Bauwelt

Stadtmarketing oder Stadtteilkultur?

Košice 2013

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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Foto: Wolfgang Kil

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Stadtmarketing oder Stadtteilkultur?

Košice 2013

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Ein Jahr lang kann sich die „Kulturhauptstadt“ allgemeiner Aufmerksamkeit sicher sein. Doch wie langfristig wirken die Investitionen, und wie können sie die Stadt tatsächlich bereichern, anstatt ihr Kulturleben auszuzehren?
Es ist diese Frage, mit der am Beginn einer jeden Bewerbung zur „Kulturhauptstadt“ die Weichen gestellt werden: Um welchen Begriff von Kultur soll es gehen? Um ein Festival großer Namen und Ensembles, um feierliche Eröffnungen neuer Spielstätten und Museen, um Folklore-Spektakel und Massenbelustigung? Etliche solcher Events stehen auch im Kalender des Košicer Festkomitees. Und doch wurde der begehrte Titel nicht damit ins Karpatenvorland geholt, sondern mit einem Konzept, das der Auswahljury durch seinen besonderen Realismus imponiert haben muss: Unter dem Titel
INTERFACE (Begegnung) sollte eine Vielzahl von Einzelinitiativen gesammelt und gefördert werden, die die Bewohner selbst zu Anstiftern und Trägern des Wandels ihrer Stadt machen. Kultur sollte also nicht auf die Vorzeige-Altstadt und somit auf touristische Formate beschränkt bleiben, sie sollte als Lebensqualität den Alltag bereichern, um so die riesigen Wohnsiedlungen neu in die Gesamtstadt zu integrieren.
In Košice existiert eine vitale Szene junger Architekten, Sozialwissenschaftler, Kulturmanager und Künstler, die schon seit Jahren an verschiedenen Projekten dezentraler und basisorientierter Kulturarbeit bastelte. Aus diesem Kreis waren wichtige Impulse für die Kulturhauptstadtbewerbung gekommen. Die Aktivisten hatten gehofft, mit dem Rückenwind internationaler Aufmerksamkeit (und Extra-Fördergelder aus Brüssel) ihre Ideen und ihr Engagement in der Stadtpolitik besser verankern zu können. Wozu sie der Stadt verhelfen wollten, waren vor allem Strukturen, Netzwerke, Programme. Selbst wo sie auf Baumaßnahmen setzten – bei der Konversion des Kasernengeländes zum Kulturpark oder bei der Umnutzung der Wärmetauscher in den Siedlungen – ging es im Grunde darum, Räume zu schaffen für neuartige Kulturprozesse: für die Förderung junger Kreativunternehmer im „Inkubator“, für eine selbsttragende Stadtteilkultur bei den Vymeniki.
Doch ganz ohne Glamour will wohl keine Stadtregierung die Bürden einer „Kulturhauptstadt“ auf sich nehmen. Also kamen noch zwei weitere Großprojekte auf die Agenda: Weit draußen vor der Stadt brachten Archäologen alte Burgruinen ans Licht; mit einer rasch gezimmerten Freilichtbühne wurde der bewaldete Hügel zum neuen Tourismus-Hotspot aufgerüstet. Und dann war da noch das seit Jahren unbenutzbare Schwimmbad, das zur Kunsthalle werden sollte. Vielleicht können Denkmalpfleger aus diesem Exempel für den Umgang mit der Ingenieurkunst der 1950er Jahre ja etwas lernen. Doch mit den beiden zuletzt genannten Projekten rückte der eigentlich spannende Ansatz, die kulturelle Durchdringung und Ertüchtigung der riesigen Neustadtquartiere, in den Hintergrund. Am Ende war man doch wieder im Mainstream gelandet, bei Tourismus, Festivals und Gastspielattraktionen. Beim unvermeidlichen Standortmarketing.
Solche (auch personell schwierige) Vorgeschichte hat ihre Spuren im Kulturhauptstadtgeschehen hinterlassen. Dass ein zu später Baustart dann bei allzu knappen Terminsetzungen beinahe zwangsläufig auf Kosten der Bauqualität geht, weiß jeder Praktiker. Aber fast noch schwerer wiegt, was Skeptiker für die Leuchtturm-Projekte befürchten: Allein drei großformatige, überregional gewichtige Schau- und Spielplätze für zeitgenössische Kunst hat die Stadt 2013 hinzugewonnen, über deren inhaltliche Perspektiven schon für 2014 bei den feierlichen Eröffnungen noch kaum Klarheit herrschte. Sicher ist nur, dass fünf Jahre lang von Brüssel aus kontrolliert wird, ob die in der Bewerbung gemachten Versprechen auch eingehalten werden – bei Androhung schwerster finanzieller Sanktionen. Damit sind fürs erste auch Programmänderungen ausgeschlossen, mit denen man nachsteuern, vielleicht für das eine oder andere Objekt anderweitige Gelder erwirtschaften könnte. Das wiederum bedeutet, die Stadt muss ihre neuen Kulturleuchttürme mindestens fünf Jahre lang finanzieren; die freie Szene und andere, auf öffentliche Gelder angewiesene Institutionen sehen dies mit Grausen.
Wahrscheinlich haben alle „Kulturhauptstädte“ mit diesem Problem der Rückkehr in den Alltag nach dem Sonderstatus zu kämpfen. Aber es ist gut möglich, das Košice den Übergang zumindest teilweise glimpflicher als andere schafft – aus genau dem Grund, warum es den Zuschlag ursprünglich erhielt: Wer Kultur als Lebensqualität im Alltag begreift, also dezentral und nahe bei den Leuten, dem wachsen die Kulturträger und -initiativen fast von alleine nach. Bei einer alten Kaserne als Kulturpark lässt sich noch für jeden Baustein einzeln eine sinnvolle und effektive Nutzung finden, und die Vymeniki haben ihre wahre Blüte als Nachbarschaftstreffs wohl überhaupt erst vor sich, wenn sie aus der Regie fürsorglicher Sozialarbeit entlassen sind. Was die Košicer aus der Herausforderung „Kulturhauptstadt“ für sich gewonnen haben, wird erst in ein paar Jahren wirklich zu ermessen sein.

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