Vitruvius Mozambicanus
Editorial
Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin
Vitruvius Mozambicanus
Editorial
Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin
In den 25 Jahren, die er in Mosambik lebte, habe er genug Gebäude erfunden und gebaut, um eine Stadt guter Größe mit ihnen zu bauen – zwar eine imaginäre, aber durchaus wahrscheinliche Stadt, chaotisch und angefüllt mit Erinnerungen und Geschichten, mit Gebäuden, aus denen neue Gebäude erwachsen, mit Häusern, die neue Häuser gebären, sagt Pancho Guedes.
Oft sind Ideen abgestürzt und wurden zu neuen. „Ich habe in mehreren Stilen gleichzeitig gearbeitet.“ Quasi im Schlaf kann er von einem zu einem anderen wechseln. Jede Art von Chronologie hat er längst aufgegeben, vielmehr hat er sein architektonisches Werk in 25 „Familien“ klassifiziert – sein „Vitruvius Mozambicanus“.
Etwa 500 Gebäude allein während seiner Tätigkeit in Mosambik, dazu noch zahlreiche Entwürfe und einige Bauten in Südafrika und Portugal, sowie Zeichnungen, Bilder und Skulpturen – ein opulentes Werk, das ebenso eklektizistisch wie originär ist, in seiner Zeit verhaftet, wie auch seiner Zeit voraus, aber auch in manch traumhafter Erscheinung anmutend, als sei es der Zeit und dem Ort entflohen.
Möglicherweise konnte das damals vergleichsweise liberale portugiesische Mosambik in den wirtschaftlich boomenden Nachkriegszeiten, dem kreativen und offenen Geist Guedes’ den nötigen Freiraum zur Entfaltung geben – seiner Lust auf’s Zeichnen, Entwerfen, Bauen und Experimentieren und dem traumhaften, spielerischen, assoziativen Aspekt seiner Architektur. Pancho Guedes hatte nie Angst, seinen persönlichen Stil weiterzuverfolgen, er kreierte weder Regeln noch akzeptiert er welche, und er findet es zu langweilig, sich selbst zu kopieren. Er konnte immer seine kreative und künstlerische Unabhängigkeit bewahren und fordert für alle Architekten die gleichen „Rechte und Freiheiten, die Maler und Dichter schon so lange haben“.
Die Auswahl der Projekte in diesem Heft kann nur eine kleine sein, sie beschränkt sich auf einige Gebäude, die während seiner mosambikanischen Zeit zwischen 1950 und 1974 entstanden sind. Sie beginnt mit „Prometheus“, einer seiner ersten Bauten und endet mit dem – vorläufig – letzten Projekt, einem 1,94 Meter großen Engel aus 6 Millimeter starkem Stahlblech. Nicht von ungefähr beides himmlische Wesen – bevölkern diese und Menschen und Tiere doch Guedes’ großes zeichnerisches Werk und als animistische Motive seine Gebäude. Wie beim „Smiling Lion“, Guedes‘ wohl bekanntestem Gebäude, das zugleich der „Familie“ des „Stiloguedes“ vorsteht. Es spielt einerseits mit einer Ornamentik, die lokalen Motiven und Farben entlehnt ist, während andererseits die klare, rationalistische Struktur in skulpturalen, organischen Formen verdeutlicht, wie virtuos er die komplexe Beziehung zwischen Grundriss, Schnitt und Ansicht inszenieren kann.
In seiner produktivsten Zeit von Mitte der sechziger bis Mitte der siebziger Jahre, baut er Bürobauten in der Innenstadt von Maputo, die an die europäische Nachkriegsmoderne erinnern würden, wären da nicht gebäudehohe Fassadenreliefs, er baut Schulen mit kleinem Budget, Kirchen und, wann immer er gebraucht wird, mit Dorfbewohnern Kindergärten und anderes aus Stöcken, Gras und Schilf.
Guedes’ Schaffen ist geprägt vom Wandern zwischen den Welten und Kulturen – geboren in Portugal, aufgewachsen in Afrika, Studium in Johannesburg an der damals der klassischen Moderne verpflichteten Architekturschule und aus der Kenntnis der Architekturgeschichte, wie auch der lokalen Traditionen schöpfend. Hinter jedem seiner Gebäude gibt es eine Geschichte, die der Bauherren, der Handwerker oder die von anderen Gebäuden. „Kann die Seele eines Hauses zu einem anderen Haus wandern?“ fragt Pancho.
Prometheus | 1951 | Maputo
Mit „Prometheus“, wie der 26-jährige Pancho Guedes einen seiner ersten Bauten nannte, beginnt die Reihe von bizarren und teils fantastischen Gebäuden, die den „Stiloguedes“ begründen. Das Apartmenthaus sei „eine der ersten Fehlinterpretationen von Zeichnungen und Gemälden Picassos für
große Skulpturen um 1928“.
große Skulpturen um 1928“.
Aeroplane House | 1951 | Maputo
Das Haus für den Richter Leite Martins besteht aus Plattformen, die um einen engen Innenhof angeordnet sind. Der Volksmund nennt es „aeroplane house“. Mit dem in Mosambik damals sehr gebräuchlichen Material Beton kann Pancho Guedes seine expressiven Formen realisieren.
Dragon House | 1951 | Maputo
Internationaler Stil mit lokalen Elementen: Das Wandmosaik aus Pflastersteinen zeigt einen großen Drachen, der dem Gebäude seinen Namen gibt. Mit dem dreigeschossigen Apartmenthaus beginnt Pancho Guedes’ intensive entwerferische Beschäftigung mit Verschattungselementen.
Saipal Bäckerei | 1952 | Maputo
Im Gegensatz zu den Wohngebäuden ist bei der Großbäckerei auch das Tragwerk schon Skulptur. Die Produktionshalle und der vorgelagerte Büro- und Nebenraumtrakt werden aus zwei parabolischen Bögen gebildet, die soweit optimiert wurden, dass sie mit minimaler Bewehrung auskommen konnten.Guedes erzählt, die Bäcker hätten das Gebäude geliebt, sie fanden großartig, dass es die Form eines portugiesischen Brotes hatte.
Smiling Lion | 1956–58 | Maputo
Das Apartmenthaus mit sechs Wohnungen, einer Parkzone im Erdgeschoss und Bedienstetenwohnungen unterm Dach wurde auf einem Grundstück der eigenen Familie gebaut und zeigt alle Merkmale des „Stiloguedes“. Der einfache und rationale Grundriss erhält im Schnitt Kurven und Rundungen, Zähne und Haare und wird in den Ansichten zum „lächelnden Löwen“. Den Schnitt zeichnete Guedes in zahlreichen Varianten. Die Version mit dem schwarzen Krokodil im Erdgeschoss entstand etwa 50 Jahre nach Fertigstellung des Gebäudes.
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