Bauwelt

Tempel der Egomanen

Die Villa Stuck zelebriert die Baugattung Künstlerhäuser

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

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    Sir John Soane's Museum: Die Kuppel mit Sir Francis Chantrey's Büste von Sir John Soane
    Credit: © Derry Moore

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    Sir John Soane's Museum: Die Kuppel mit Sir Francis Chantrey's Büste von Sir John Soane

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Das Atelier des Melnikow-Hauses, 1998
© VG Bild-Kunst, Bonn

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Das Atelier des Melnikow-Hauses, 1998

© VG Bild-Kunst, Bonn


Tempel der Egomanen

Die Villa Stuck zelebriert die Baugattung Künstlerhäuser

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

Schon der Eingang ein Spektakel: Abgegrenzt von der Straße durch Gartenmauer und metallisch flirrendes Tor, ist der Vorgarten nicht einfach Vorgarten, sondern eher eine Vorfahrt mit Brunnenbecken, Form­gehölzen und einer „Speerschleudernde Amazone“ genannten Großplastik.
Dahinter ein Portikus mit vier mächtigen dorischen Säulen und einer mehrläufigen Treppenanlage, die Schritt für Schritt auf den Übergang in eine andere Welt, eine erhabene Stätte vorbereitet – zusätzlich betont durch ein Fresco über dem Sturz der bronzenen Eingangstür, das in pompejisch Rot den Sitz der Pythia im delphischen Orakel zeigt. Anschließend ein Vestibül, das die dezente Farbigkeit und das feine Linienspiel der Fassade ins Innere fortsetzt. Höhe- und Endpunkt der Raumfolge ist das Atelier, in dem zwischen Tapisserien und handgemalten Friesen, Zierrahmen und Pilastern der Künstler thront – umgeben von zitierten Vorbildern wie Michelangelo, Rubens und Veláquez. Zentrum des Ateliers ist ein marmorner und mit kleinen Plastiken in Goldnischen geschmückter Altar, der Apollon geweiht ist. Der Altaraufsatz zeigt die „Sünde“, jenes zwischen der biblischen Eva und einer modernen Femme fatale oszillierende Gemälde, das der Münchner Kunstwelt an der Wende zum 20. Jahrhundert einen Skandal bescherte.
Gesamtkunstwerk
Erdacht, konzipiert und geplant hat diese Räume und die neoklassizistisch inspirierte, kubische Villa, die sie beherbergt, Franz von Stuck. Der Sohn eines niederbayerischen Dorfmüllers, der als Maler, Bildhauer und Akademieprofessor reüssierte, wurde 1906 in den Adelsstand erhoben. Das freistehende Palais hoch oben auf einer Isar-Anhöhe ist kein einfaches Wohnhaus. Es ist Weihestätte und Ikone des Sezessionsstils, oft gemaltes Motiv und zugleich Inspirationsquelle. Ein Tempel der Selbstinszenierung und Anschauungsobjekt einer kultivierten, der Stellung seines Bewohners angemessenen Lebensart und gleichzeitig Dokument permanenter egomanischer Selbstbespiegelung. Und ein Gebäude, für das die Techni­sche Universität München 1928 seinem Verfasser, unmittelbar vor dessen Tod, einen Ehrendoktortitel in Architektur verlieh. Es ist das Zentrum einer Ausstellung, die sich unter dem Titel „Im Tempel des Ich“ Künstlervillen vom Beginn des 19. bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts widmet.
