Wiederbelebungsversuche
Symposium der Bundesstiftung Baukultur in Venedig
Text: Brensing, Christian, Berlin
Wiederbelebungsversuche
Symposium der Bundesstiftung Baukultur in Venedig
Text: Brensing, Christian, Berlin
In den letzten sechs Jahrzehnten sank die Einwohnerzahl des historischen Zentrums von Venedig um 66 Prozent, auf inzwischen weniger als 60.000. Rund 1000 Venezianer verlassen jedes Jahr ihre Heimatstadt.
Dafür kommen jährlich bis zu 30 Millionen Touristen, nicht wenige mit riesigen Kreuzfahrtschiffen, die spektakulär mitten durch die Stadt gesteuert werden. Echtes städtisches Leben in Venedig erlischt.
Grund genug für die Bundesstiftung Baukultur, sich im Rahmen der 14. Architekturbiennale dieser einmaligen Stadt anzunehmen. Ende Juni diskutierte man im Deutschen Studienzentrum Venedig unter dem Titel „Venedig beleben“ über die Zukunft der Lagunenstadt. Ihre Geschichte und ihr jüngstes Schicksal hat für den Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung, Reiner Nagel, Modellcharakter für manche andere in Not geratene Stadt. „Venedig darf sich nicht länger den Entwicklungen der Moderne anpassen, die Moderne muss sich der Stadt anpassen. Die in Italien gegründete slow-city-Bewegung könnte eine Lösung sein.“ Venedig vereine bereits viele Kriterien, die oft für die Stadt der Zukunft diskutiert würden: Mobilität ohne Autos, Einkaufen im Quartier, Freizeitnutzung des öffentlichen Raums, ein großer Anteil auf Handarbeit beruhender Dienstleistungen, kurze Wege im Quartier.
Diese Haltung wurde von den drei Referenten des Symposiums geteilt. Für Sergio Pascolo, Professor für Architektur und Urban Design an der Università IUAV di Venezia, veranschaulicht Venedig mustergültig das Zusammenspiel von städtischer Dichte, umgebener Natur und kleinteiligen Arbeitsstrukturen – ideale Bedingungen für die Produktion von Ideen und immateriellen Werten. Was fehlt, sei eine kohärente „digitale und grüne Strategie“ der Stadt. Wie diese aussehen könnte, dazu hat Pascolo im vergangenen Jahr das Buch Abitando Venezia (Venedig beleben) veröffentlicht.
Clemens F. Kusch arbeitet als Architekt in Venedig und hat kürzlich einen Architekturführer zu Bauten und Projekten veröffentlicht, die nach 1950 in der Stadt entstanden sind (Bauwelt 24). Aus dieser Perspektive gerät man erst gar nicht in die Gefahr, sich in allzu historischen Bezügen zu verlieren. Kusch setzt auf reformatorische Kräfte in der Stadt, die es durchaus gebe, die es aber auf Grund von schleppenden Planungs- und Genehmigungsprozessen zunehmend schwerer hätten.
Langsamkeit als Chance: Verfall und Niedergang würden Orte produzieren, die es kreativ zu besetzen gelte und sei es im Rahmen spontaner Aktionen, so der Landschaftsarchitekt Andreas Kipar. Er ist an der Planung für die Expo 2015 in Mailand beteiligt, die Ableger in Venedig und in ganz Norditalien haben wird. Kipar kultiviert auf dem venezianischen Festland Industriebrachen in 50 x 50 Meter großen Parzellen, für ihn ein Beitrag zu dem, was er als „Venice Green Dream“ bezeichnet.
Das politische Venedig erfährt gerade eine Erneuerung der eher ungeplanten Art. Nachdem im Juni Venedigs Bürgermeister wegen seiner Verstrickung in den Korruptionsskandal um das Bauprojekt „Mose“ – ein riesiges Schleusensystem, das die Lagune vor Hochwasser schützen soll – in Polizeigewahrsam genommen wurde, trat in der Woche des Symposiums der gesamte Stadtrat zurück. Venedig gleicht seitdem einem führungslosen Schiff. Reiner Nagel sieht darin eine Chance: „Die Situation einer kommissarischen Stadtregierung bis zur Neuwahl 2015 sollte genutzt werden, Ziele für ein weiterhin lebendiges und von modernem Leben geprägtes Venedig auf die politische Agenda zu setzen.“ Vielleicht ist Baukultur ein Instrumentarium, das dabei helfen kann?
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