Bauwelt

Vorbild Gropiusstadt?

Drei Analysen

Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Bartoli, Sandra, Berlin; Mathias Heyden, Berlin; Stollmann, Jörg, Berlin

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Zeichnung: Akademie einer neuen Gropiusstadt (AnG)

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Vorbild Gropiusstadt?

Drei Analysen

Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Bartoli, Sandra, Berlin; Mathias Heyden, Berlin; Stollmann, Jörg, Berlin

Müssen Wohnhochhäuser soziale Brennpunkte sein? Sieht alles Abstandsgrün gleich aus? Und was kann man mit 21 Park­häusern anfangen? Die Architekten Sandra Bartoli, Mathias Heyden und Jörg Stollmann von der „Akademie einer neuen Gropiusstadt“ (AnG) werfen einen Blick hinter die Kulissen der Großsiedlung
Was macht die Gropiusstadt aus? Wie lässt sie sich gemeinsam mit den Bewohnern weiterentwickeln? Seit 2010 befasst sich die „Akademie einer neuen Gropiusstadt“ mit solchen Fragen. Hinter dem ambitionierten Namen verbirgt sich das Institut für Architektur der TU Berlin. Ein Planungsverfahren für die Bildungseinrichtungen am Gropiusstädter Efeuweg, zu dem es 2010 beratend hinzugezogen wurde, weckte das Interesse an der Großsiedlung. Aus dem „Campus Efeuweg“ ergaben sich zahlreiche Initiativen und Projekte; so entstand die Idee, die gesamte Gropiusstadt im Rahmen einer „Akademie“ zu untersuchen, in der die Bewohner, der Bezirk Neukölln und die Bestandshalter der Gebäude, die Universität und externe Experten mitarbeiten.
Unter dem Begriff „AnG – Akademie einer neuen Gro­piusstadt“ summieren sich inzwischen zahlreiche Planungen. Finanziert werden sie von verschiedensten Institutionen, u.a. dem Bezirksamt Neukölln, der Berliner Senats­verwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt sowie Wohnungsunternehmen wie der degewo und der Gropiuswohnen GmbH. Die AnG erstellt Quartiersfond-Anträge für temporäre und dauerhafte Maßnahmen zwischen 5000 und 300.000 Euro, berät Wettbewerbs-Verfahren, z.B. für ein neues Oberstufenzentrum, erarbeitet Strategie-Entwicklungspläne für den Bezirk und entwickelt seit 2012 für das Bundesumweltmi­nisterium Methoden zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der klimagerechten Stadtentwicklung. Zentraler Bestandteil sind studentische Forschungs- und Entwurfsstudios, die ihre Ergebnisse in der Gropiusstadt präsentieren und diskutieren. Die nachfol­genden Seiten zeigen wesentliche Ergebnisse dieser bisherigen Analyse städtebaulicher Komponenten der Siedlung.
Die AnG betont die Qualitäten der Gropiusstadt – geringer Flächenverbrauch pro Person, energetisch einfach zu sanierende Gebäude, viel unversiegelte Fläche, gute Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr, effiziente Verwaltung durch wenige Eigentümer – die sie als großes Potenzial sieht, um die Siedlung zum Vorbild einer klimagerechten und sozialen Stadtentwicklung zu machen. Sie berät derzeit die Berliner Senatsverwaltung in Hinblick auf die Gropiusstadt als eines von fünf Teilgebieten einer IBA 2020. BS

