Von allen Siegen bleiben nur die Bögen
Košice 2013
Text: Sokolová, Juliana, Košice
Von allen Siegen bleiben nur die Bögen
Košice 2013
Text: Sokolová, Juliana, Košice
Künstler begeben sich auf die Suche nach einer neuen Identität der von vielen Brüchen erschütterten Stadt Košice.
September 2013: Ein Kran hebt die vier Wände einer hölzernen Hütte auf das Dach eines Dreizehngeschossers im Fura-Distrikt, einem der weitläufigen und windigen Hochhausviertel am östlichen Stadtrand von Košice. Die sperrigen Elemente gehören zu einer originalen Drevenica (Holzschuppen). Der in Prag lebende slowakische Künstler Tomáš Dado hat drei dieser traditionellen dörflichen Holzbauten gekauft und aus den Bergen der nördlichen Slowakei hierher transportiert, um daraus sein „Monument der Volksarchitektur“ zu errichten.
Džadoň, Jahrgang 1981, arbeitet bei seinen Installationen häufig mit architektonischen Elementen. Die drei Drevenica-Hütten auf dem Hochhausdach, spielerisch Monument genannt, sind bisher der Höhepunkt seiner Beschäftigung mit dem Phänomen Hochhaus. Dado betrachtet diesen Gebäudetypus als prägend für das Verständnis seiner Generation von Raum, Intimität und Selbstgefühl, weshalb er anhand von Hochhäusern untersucht, wie es aktuell mit dem öffentlichen Diskurs über unsere nähere Vergangenheit steht. Neben den öffentlichen Aspekten von Architektur ist für ihn von Interesse, wie das Wohnen unser privates Sein strukturiert. „Das Haus, genauer noch: das Kindheits-Zuhause meiner Generation ist das Hochhaus.“ In Dados Monument spielt nun dieses Hochhaus mehrere Rollen: Zum einen ist es der Sockel für das Gezeigte, zum anderen ist es Teil des Denkmals selbst, also Teil dessen, woran wir uns erinnern sollen. Es wird weiterhin bewohnt von Menschen, die hier jeden Morgen aufstehen und jeden Abend ins Bett gehen – in diesem Wohnblock am Fuß des Hügels über der Stadt.
Die drei Holzhütten auf dem Hochhausdach sollen weniger als Hommage an etwas unrettbar Verlorenes verstanden werden, vielmehr ein Denkzeichen sein für die spezifischen und ziemlich abrupten Entwicklungssprünge, die die Planwirtschaft mit sich brachte, mit entsprechenden Folgen für die Städte. „Das Monument greift einen Prozess auf, der sich horizontal in der Fläche abspielte und den es jetzt auf einer vertikalen Achse abbildet.“ Mit Blick auf das Verhältnis zwischen urbanen und ländlichen Kulturen in der Slowakei ist Dado überzeugt, dass „die Drevenica das Unterbewusstsein des Hochhauses bildet“.
Brüche und Umbrüche in der Stadtentwicklung
Die Arbeit könnte in jeder größeren Stadt der früheren Tschechoslowakei entstanden sein, aber nur wenige Städte eignen sich dafür so gut wie Košice. Die gewaltigen Eingriffe und die daraus folgenden Brüche im Stadtbild bilden die Hauptfaktoren der jüngeren lokalen Geschichte; sie sind der Schlüssel, um den heutigen Charakter des Ortes zu verstehen. Seine Grenzen haben sich im 20. Jahrhundert mehrfach verändert – Košice gehörte in diesem Zeitraum nicht weniger als sechs verschiedenen politischen Einheiten an. Jeder politische Wandel zog einschneidende Veränderungen in der Struktur der Einwohnerschaft nach sich, die sich tief in das soziale, kulturelle und urbane Gewebe der Stadt fraßen. Denn mit jeder verschwundenen Gemeinschaft gingen nicht nur Familienarchive der Stadt verloren, sondern auch Praktiken des Denkens, Redens und Bauens, der speziellen Formen städtischen Lebens einschließlich der Verwaltungsinstitutionen und Wohntraditionen.
