Wohnen statt gesunden
Neues Hulsberg-Viertel in Bremen
Text: Syring, Eberhard, Bremen
Wohnen statt gesunden
Neues Hulsberg-Viertel in Bremen
Text: Syring, Eberhard, Bremen
Auf dem Gelände eines Krankenhauses, unweit des Bremer Stadtzentrums, sind 14 Hektar für die Stadtentwicklung frei geworden. Gemeinsam mit interessierten Bürgern, Stadtplanern und Architekten suchen die Politiker derzeit nach einem Konzept. Kürzlich wurde ein städtebauliches Gutachterverfahren entschieden.
Das heutige Klinikum Bremen-Mitte entstand Mitte des 19. Jahrhunderts im Stadtteil Hulsberg, etwa zwei Kilometer vom Zentrum entfernt. Die städtische Krankenanstalt erweiterte sich schrittweise zum Typus eines Pavillon-Krankenhauses auf fast 20 Hektar Fläche. Bis in die 1980er Jahre wurde der Komplex durch zahlreiche Bauten ergänzt. Trotz der Verdichtung bilden die parkartig angelegten Zwischenräume mit den alten Bäumen eine „Grüne Lunge“ in der Östlichen Vorstadt, dem dichtesten Stadtteil in Bremen. Seit längerem gab es seitens der Klinik Bestrebungen, die unwirtschaftliche Streulage der Funktionseinheiten aufzugeben. Das Ergebnis ist ein „Teilersatzneubau“ im nordwestlichen Winkel des Areals, der das vom Klinikum benötigte Gelände auf 5,5 Hektar schrumpfen lässt.
Somit werden fast 14 Hektar für eine Neuordnung, für das „Neue Hulsberg-Viertel“, frei. In seiner Bedeutung ist das Projekt vergleichbar mit den Bremer Entwicklungsgebieten „Überseestadt“ und „Stadtwerder-Quartier“. Im Gegensatz zu diesen ist das ehemalige Klinik-Gelände aber Teil eines lebendigen Stadtquartiers. Die dort lebenden, lokalpolitisch recht aktiven Bewohner (schon in den 70ern hatten sie sich hier erfolgreich gegen Trassenplanungen zu Wehr gesetzt) mögen die politischen Vertreter dazu bewogen haben, die interessierte Öffentlichkeit an der Entwicklung des Geländes zu beteiligen. Dabei kehren sie die bisher üblichen Planungsabläufe um. Die Wünsche und Bedürfnisse der Allgemeinheit werden diskutiert, bevor die Planer zum Zuge kommen.
Nach der Auftaktveranstaltung im Frühjahr 2011 wurden thematische Foren (etwa zu Verkehr, Energiekonzept, Nutzungsmischung, Wohnformen, Umgang mit der Altbausubstanz und dem Grünbestand) durchgeführt. Dabei blieb auch die selbstkritische Frage nicht ausgeklammert, wie repräsentativ denn die Teilnehmer der Foren für die Gesamtbevölkerung stehen. Man überlegte, wie man Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Handicap besser in den Prozess integrieren könnte. Immerhin gelang es, Schulen im Stadtteil mit einzubeziehen, sodass auch Jugendliche ihre Vorstellungen von dem zukünftigen Quartier artikulierten. Aus den Foren ging schließlich – gestützt durch Teilgutachten, etwa zur Wiederverwendbarkeit historischer Bauten – das Programm für ein städtebauliches Gutachterverfahren hervor, das im Sommer 2012 startete. Eingeladen waren drei Architekturbüros, die mit Landschafts- und Verkehrsplanern Arbeitsgemeinschaften bildeten: Westphal Architekten, Bremen, Lorenzen Architekten, Berlin/Kopenhagen, und LIN Architekten Urbanisten, Berlin. Sie alle sollten Nutzungsvorschläge für die „identitätstiftenden“ Altbauten machen, die vorhandenen Bäume integrieren, das Areal städtebaulich einbinden, Nutzungen mischen (40 Prozent Wohnen war ein grober Richtwert des Auslobers), unterschiedliche Wohnformen anbieten, nachhaltige Bauweisen vorsehen sowie den Fuß- und Radverkehr und die Qualität des öffentlichen Raumes beachten.