Die Hochhäuser
Das Wohnhochhaus ist heute in Deutschland eine umstrittene Typologie. Konjunktur hatte es lediglich in den 60ern und 70ern, insbesondere beim öffentlichen Wohnungsbau in Ost und West. Bei der Planung der Gropiusstadt kam dem Wohnhochhaus eine besondere Bedeutung zu. Nach dem Mauerbau 1961 waren Walter Gropius und das von ihm mitinitiierte The Architects Collective (TAC) mit korrigierten Vorgaben, 19.000 statt 14.500 Wohnungen, konfrontiert. Die Verdichtung erfolgte durch größere Gebäudehöhen und zusätzliche Punkt- und Scheibenhochhäuser. 16 Wohntürme der Siedlung sind weit über 40 Meter hoch. Sie dienen als über­geordnete städtebauliche Zeichen und Orientierungshilfen: Drei Hochhäuser stehen an den U-Bahnstationen, andere am zentralen Grünzug. Einige sind inzwischen Wahrzeichen der Gro­piusstadt: das halbrunde Gropiushaus, das degewo-Hochhaus oder das „Ideal-Hochhaus“, das die Genossenschaft gleichen Namens betreibt.
Die AnG untersuchte die fünf höchsten Wohnhäuser der Gropiusstadt. Zahlreiche Besuche im Ideal-Hochhaus – mit 91 Meter bis heute das höchste Wohnhaus Berlins und eines der höchsten Deutschlands – ergaben Unerwartetes. Entgegen dem Klischee lebt man hier nicht anonym. Die Bewohner der 228 Ein- bis Vierzimmer-Wohnungen kennen sich persön­lich. Im Eingangsfoyer ergaben sich viele Gespräche, im Anschluss wurde unser Team stolz durch Wohnungen und die Einrichtungen für alle Mieter geführt: zwei Gästewohnungen, eine Sauna, ein Gemeinschaftsraum im 30. Stock, dazu Ladenlokale und ein Waschhaus. Berichte über Akti­vitäten wie eine Tauschbörse zeugen von einer funktionierenden Nachbarschaft, die durch die genossenschaftliche Miteingentümerschaft und entsprechende lebenslange Wohn- und Mitbestimmungsrechte noch gestützt wird.
Auch in den vier weiteren untersuchten Hochhäusern stärken gemeinschaftliche und gewerbliche Einrichtungen den Zusammenhalt.
Das Hochhaus am Joachim-Gottschalk-Weg bietet z.B. betreutes Wohnen und einen Gemeinschaftsraum im Dachgeschoss. In den Häusern am Sollmannweg und am Zwickauer Damm gibt es Atelier- und Gästewohnungen und eine Aussichts­ebene. Auch hier sind die Mieter sehr zufrieden.
Haben Wohnhochhäuser heute wieder – losgelöst vom Bild nachbarschaftlicher Anonymität und Isolation, das immer noch mit ihnen verbunden wird – das Potenzial, als Modelle für urbanes Wohnen weiter entwickelt zu werden? Gemeinschafts- und Gewerberäume vorausgesetzt, bietet ein Wohnturm viele Möglichkeiten der Interaktion. Nötig hierfür ist jedoch ein engagiertes Betriebskonzept und eine Anpassung der Wohngrundrisse an heutige und zukünftige Bedürfnisse, zum Beispiel die einer alternden Gesellschaft.
Der Freiraum
Der Landschaftsarchitekt Walter Rossow wurde 1964 mit der Rahmenplanung für die Grünflächen der späteren Gropiusstadt beauftragt. Die ursprüngliche Planung von Walter Gropius/TAC, die einen übergeordneten Grünzug mit kleinen und großen Hofeinheiten kontrastieren wollte, war – auch durch den Einfluss des Berliner Kontaktarchitekten Wils Ebert – zugunsten eines „fließenden“ Landschaftsraumes aufgegeben worden. In Zusammenarbeit mit Gropius/TAC entwickelte Rossow nun eine durch Baumgruppen und Modellierung der Topografie gegliederte urbane Landschaft. Die Binnenräume der Wohnviertel sind durch Platanen, Ahorne und Rosskastanien abgesetzt und liegen leicht erhöht; zum zentralen Grünzug hin senkt sich die Landschaft ab und ist durch unterschiedliche Arten von Eichen geprägt. Ein Netz von Wegen und Pfaden verbindet die Wohngebäude fußläufig mit den Versorgungseinrichtungen.
Trotz aller planerischen Anstrengungen wurde die Landschaftsarchitektur der Gropiusstadt – wie bei vielen Großsiedlungen dieser Zeit – von Beginn an heftig kritisiert. Ihr „Abstandsgrün“ galt bestenfalls als kostenoptimiert und pflegeleicht und wurde ansonsten als monotoner, aneignungsfeindlicher Lückenfül­-
ler in einem letztlich technokratischen Gesamtkonzept empfunden.
