Bauwelt

Was man weiß

Wolfgang Weileder in Recklinghausen

Text: Wieland, Kerstin, Berlin

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Place des Vosges, Paris, 2013 (Ausschnitt)
© Wolfgang Weileder

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Place des Vosges, Paris, 2013 (Ausschnitt)

© Wolfgang Weileder


Was man weiß

Wolfgang Weileder in Recklinghausen

Text: Wieland, Kerstin, Berlin

Eine Fotografie in Grün und Blau, ein sandfarbener Streifen, nichts Gegenständliches: „Landschaft und Sommer“, denke ich, „und irgendwie verfremdet.“ Man sieht, was man weiß. Der Titel am Rand irritiert: Place des Vosges. Na gut, Landschaft in der Stadt. Aber als Landschaft lässt sich dieser Platz mitten in Paris nun wirklich nicht bezeichnen. Wieso also dieser Titel?
In der Kunsthalle Recklinghausen sind derzeit Arbeiten von Wolfgang Weileder zu sehen. Weileder, gebürtiger Münchner, ist Professor für zeitgenössische Skulptur an der Uni in Newcastle. Dominiert wird die Ausstellung aber von Fotografien. Die Fotografie nutzt Weileder schon seit Jahren, unter anderem um die Lebenszeit seiner temporären Skulpturen im Stadtraum zu dokumentieren, vom Entstehen bis zum Abbau, oder um Räume in der Stadt abzubilden. Die Aufnahme von der Place des Vosges gehört zur Reihe „Atlas“, einem Panorama städtischer Räume weltweit. Da taucht die Piazza San Pietro in Rom ebenso auf, wie der Sergels Torg in Stockholm, der Bennelong Point an der Oper in Sidney oder der Viktualienmarkt in München. Die vermeintliche Sommerlandschaft ist eines der ersten Bilder, vor die sich die Besucher in Recklinghausen gestellt sehen.
Wo ist auf diesem Bild die Stadt, wo der Platz? Neben der Aufnahme findet sich eine Art Legende mit Daten, die weiterhelfen. Auf einem Stadtplanausschnitt ist eingetragen, wo die Kamera aufgebaut war. Aufgenommen wurde das, was wir da sehen, am 17. August 2012, begonnen um kurz vor fünf, genauer gesagt, um 16.56 Uhr, Schluss war um 20.32 Uhr. Langzeitbelichtungen sehen eigentlich anders aus. Zu­sätzlich ist von einem Intervall die Rede, von 3,7 Sekunden. Wir treten einige Schritte zurück, um aufs Bild zu schauen. Am rechten Rand fällt eine Zeitleiste auf, ein Zentimeter in der Vertikalen entsprechen 110 Sekunden, in der Horizontalen ist die Originalbreite des abgelichteten Platzausschnitts genannt, 2180 Zentimeter. Das sind jetzt ziemlich viele Details für etwas, von dem wir dachten, es sei eine Landschaft.
Wenn wir es ganz technisch nehmen, schauen wir auf ein farbiges Datendiagramm. Weileder posi­tioniert eine hochauflösende Digitalkamera auf dem Platz. Dann beginnt er mit seinen Aufnahmen. Es entstehen Bilder, wie wir sie vom Zieleinlauf kennen, auf denen man sehen kann, wer eine Fußspitze eher über die Linie gelaufen ist. 54 Grad ist der Platzausschnitt weit. Aus jeder dieser Aufnahmen, die Weileder in den gut dreieinhalb Stunden macht, „schneidet“ er mit einem von ihm entwickelten Computerprogramm einen Streifen aus. Immer an der gleichen Stelle des Bildes, immer ein Pixel hoch. Diese Strei-fen setzt er übereinander. Und so entsteht aus den vielen Streifen ein Bild vom Raum. Wir sehen, wie sich der Ort verändert, wie die Zeit über ihn hinweg geht.
Wir treten noch einen Schritt vom Bild zurück: Wie sieht dieser Raum aus? Genau das ist es, was Weileder interessiert. Wie entstehen Räume, wie nutzen wir sie, wie spiegelt sich die Qualität des Raums in unserem Tun. In Paris sind es Familien, die sich auf der Wiese vor der Fontäne niedergelassen haben, Kinder spielen am Wasser. Das können wir nicht erkennen, auch diese Information entnehmen wir der Daten-Legende. Zu erkennen ist, wie die Schatten auf dem Grün länger werden, bis die Sonne den Rasen gar nicht mehr erreicht. Das Grün der Wiese und der sandfarbene Stein des Brunnens sind die Konstanten. Die Bewegungen der Menschen verschwimmen zu kleinen Flächen. Objekte, die lange unbeweglich an der gleichen Stelle stehen, werden zu Farbsäulen. Lässt sich, wieder ganz dicht vorm Bild, erkennen, was da festgehalten ist? Es lässt sich nur vermuten. Und mittlerweile wollen wir es auch nicht mehr genau wissen. Unsere Blicke springen zwischen der Horizontalen, der Zeit-Schiene, und der Vertikalen hin und her. Wir müssen uns anstrengen, aber das macht den Reiz aus. Wir machen uns unser eigenes Bild, mit unseren Erfahrungen von Raum. Man sieht, was man weiß. Es gibt vom selben Ort viele Bilder, denn jeder weiß etwas anderes.
Fakten
Architekten Weileder, Wolfgang, Newcastle
aus Bauwelt 29-30.2014
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