Unterschiede im öffentlichen Raum
Nach einer öffentlichen Zwischenpräsentation im Oktober 2012, stellten die Teilnehmer am 12. Januar ihre Ergebnisse erneut allen Interessierten vor. Im Anschluss tagte die (inklusive diverser Fachberater) 42-köpfige Jury (Vorsitz: Kunibert Wachten). Die Arbeiten unterscheiden sich vor allem durch die Gestaltung des öffentlichen Raums. Der Beitrag von
LIN favorisiert ein ungewöhnliches „rhizomartiges“ Grün- und Wegenetz, das stark differenzierte Teilquartiere definiert. Die Jury lobte diese neuartigen Straßenraumtypologien und auch die vielfältig nutzbaren, stark durchgrünten Wegeverbindungen, sie
sah jedoch eine fehlende hierarchische Ordnungsstruktur sowie die Heterogenität der Teilquartiere kritisch.
Westphal Architekten stellen die erhaltenswerten Altbauten objekthaft frei und bilden um sie herum Plätze, einen großen und vier kleine. In Bezug auf letztere sah die Jury große gestalterische Qualitäten. Kritischer bewertete sie den großen Platz, der als „Grüne Mitte“ zu einer unangemessenen Zentrumsfixierung führe. Die strenge Rasterung der Neubebauung empfand sie als zu wenig flexibel. Der Entwurf des Teams um Lorenzen (Sieger) verfolgt in der räumlichen Gliederung eine ähnliche Idee wie die Konkurrenten, setzt sie jedoch „integrativer“ um. Auch hier gibt es einen zentralen Grünraum, der sich aber fingerartig ausweitet und dadurch Zentrum und Teilquartiere in ein ausgewogenes Verhältnis setzt. „Ein identitätstiftender Freiraum“, so Kunibert Wachten. Dieser Entwurf, der zudem die meisten Bäume erhält, erscheine für unterschiedliche Bauformen und für eine soziale Mischung besonders geeignet.
Die Entscheidung ist ein wichtiger Zwischenschritt für das Verfahren. Der Beirat Östliche Vorstadt hat den Plänen inzwischen zugestimmt, warnt aber vor einer zu raschen Vermarktung der Grundstücke. Der im nationalen Vergleich vorbildliche Beteiligungsprozess soll fortgesetzt werden. Über das weitere Procedere könnte die kritische Reflexion des bisherigen Prozesses auf dem nächsten „Bremer Stadtdialog“ am 26. Februar Aufschluss geben.
Städtebauliches Gutachterverfahren
Sieger Lorenzen Architekten, Berlin/Kopenhagen; Relais Landschaftsarchitekten, Berlin; Argus Stadt- und Verkehrsplanung, Hamburg
Weitere Teilnehmer Westphal Architekten, Bremen; Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, Berlin; BPR Verkehrsplanung, Künne&Partner, Bremen | LIN Architekten Urbanisten, Berlin; Müller Illien Landschaftsarchitekten, Zürich; IBV-Hüsler AG, Verkehrsplaner Zürich
Somit werden fast 14 Hektar für eine Neuordnung, für das „Neue Hulsberg-Viertel“, frei. In seiner Bedeutung ist das Projekt vergleichbar mit den Bremer Entwicklungsgebieten „Überseestadt“ und „Stadtwerder-Quartier“. Im Gegensatz zu diesen ist das ehemalige Klinik-Gelände aber Teil eines lebendigen Stadtquartiers. Die dort lebenden, lokalpolitisch recht aktiven Bewohner (schon in den 70ern hatten sie sich hier erfolgreich gegen Trassenplanungen zu Wehr gesetzt) mögen die politischen Vertreter dazu bewogen haben, die interessierte Öffentlichkeit an der Entwicklung des Geländes zu beteiligen. Dabei kehren sie die bisher üblichen Planungsabläufe um. Die Wünsche und Bedürfnisse der Allgemeinheit werden diskutiert, bevor die Planer zum Zuge kommen.