Doch Landschaften verändern sich. Pflanzen wachsen, Freiräume entwickeln über die Zeit Eigenschaften und Qualitäten, die nicht vorgesehen und nicht vorhersehbar waren. 50 Jahre nach Gründung der Gropiusstadt scheint es an der Zeit, die Freiräume neu zu bewerten. In den Jahren quasi ungestörten und unbeachteten Wachstums hat sich die Landschaft üppig und vielfältig entwickelt. Die Kritik am Freiraum lässt sich damit schwer zur Deckung bringen. Die Vegetation macht den Großteil des Jahres den Gebäuden Konkurrenz: Sie bestimmt nun Identität der Orte und Orientierung der Bewohner.
Diese veränderte Landschaft verstehen wir in einer Reihe unserer Projekte als grundsätzlich neue Ausgangssituation im Umgang mit der Gropiusstadt. Eine der Projektgruppen identi­fizierte fünf Landschaftstypologien, die Außenräume und Vegetation hinsichtlich Größe, Dich­te, Kantenbildung, Fernwirkung, Nutzung und Bezug zur angrenzenden Bebauung unterscheiden. In allen Typologien sind die freiräumlichen Prinzipien der TAC- und Ebert-Planung weitestgehend durch Vegetation überschrieben. Ausgehend von solchen Kartierungen, Vor-Ort- Erkundungen und Interviews mit Bewohnern erarbeitet die AnG mögliche Freiraumplanungen: von partizipativen Projekten für Schulhöfe und öffentliche Flächen über Konzepte für urbane Agrikultur und ortspezifisches Mikroklima bis zu 1:1-Installationen wie dem Gewächs- und Spielhaus „U-Rangerie“.
Die Parkhäuser
Viele Gropiusstädter fürchten sich in der Siedlung bei Nacht. Besonders für die älteren Bewohner werden die öffentlichen Räume und weitläufigen Grünanlagen mit Einbruch der Däm­merung zu Angst­räumen. Dabei widerspricht die Statistik dem Gefühl: Viel wahrscheinlicher wird man bei einer Tour entlang der Hipster-Kneipen Nord-Neuköllns behelligt als bei einem Abend­spa­zier­gang durch die Gropiusstadt. Ein wesentlicher Grund für die Angst liegt in der geringen Belebtheit des öffentlichen Raums und mangelnden Sichtbeziehungen. Die Abstandsräume zwischen den Wohnhäusern und Wegen sind zumeist groß und/oder durch Büsche verstellt, und immer wieder muss man an abends ungenutzten Gebäuden vorbei. Dies sind zum Beispiel Kitas und Schulen – vor allem aber zahlreiche dunkle Parkhäuser.
Parkplätze wurden im Laufe der Planung der 50er/60er durch die Dichtezunahme und die erwartete Entwicklung des Individualverkehrs zunehmend wichtiger. Zusätzlich zu Stellplätzen entlang der Straßen wurden 21 Parkhäuser bzw. -paletten für insgesamt 6000 PKW gebaut. So kam auf jeden dritten Haushalt ein Parkhausstellplatz. Oft liegen die Parkhäuser an gut erreichbaren Orten, an Hauptverkehrsstraßen oder anderen Kreuzungspunkten. Einige sind jedoch unbeliebt und inzwischen stark untergenutzt, was dazu verleitet, sie zum Abriss freizugeben. Aber es gibt auch einen anderen Weg, der schon in ersten Schritten begangen wurde: die Umnutzung. An der Ecke eines Parkhauses hat ein Kiosk aufgemacht, ein an­deres am Lipschitzplatz enthält eine ganze Ladenzeile; einige Stellplätze wurden in Abstellräume für Anwohner umgewandelt, die Dachfläche des Gropiushaus-Parkhauses wird von Kindern zum Skaten genutzt.
Dass die monofunktionale Wohnsiedlung sich diversifizieren wird, ist aus zweierlei Gründen wahrscheinlich: Die gute Anbindung an den zukünftigen Flughafen BER und die knapp werdenden Raumreserven für studentische und künstlerisch-kulturelle Nutzungen innerhalb des S-Bahn-Rings machen die Gropiusstadt für neue Nutzer attraktiv. Unser Team untersuchte sechzehn Parkhäuser und einen Parkplatz und schlug Umnutzungen vor, die mit einer Belebung bei Nacht verbunden sein können: Spätkaufläden, Büroflächen für 24-Stunden-Dienstleistungen, Werkstätten, Studen­tenwohnungen, Künstler­ateliers, Labore, Clubs und Kinos. Die Dächer der Parkhäuser können beispielsweise innerhalb eines übergeordneten Konzepts als Flächen für urbane Agrikultur genutzt werden. Die AnG arbeitet derzeit mit dem Quartiersmanagement und einem Bestandshalter an einem Pionierprojekt.
Fakten
Architekten Bartoli, Sandra, Berlin; Mathias Heyden, Berlin; Stollmann, Jörg, Berlin
aus Bauwelt 7.2013
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