierten Zentralbahnhofs durch eine Facebook-Kampagne (Bauwelt 20.12) darf als erster Erfolg solchen „Wutbürgertums“ gelten. In der Schau kommen gleich mehrere Künstlerinitiativen zu Wort, die mal witzig, oft schlicht verzweifelt gegen die optische Vermüllung ihrer Stadträume
zu Felde ziehen. Dass zur Eröffnung viele Hundert Menschen die Hallen füllten, hatte sicher mit der Brisanz des Themas zu tun und erleichterte der Oberbürgermeisterin die Begrüßungsworte nicht.
Stadt zum Verkauf: Auf pikante Weise lässt sich der Ausstellungstitel auch auf die Situation des Museums beziehen, das nach wie vor auf eigene Räume wartet. Christian Kerez aus Zürich, dem Sieger des Neubauwettbewerbs von 2007 (Bauwelt 11.07), wurde Anfang dieses Jahres der Vertrag gekündigt. Zwar gibt es weiterhin Willensbekundungen für einen Neubau, doch am vorgesehenen Standort klafft derzeit eine riesige U-Bahn-Baustelle. Das als Ersatz ins Spiel gebrachte EMILIA wurde dem Museum (bzw. der Stadt) buchstäblich vor der Nase weggekauft – mit Baurecht für ein Hochhaus. Der neue Besitzer hatte dem Museum einen Nutzungsvertrag über vier Jahre gewährt, möchte jetzt aber schnellstmöglich abreißen, bevor der Glaskubus mit seiner markanten Dachfaltung (Architekten Kuźniar, Wegner, Lewicka, 1965–70) auch formell auf der Denkmalliste landet.
0 Kommentare