Nach der Auftaktveranstaltung im Frühjahr 2011 wurden thematische Foren (etwa zu Verkehr, Energiekonzept, Nutzungsmischung, Wohnformen, Umgang mit der Altbausubstanz und dem Grünbestand) durchgeführt. Dabei blieb auch die selbstkritische Frage nicht ausgeklammert, wie repräsentativ denn die Teilnehmer der Foren für die Gesamtbevölkerung stehen. Man überlegte, wie man Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Handicap besser in den Prozess integrieren könnte. Immerhin gelang es, Schulen im Stadtteil mit einzubeziehen, sodass auch Jugendliche ihre Vorstellungen von dem zukünftigen Quartier artikulierten. Aus den Foren ging schließlich – gestützt durch Teilgutachten, etwa zur Wiederverwendbarkeit historischer Bauten – das Programm für ein städtebauliches Gutachterverfahren hervor, das im Sommer 2012 startete. Eingeladen waren drei Architekturbüros, die mit Landschafts- und Verkehrsplanern Arbeitsgemeinschaften bildeten: Westphal Architekten, Bremen, Lorenzen Architekten, Berlin/Kopenhagen, und LIN Architekten Urbanisten, Berlin. Sie alle sollten Nutzungsvorschläge für die „identitätstiftenden“ Altbauten machen, die vorhandenen Bäume integrieren, das Areal städtebaulich einbinden, Nutzungen mischen (40 Prozent Wohnen war ein grober Richtwert des Auslobers), unterschiedliche Wohnformen anbieten, nachhaltige Bauweisen vorsehen sowie den Fuß- und Radverkehr und die Qualität des öffentlichen Raumes beachten.
Unterschiede im öffentlichen Raum
Nach einer öffentlichen Zwischenpräsentation im Oktober 2012, stellten die Teilnehmer am 12. Januar ihre Ergebnisse erneut allen Interessierten vor. Im Anschluss tagte die (inklusive diverser Fachberater) 42-köpfige Jury (Vorsitz: Kunibert Wachten). Die Arbeiten unterscheiden sich vor allem durch die Gestaltung des öffentlichen Raums. Der Beitrag von
LIN favorisiert ein ungewöhnliches „rhizomartiges“ Grün- und Wegenetz, das stark differenzierte Teilquartiere definiert. Die Jury lobte diese neuartigen Straßenraumtypologien und auch die vielfältig nutzbaren, stark durchgrünten Wegeverbindungen, sie
sah jedoch eine fehlende hierarchische Ordnungsstruktur sowie die Heterogenität der Teilquartiere kritisch.
Westphal Architekten stellen die erhaltenswerten Altbauten objekthaft frei und bilden um sie herum Plätze, einen großen und vier kleine. In Bezug auf letztere sah die Jury große gestalterische Qualitäten. Kritischer bewertete sie den großen Platz, der als „Grüne Mitte“ zu einer unangemessenen Zentrumsfixierung führe. Die strenge Rasterung der Neubebauung empfand sie als zu wenig flexibel. Der Entwurf des Teams um Lorenzen (Sieger) verfolgt in der räumlichen Gliederung eine ähnliche Idee wie die Konkurrenten, setzt sie jedoch „integrativer“ um. Auch hier gibt es einen zentralen Grünraum, der sich aber fingerartig ausweitet und dadurch Zentrum und Teilquartiere in ein ausgewogenes Verhältnis setzt. „Ein identitätstiftender Freiraum“, so Kunibert Wachten. Dieser Entwurf, der zudem die meisten Bäume erhält, erscheine für unterschiedliche Bauformen und für eine soziale Mischung besonders geeignet.
Die Entscheidung ist ein wichtiger Zwischenschritt für das Verfahren. Der Beirat Östliche Vorstadt hat den Plänen inzwischen zugestimmt, warnt aber vor einer zu raschen Vermarktung der Grundstücke. Der im nationalen Vergleich vorbildliche Beteiligungsprozess soll fortgesetzt werden. Über das weitere Procedere könnte die kritische Reflexion des bisherigen Prozesses auf dem nächsten „Bremer Stadtdialog“ am 26. Februar Aufschluss geben.
Städtebauliches Gutachterverfahren
Sieger Lorenzen Architekten, Berlin/Kopenhagen; Relais Landschaftsarchitekten, Berlin; Argus Stadt- und Verkehrsplanung, Hamburg
Weitere Teilnehmer Westphal Architekten, Bremen; Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, Berlin; BPR Verkehrsplanung, Künne&Partner, Bremen | LIN Architekten Urbanisten, Berlin; Müller Illien Landschaftsarchitekten, Zürich; IBV-Hüsler AG, Verkehrsplaner Zürich
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