Zukunftsraum Land?
Editorial
Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Ballhausen, Nils, Berlin
Zukunftsraum Land?
Editorial
Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Ballhausen, Nils, Berlin
Das Leben auf dem Land ist nicht idyllisch. Landflucht ist die Flucht vom Land, nicht die Flucht aufs Land. Siedlungen in ländlichen Regionen Deutschlands, vor allem im Nordosten, lösen sich zunehmend auf. In einem Teufelskreis bedingen sich Wegzug der Jugend und Verfall der Dorfstrukturen, in politischer und sozialer aber auch infrastruktureller und baulicher Hinsicht gegenseitig. Mit dieser Ausgabe der Stadtbauwelt verlassen wir die gewohnten Pfade und gehen auf Landpartie.
Bei dem anhaltenden gesellschaftlichen Fokus auf die Städte wird oft vergessen, dass fast 90 Prozent der Fläche Deutschlands zum ländlichen Raum zählen – hier leben immer noch mehr als die Hälfte der Einwohner der Bundesrepublik. Diese sind jedoch mit einem überaus undifferenzierten Bild von ihrer Lebensumgebung konfrontiert. Den romantischen Wunschvorstellungen vieler Städter von Wahrhaftigkeit, Entschleunigung und unberührter Natur stehen medial inszenierte Negativbilder gegenüber, die sich auf Entvölkerung, Überalterung, Vernachlässigung und mangelnde Infrastruktur konzentrieren. Während die bäuerliche Idylle meist nur noch für den Tourismus zelebriert wird (und ansonsten einer industrialisierten, technisierten Hochleistungslandwirtschaft gewichen ist), sind die Probleme real. „Das Land“ – von schrumpfenden bis wachsenden Regionen, von Splittersiedlungen über Dörfer bis zur Kleinstadt – darauf zu reduzieren, blendet jedoch positive Entwicklungen aus, die eine Inspiration für andere sein können. Im einleitenden Essay wirft Wilhelm Klauser daher die zentrale Frage dieses Heftes auf: Was, wenn man das Land als Zukunftsraum betrachtet?
Gegen den Trend
In dieser „Landbauwelt“ stellen wir vierzehn Orte in Deutschland und Österreich vor, die den Trend für sich umgekehrt haben. Dabei führen je nach Ausgangslage recht unterschiedliche Strategien zum Ziel. Um dem Ausbluten des Dorfkerns entgegenzusteuern, muss man sich bisweilen erst einmal unbeliebt machen – sei es mit einer konsequenten Flächenpolitik, die Genehmigungen für Einzelhandel und Wohnbauten abseits des Zentrums ablehnt (wie in Burbach) oder mit einer zeitgemäßen Umgestaltung und Mut zu unkonventionellen architektonischen Lösungen (wie in Haag und Waidhofen/Ybbs). Oft können dabei gerade kleine Dörfer, weit mehr als Großstädte, auf Identifikation, Ortskenntnis und Heimatgefühl ihrer Bewohner bauen. Insbesondere das Engagement einzelner Architekten und Planer kann zur Triebfeder für eine ganze Gemeinschaft werden, nicht zuletzt weil es sichtbare Veränderungen produziert – beispielsweise durch den Umbau geschichtsträchtiger Gebäudeensembles (wie in Volkenroda oder Haslach/Mühl) – oder neue Ressourcen einbringt wie die Gründung einer Landschule (siehe Lüchow).
Solches Engagement „von unten“ ist oft stabiler als das Förderprogramm „von oben“. Trotzdem spielt dieses eine bedeutende Rolle. Verschiedenste Fördertöpfe auszuschöpfen, ist heutzutage auch eine wichtige Kompetenz der Verwaltung, wenn anspruchsvolle Projekte entstehen sollen (siehe Luckenwalde,
S. 46). Doch auch kommunale Programme mit minimalem Budget, die stattdessen die Bevölkerung für die Entwicklung ihres Ortes sensibilisieren, können erstaunliche Anreize schaffen, wie ein Programm für das Bauen im Ortskern von Burbach zeigt. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels haben die Gemeinden die schwierige Aufgabe, eine attraktive Gegenwelt zu den Metropolen aufrechtzuerhalten oder wieder zu schaffen. Langfristige, strategische Planung hilft, genauso wie die Förderung guter Architektur und qualitätvollen Städtebaus, die Verbundenheit der Bewohner mit ihrem Ort zu stärken und die Identität der Gemeinde zu festigen (siehe Baiersbronn und Hinterstoder). Was hier der konsequente Einsatz eines Gestaltungsbeirats bewirken kann, zeigen Gemeinden wie Zwischenwasser, wo vom Carport bis zur Wohnanlage die Gestaltung jedes Bauvorhabens geprüft wird.
S. 46). Doch auch kommunale Programme mit minimalem Budget, die stattdessen die Bevölkerung für die Entwicklung ihres Ortes sensibilisieren, können erstaunliche Anreize schaffen, wie ein Programm für das Bauen im Ortskern von Burbach zeigt. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels haben die Gemeinden die schwierige Aufgabe, eine attraktive Gegenwelt zu den Metropolen aufrechtzuerhalten oder wieder zu schaffen. Langfristige, strategische Planung hilft, genauso wie die Förderung guter Architektur und qualitätvollen Städtebaus, die Verbundenheit der Bewohner mit ihrem Ort zu stärken und die Identität der Gemeinde zu festigen (siehe Baiersbronn und Hinterstoder). Was hier der konsequente Einsatz eines Gestaltungsbeirats bewirken kann, zeigen Gemeinden wie Zwischenwasser, wo vom Carport bis zur Wohnanlage die Gestaltung jedes Bauvorhabens geprüft wird.
Es ist eine Gratwanderung, die Bürger auf Augenhöhe an der Arbeit der Gemeinde zu beteiligen, ohne sie zu überfordern oder in Zeiten eng geschnürter Budgets gar durch Mitentscheidungsrechte Arbeit auf sie abzuwälzen. Wie dieser Prozess funktionieren kann, welche Stolpersteine er zugleich aber auch birgt, führt die bayrische „Bürgerkommune“ Weyarn vor Augen. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang neue, speziell auf die Eigendynamik des ländlichen Raums zugeschnittene Planungsverfahren, die den üblichen Architekturwettbewerb mit intensiver Bürgerbeteiligung verschmelzen; dies wird derzeit in Fließ und Biberach an der Riß getestet.
Zum Abschluss des Hefts werfen wir einen Blick in die Niederlande; dort hat Rem Koolhaas vor einiger Zeit mit der Ankündigung Aufsehen erregt, sich künftig dem Studium des ländlichen Raums zu widmen. Während viele dahinter lediglich eine publicitywirksame Gegenreaktion zum allgemeinen Mega-City-Hype vermuteten, scheint es heute eher, als hätte Koolhaas einmal mehr die künftigen Herausforderungen früh erkannt. Ab Seite 54 präsentiert die Forschungsgruppe von AMO erstmals auf Deutsch Ergebnisse ihrer Untersuchungen auf dem holländischen Land.
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