Bauwelt

Zeit, sichtbar gemacht

Fotos von Martin Sigmund und Dirk Brömmel in Stuttgart

Text: Baus, Ursula, Stuttgart

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    An der tschechischen Grenze zu Österreich: Valtice
    Martin Sigmund

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    An der tschechischen Grenze zu Österreich: Valtice

    Martin Sigmund

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Foto: Martin Sigmund

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Foto: Martin Sigmund


Zeit, sichtbar gemacht

Fotos von Martin Sigmund und Dirk Brömmel in Stuttgart

Text: Baus, Ursula, Stuttgart

Man brauchte einen gültigen Ausweis und einen zweiten Geldbeutel für die fremde Währung. Dergleichen wollte organisiert sein. Und unmittelbar nachdem der Zollbeamte einen durchgewinkt hatte, begannen die Ferien; der Alltag blieb quasi hinter der Grenze zurück. Seit dem 26. März 1995, dem Tag, an dem das Schengener Abkommen in Kraft trat, und mit der Einführung des Euros hat sich all das weitgehend erledigt. Die meisten Grenzstationen in Europa sind überflüssig geworden. Viele existieren aber noch. Man­che der Bauten, deren Abriss unrentabel schien, sind verwahrlost, andere hat man umgenutzt. Sie alle erinnern an eine scheinbar lang zurückliegende Zeit, als am Grenzübergang die Frage: „Haben Sie was zu verzollen?“, noch einschüchtern konnte.
Die Grenzen verschwinden in Europa mehr und mehr, mit ihnen eine Gebäudetypologie, der man kaum nachtrauert. Erinnerungsorte sind Grenzstationen allemal – und damit wert, auf sie zu schauen. Der Fotograf Martin Sigmund, Jahrgang 1974, hat einige Jahre an der Stuttgarter Oper gearbeitet und mag dabei einen inszenatorischen Blick geschult haben. Die Fotos, die er derzeit unter dem Titel „Border“ in der vhs Fotogalerie in Stuttgart zeigt, präsentieren die menschenleeren Stationen mit drama­tischen Kunstlichteffekten oder im gleißenden Tages­licht wie Bühnenbilder: Sie lassen unmittelbar an die kleinen und großen Dramen der Grenzkontrollen denken. Zugleich dokumentiert die auf diese Weise überhöhte Architektur, wie unterschiedlich die Länder ihre Gäste willkommen hießen oder verabschiedeten: mit Merodächern, Betonschalen, Holztragwerken. In der „Border“-Serie hat Sigmund gerade rechtzeitig die Reste einer zu Ende gehenden Epoche festgehalten. Sie ruft auf skurrile Weise ins Gedächtnis, wie sehr Europa als politische Idee vom Selbstbewusstsein der Nationalstaaten belastet ist.
Mies unerwartet wohnlich
Das Verfahren, mit dem der 1968 geborene Fotograf Dirk Brömmel die Villa Tugendhat aufgenommen hat, kennzeichnet eine andere Möglichkeit, Zeit fotografisch zu visualisieren. Mies van der Rohes Meisterwerk von 1929 im tschechischen Brünn steht – nach überaus wechselhafter Geschichte – seit 2001 auf der Unesco-Welterbeliste und ist heute im Besitz der Stadt Brünn. Bevor das Haus 2010 wegen Renovierung für die Öffentlichkeit geschlossen wurde, besuchte Brömmel die Villa und bekam dort Familienaufnahmen von Fritz Tugendhat aus den 30er Jahren zu Gesicht. Brömmel rekonstruierte die Fotostandorte, nahm von diesen neue Fotos auf und blen­dete die alten und die neuen Fotos ineinander.
Auf diese Weise sind Bilder entstanden, die, zwischen zwei Zeitschichten gelegen, eine merk­würdige Distanz zum Gegenstand wahren, aber zugleich vertraut wirken. Dass die Familie Tugendhat 1938 vor den Nationalsozialisten geflohen ist, die Villa anschließend schauderhaft verkam, falsch genutzt und gering geschätzt wurde, wird hier nicht konkret gezeigt, scheint aber in der Simultanität von Ursprungs- und Jetztzeit anzuklingen. Die Fotografien, derzeit in der Fotogalerie f75 zu sehen, können auch als Reminiszenz an die Familie von Grete und Fritz Tugendhat gesehen werden. Gleichzeitig zeigen sie, wie wohnlich Mies van der Rohe gebaut hat. 


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