Bauwelt

Transfers und Heimatgefühle

Neue Haymat

Text: Sack, Gudrun, Berlin/Karlsruhe; Nägli, Walter, Berlin/Karlsruhe

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Transfers und Heimatgefühle

Neue Haymat

Text: Sack, Gudrun, Berlin/Karlsruhe; Nägli, Walter, Berlin/Karlsruhe

Auch in Deutschland entwickeln sich erste Ansätze, mit nicht-westlichen Bauformen und Typologien zu arbeiten. Gudrun Sack und Walter Nägeli haben für algerische Bauherrn ein Wohnhaus entworfen, das die Vorstellungen von Privatheit und Gemeinschaft in traditionellen muslimischen Familien aufnimmt.
Im Schloss Charlottenhof im Park von Potsdam findet man da und dort das bayerische Weiß-Blau im Dekor. Offenbar wollte der Architekt Karl Friedrich Schinkel der Gemahlin seines Bauherrn, Kronprinzessin Elisabeth Ludovika von Bayern, etwas geben, das Erinnerungen an ihre Heimat wachruft.
Das Dekor von einst verweist auf ein heute allgegenwärtiges Phänomen: Menschen verlassen ihren Kulturkreis, um in einem oft vollkommen gegensätzlichen zu leben und zu arbeiten. Fotos oder Gegenstände mit regionalem „Touch“, Heimatdevotionalien, bevölkern ihre Wohnungen, bilden Brücken zu einer aufgegebenen Lebensweise, die in der Erinnerung oft verklärt wird. Diese verklärten Erinnerungen werden von der nachfolgenden Generation noch verstärkt und als Widerspruch zur gelebten Wirklichkeit empfunden.
Kann man mit Architektur und Städtebau eine Brücke bauen, die mehr aushält als den Transport von Bildern? Wie kann unsere „Universalkultur“ mit ihren baulich fixierten Lebenswelten Bestandteile anderer Bauformen, andere Typologien integrieren? Uns steht ein großer Fundus an tradierten Bauweisen zur Verfügung, mit dem wir im Idealfall zu einer Integration ohne Identitätsverlust beitragen können.
Ein alltägliches Problem: Ein Grundstück in einer süddeutsche Kleinstadt, ehemals am Stadtrand gelegen und für die Bebauung mit einem Einfamilienhaus gedacht, soll nun aus wirtschaftlichen Gründen mit drei Wohneinheiten überbaut werden. Zwei alltägliche Lösungen: entweder drei Reihenhäuser oder drei Geschosswohnungen. Beide Lösungen erzeugen unterschiedliche Erschließungsmuster und damit unterschiedliche Kommunikationsformen. Drei Reihenhäuser hätten drei Eingänge, man lebte zwar dicht, aber unabhängig nebeneinander, Außen und Innen wären scharf voneinander getrennt, ebenso wie das Private vom Öffentlichen. Drei gestapelte Wohnungen wären zwar über ein gemeinsames Treppenhaus erschlossen, doch meistens haben diese Räume aus Effizienz- und Brandschutzgründen keinerlei Aufenthaltsqualität. Bliebe nur noch der Garten als möglicher gemeinsamer Raum, in dem aber wegen der hohen Baudichte ein Gefühl der „Kontrolle“ aufkommen würde.
Traditionelles Element „Teilüberbaute Gasse“ –Transferelement „Die umgekehrte Pyramide“
Die auskragende Bauform des Hauses soll viel Fläche des Geländes frei halten. So entsteht un­ter dem Gebäude ein Raum mit Aufenthaltsqualität. Zwei Lichtschächte dienen der Durchlüftung, sind aber zugleich Kommunikationsmittel zwischen diesem Raum und dem Inneren der Wohnungen.
Traditionelles Element „Hofhaus“ – Transfer­element „Gedoppelte Erschließung“
Im muslimischen Kulturkreis ist der Bereich der Familie besonders geschützt, Gästen bleibt ein halböffentlicher Raum vorbehalten. Im Rahmen eines Mehrfamilienhauses sollte der Gast zudem nicht die private Erschließung der anderen Wohnungen kreuzen. Diese Tradition führt hier zu einem geteilten Erschließungssystem mit einem privaten „inneren Weg“ und einem öffentlichen „äußeren Weg“. Der teils in den Hang eingeschnittene Raum unter dem Haus ist als Gemeinschaftsfläche der Familien gestaltet, über drei private und sichtgeschützte Höfe, die auch als Gartensitzplätze dienen, werden die drei Wohnungen erreicht.
Traditionelles Element „Gastraum“ – Transferelement „Geteiltes Wohnzimmer“
Zwischen öffentlichem Eingang und dem Inneren der Wohnung liegt ein kleiner Gastraum, den Schiebetüren mit dem Wohnraum verbinden – eine einfache Variante des bürgerlichen Salons.
Traditionelles Element „Verborgener Blick aus dem Holzerker“ – Transferelement „Veränderbare Fassade“
Mit feinen Holzlattenrosten versehene Fenster, die an türkische Erker erinnern, ermöglichen den geschützten Blick nach außen, sie können aber auch komplett geöffnet werden. Die Bewohner bestimmen selbst den Grad der Transparenz, ohne dass dadurch räumliche Qualitäten verloren gehen.
Fakten
Architekten Nägeliarchitekten, Berlin/Karlsruhe
aus Bauwelt 12.2012
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