Nach der strategischen Entscheidung, hier ein großes Stahlwerk zu bauen, kamen in den 1960er Jahren viele neue Bewohner vor allem aus der Ostslowakei (zwischen 1961 und 1981 wuchs die Stadtbevölkerung um das Zweieinhalbfache), und zugleich gab es forcierte Versuche einer (Wieder)Sesshaftmachung von Roma-Gemeinden. Aus beiden Zuwanderergruppen mussten sich viele Menschen erstmalig in städtischen Verhältnissen zurechtfinden. Das neue Košice war bald nur noch mit dünnen Fäden an seine vergangenen Formen geknüpft. Diese „Störungen“ hinterließen ihre Spuren nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Identität ihrer neuen Bewohner (so rechneten sich im Zensus von 2011 19 Prozent der Befragten keiner ethnischen Gruppe zu). Um also ein Gefühl für Košice zu bekommen, braucht man jenseits von Drevenica und Hochhaus, wie in der Kartographie, einen dritten Punkt für die zuverlässige Orientierung. Der ist durch die Altstadt und ihre Pawlatschenhöfe gegeben.
Teppichstangen zur Sprache bringen
Neben den Schichten, die vielerorts bei Grabungen zum Vorschein kommen, bieten die in Košice gesprochenen Sprachen die reichsten Speicher des kulturellen Gedächtnisses. Der Zusammenhang von Ort und Sprache ist das Thema einer Stahl- und Lichtinstallation, die Dušan Záhoranský 2012 für das Kuzmányho-Viertel entworfen hat. Er zitiert dabei die einst allgegenwärtigen und heute bereits kultigen Teppichstangen, die überall in den Höfen zwischen den Hochhäusern von Kindern als Klettergerüste und Treffpunkte benutzt werden. Die Kunstinstallation variiert das Wort Doma (Zuhause, auch: Heimat) in den Sprachen der vier wichtigsten städtischen Gemeinschaften – Slowakisch, Ungarisch, Romani und Hebräisch (außer den genannten zählt der Verein für Nationale Minderheiten in Košice noch weitere Volksgruppen – Russinen, Ukra-iner, Karpatendeutsche, Tschechen und Bulgaren). Bei nächtlicher Beleuchtung werden die Schatten der Wörter auf die Seitenwände der benachbarten Wohnblöcke projiziert.
Interessanterweise sind es immer wieder Gefühle von Störung und Diskontinuität, die die stadträumlichen Arbeiten der um 1980 geborenen Künstler prägen. So entwarf etwa der Grafikdesigner Samuel Čarnoký 2006 ein einfaches Bildzeichen für „langsam fließendes Wasser“ und brachte es an den Wänden einer Tiefstraße an, die heute anstelle des alten Mühlgrabens das Zentrum Košices durchquert. Der Wasserlauf war von den Stadtplanern 1968 beseitigt worden, um Platz für eine Umgehungsstraße zu schaffen. Dabei war der Fluss ein wichtiges Element des städtischen Freizeitvergnügens gewesen, sein Verlust wird in der Stadt immer noch gefühlt.
Für seine Installation „Triumphbogen“ wählte der Künstler Mišo Hudák eine Fußgängerbrücke, die einst den Nord- und den Südteil der Großsiedlung ahanovce verbinden sollte. Der Nordabschnitt der Siedlung samt Straße und Brücke war fertiggestellt, als die Revolution 1989 alle Pläne für den südlichen Teil des Viertels zunichte machte. Heute verbindet der Betonsteg die Hochhäuser von Ťahanovce mit einem zugewachsenen Grasland – eine Situation, für die der Künstler den weithin lesbaren Satz anbrachte: „Es gibt keine Siege, nur die Bögen bleiben.“
Alle hier genannten Interventionen setzen sich intensiv mit der Geschichte des jeweiligen Stadtraums auseinander, auch zeugen sie von einer speziellen Art lokalen Humors im Umgang mit den Verhältnissen. Gemeinsam ist ihnen der Ansatz, Motive für eine zeitgenössische Identität der Stadt zu finden und sichtbar zu machen.
0 Kommentare