Anlässlich des 150. Geburtstages des Malers versucht das Museum Villa Stuck eine historische Einordnung der Baugattung Künstlerhaus. Gezeigt werden 20 unterschiedliche Villen im Range eines Gesamtkunstwerks von renommierten Architekten und bildenden Künstlern. Der Reigen spannt sich vom „dome“ des Sir John Soane, Architekt der Britischen Nationalbank, in London über das eher schlichte Landhaus des Impressionisten Claude Monet im nordfranzösischen Giverny und das Traumschloss des symbolistischen Malers Fernand Khnopff bei Brüssel bis zu dem Wohn- und Atelierhaus des Konstruktivisten Konstantin Melnikow in Moskau und den Holzhäusern des Surrealisten Max Ernst in der Wüste von Arizona. Eine ebenso ehrgeizige wie außergewöhnliche, über drei Erdteile geführte Tour d’Horizon durch rasch aufeinander folgende Kunst- und Architekturepochen.
Präsentiert wird Großartiges: Ein monumentaler Eichentisch mit deutlichen Einflüssen der Gotik sowie Tapetenentwürfe für das Red House des Architekten und Malers William Morris. Das eigene Haus diente als Studierobjekt seiner Idee des Wiederauflebens der mittelalterlichen Künstler- und Handwerker-Gilden, die sich gegen die Industrie und ihre vermeintlich seelenlosen Produkte richtete. Am Wochenende versammelte Morris Gäste unterschied­licher Begabungen, um Wandbehänge zu sticken, Möbel zu bemalen und Decken mit Bildern zu schmücken. Während aus Louis Comfort Tiffanys Atelierhaus in New Yorks 23. Straße ein eher nüchtern-solider Küchentisch und ein fein ziselierter Bleiglasanhänger zu sehen sind, ist der Jugendstilarchitekt Victor Horta mit elegant-floralen Kerzenständern und einer elek­trischen Leuchte vertreten, welche die damals neue Energieform feiert und dennoch an eine alte Petro­leumlampe erinnert. Der Merzbau in Hannover, an dem der Dada-Künstler Kurt Schwitters rund 20 Jahre gearbeitet hatte, ist dagegen sowohl Totalkunstwerk als auch Zeichen einer ironisierenden Distanz seines Erbauers zur kommerzialisierten Künstlerwelt. Schwitters Atelier, von ihm selbst „Kathedrale des erotischen Elends“ (KdeE) genannt, war eher eine skulpturale Grotte als ein vernünftiger Arbeitsraum, in der er Fundstücke, organisch geschwungene Elemente und eine geometrisch abstrahierende Konstruktion zu einer höchst originellen Material- und Raumcollage zusammen komponierte.
Wenig Distanz
Die Pracht der Exponate ist zugleich der Ausstellung größtes Problem. Ein wenig Schwitter’scher Abstand wäre angebracht, stattdessen wird der Besucher den Eindruck nicht los, als würde die Ausstellung sich an der eigenen Opulenz und den üppig dargebotenen Impressionen berauschen. Die jeweils einer Künstlervilla zugedachten, bunten Kompartimente, deren Eingänge stets mit ihrem Stil entsprechenden Giebeln gekrönt sind, bieten Sinneseindrücke. Sie zeigen Pomp, Prunk und Protz – jedoch wenig oder gar keine Analyse. Ob das Gebäude ein Stadthaus war, ein freistehendes Stadtpalais oder ein Landsitz erfährt der Besucher, wenn überhaupt, eher beiläufig, aber keineswegs systematisch. Grund- und Aufrisse gibt es kaum, wo sich der gezeigte Raum im Haus befindet, muss man meist erraten. Parallelen zu anderen Phänomenen der Epochen, Vergleiche zu Häusern von Dichtern oder Musikern oder Verweise zur Gegenwart fehlen oder werden dem prächtigen und reich bebilderten Katalog überlassen. Selbst die dokumentierten Villen erscheinen in ihrer Auswahl nicht als notwendige Schritte einer konsistenten Argumentationskette, sondern wirken eher zufällig und beliebig. Die Ausstellung bietet Einblicke in Besuchern sonst nicht zugängliche Bauwerke, ihr selbst fehlt aber der Durchblick. Freilich, sie entspricht ihrem Thema und kongenial dem Haus, in dem sie gezeigt wird: imposant, schillernd, zuweilen skurril und manchmal bizarr, aber auch reichlich old fashioned und von der Haltung her tüchtig eingestaubt. 

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