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„Wir wollten kein Freiluft­museum bauen“

Interview mit Johannes Dell von AS&P

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

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Johannes Dell
Foto: AS&P

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„Wir wollten kein Freiluft­museum bauen“

Interview mit Johannes Dell von AS&P

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

Der Projektarchitekt von Albert Speer & Partner berichtet über seine Planung der German Town Anting bei Shanghai.
Herr Dell, Sie haben für Albert Speer & Partner die German Town Anting bei Shanghai geplant. Die geringe Dichte unserer Städte scheint nicht gerade geeignet als Modell für ein Land mit starkem Urbanisierungsdruck. Warum eine deutsche Stadt in China?

Die Planungen waren nie als Vorbild gedacht. Das Konzept der Nine Towns war eine Marketingidee der Stadtverwaltung von Shanghai, um ihren Bürgern das Konzept der Satellitenstädte schmackhaft zu machen, die die Stadt zur Entlastung des Zentrums dringend braucht. Einige dieser Satelliten sind an Standorten, die nicht gerade dem Traum der Shanghaier Bürger von ihrem zukünftigen Wohnort entsprechen. Also musste ein Image geschaffen werden, das die Menschen anzieht. Nach der politischen Entscheidung, ausländische „Labels“ für diese Städte zu wählen, war es nicht die Frage ob, sondern eher wo eine deutsche Stadt realisiert werden sollte. Für chinesische Kunden ist das La­bel „deutsch“ sehr positiv besetzt, sie denken gleich an technischen Fortschritt, Präzision und Zuverlässigkeit.

Städtebaulich verbinden die meisten Chinesen Deutschland sicher eher mit Fachwerkhäusern und verwinkelten Gassen. In der Reihe der anderen Satelliten überrascht es, dass davon in Anting nichts zu sehen ist. Gab es darüber eine Diskussion mit dem Auftraggeber?

Natürlich! Nachdem wir den internationalen Wettbewerb für Anting gewonnen hatten wurde uns klar, dass viele Beteiligte entweder gar keine Vorstellung von „German Style“ hatten, oder – und das war weitaus schlimmer – sie stellten sich eine mittelalterliche Stadt vor, eben mit Fachwerk und allem was dazugehört. Das kann man natürlich bauen – als Teil von Disneyland! Aber in einem modernen Netzwerk
aus Satellitenstädten hat sowas nichts verloren. Wir wollten, dass die deutsche Stadt weder ein Vergnügungspark wird, noch ein städtebau­liches Freiluftmuseum oder eine Ausstellung moderner Architektur.

Was war denn Ihre Vorstellung von einer  „typisch deutschen“ Stadt?

Diese Frage haben wir endlos diskutiert ... Beim Entwurf des ersten Bauabschnitts wurden dann drei Prinzipien definiert, die unserer Meinung nach am besten einen deutschen – oder besser: einen europäischen – Stil in Städtebau und Architektur reflektieren. Das war zum einen der Baublock und die sich aus ihm ergebende Hier­archisierung öffentlicher Räume, zum anderen eine moderne, ressourcenschonende Infrastruktur. Am Ende, als dritter Aspekt, sollte ein „deutscher“ Architekturstil definiert werden. Wir konnten unsere Auftraggeber glücklicherweise überzeugen, dass das Bauhaus in Dessau eine der einflussreichsten Architekturschulen des 20. Jahrhunderts war, und diese Ideen deutsche Architektur besser repräsentieren als die des Mittelalters. Die drei Entwurfsprinzipien wurden dann auch an die anderen deutschen Büros weitergegeben, die in der ersten Phase mit uns an dem Projekt gearbeitet haben, u.a. Auer + Weber und Braun & Schlockermann.

Wie betrachten Sie das Ergebnis heute?

Wir waren, offen gesagt, lange Zeit sehr unzufrieden damit und sind 2004 ja auch aus dem Projekt ausgestiegen. Das Projektmanagement war katastrophal, die geplante Verkehrsanbindung und die nötige Infrastruktur wie z.B. Schulen wurde nicht realisiert, wir wurden nicht an Ausführungsplanung oder Bauleitung beteiligt, unser Energie-Konzept wurde nicht adäquat umgesetzt. Hinzu kam, dass die bauliche Qualität erschreckend war – und es zogen viel zu wenig Menschen dort ein.

Sehen Sie auch Fehler auf Ihrer Seite?

Ja, unsere Planung hatte einen entscheidenden Denkfehler: Die Blockstrukturen ergaben zwar schöne halböffentliche Räume, haben aber zwangs­läufig eine Reihe Ost-West-orientierter Wohnungen nach sich gezogen. Dass in diese kein Chinese freiwillig einzieht, weil dort traditionell alle Wohnungen Nord-Süd-orientiert sind, war uns in letzter Konsequenz nicht klar.

Trotz dieser Enttäuschungen sind Sie beim zweiten Bauabschnitt jetzt wieder mit dabei. Was hat sich geändert?


Anting hat 2010 von der Aufmerksamkeit profitiert, die der Stadtentwicklung Shanghais zur Expo zuteil wurde. Nicht nur wurde der Metro-Anschluss endlich realisiert, bis dahin eines der größten Defizite. Es wurde auch entschieden, die zehn Jahre alte Planung zu erneuern. Wir wurden zum Wettbewerb für eine zweite Phase eingeladen und haben diesen gewonnen.

Wie haben Sie mit der Neuplanung auf die Erfahrungen der ersten Phase reagiert?


Der Anteil Ost-West-orientierter Wohnungen wurde durch die Veränderung der Block- in eine Zeilenstruktur auf ein Minimum reduziert. Die neuen Gebiete sind einerseits weniger dicht und weniger städtisch, andererseits gibt es auch einige Wohnhochhäuser. Die neue Entwicklungsgesellschaft wollte das Angebot mehr auf die „Shanghaier Durchschnittsklientel“ ausrichten. Um den Entwurf mehrheitstauglich zu machen, mussten wir uns ein Stück von unseren eigenen Ansprüchen entfernen. Dafür wird es sicher Kritik aus dem Westen hageln. Aber in Anting haben wir gelernt: Es ist sinnlos, mit Pilotprojekten vorzupreschen und keiner folgt. Um Veränderungen zu erreichen, muss man mit Verbesserungen beginnen.
Fakten
Architekten AS&P, Frankfurt am Main
aus Bauwelt 7.2012
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