Zwei radikale Erneuerer
Die Architektenkammer Niedersachsen zeigt (gemeinsame) Arbeiten von Otto Haesler und Kurt Schwitters
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Zwei radikale Erneuerer
Die Architektenkammer Niedersachsen zeigt (gemeinsame) Arbeiten von Otto Haesler und Kurt Schwitters
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Es ist kaum erstaunlich, dass sich die Wege der beiden beharrlichen Pioniere kreuzten, seit 1920 sollen Schwitters und Haesler befreundet gewesen sein. Eine Ausstellung in der Architektenkammer Niedersachsen zeigt nun einen Querschnitt des Schaffens von Otto Haesler in Celle und Ergebnisse beider Zusammenarbeit.
„Merz bedeutet Beziehungen schaffen, am liebsten zwischen allen Dingen der Welt.“ So beschrieb der Hannoveraner Künstler Kurt Schwitters 1924 seine ureigenste Ein-Mann-Kunstrichtung, die er als ästhetischen Aufbruch nach dem Trauma des Ersten Weltkriegs begründete. Merz leitet sich ab aus dem Ausschnitt einer Anzeige der „Kommerz- und Privatbank“, den Schwitters in einer seiner ersten Collagen verarbeitete. Und Merz wurde das Synonym für sein viele Disziplinen umgreifendes Schaffen, das Bedeutendes und Banales, Sinn und Unsinn, Kunst und Leben verband. Schwitters war Literat und begnadeter Unterhalter; Bildnerisches und Grafisches, Selbstversuche in der Architektur seiner zahlreichen Merzbauten, kritische Prosa und Produktwerbung verflocht er stets zu neuen Mischformen. 1887 in bourgeoises Milieu geboren, avancierte Kurt Schwitters zum Bürgerschreck Hannovers. Dank seiner wurde Hannover – man mag es heute kaum glauben – in den 20er Jahren zu einem Kunstzentrum in Europa. Wassily Kandinsky, Theo von Doesburg und Marcel Duchamp kamen hierher zu Kongressen und Festen, die Schwitters organisierte.
Ein Mensch ganz anderen Typs war der Architekt Otto Haesler. 1880 in bescheidenen Verhältnissen in München geboren, kam er nach Baugewerkschule und Maurerlehre 1906 ins niedersächsische Celle. Nach dem Ersten Weltkrieg und den verheerenden sozialen Verwüstungen fand Haesler zu seiner charakteristischen Architekturhaltung: systematisch in der Problemanalyse, sozial programmiert, mit industrialisierter Bautechnik umgesetzt. Ab Mitte der 20er Jahre baute er in Celle seine auch international beachteten Schlüsselwerke des Siedlungs- und Wohnbaus der Weimarer Republik: den „Italienischen Garten“ ab 1923, den „Georgsgarten“ ab 1925 und die Kleinstwohnungssiedlung „Blumenläger Feld“ ab 1930. Letztere war eine Antwort auf die Wohnungsnot im Deutschen Reich und ist die wohl stringenteste Anlage Haeslers. Zwei je gut 220 Meter lange parallele Wohnzeilen wurden in Stahlskelettbauweise errichtet, eine Konstruktion, die Haesler zuvor in einer Siedlung in Kassel erprobt hatte und in Celle optimierte. Habitus und geringe Größen dieser Wohnungen für das Existenzminimum wurden allerdings selbst in der Fachwelt polemisch aufgenommen. Es kursierte der Witz, beim Nachttopf sei aus Platzgründen der Henkel nach innen gelegt.
Es ist kaum erstaunlich, dass sich die Wege der beiden beharrlichen Pioniere kreuzten, seit 1920 sollen Schwitters und Haesler befreundet gewesen sein. Eine Ausstellung in der Architektenkammer Niedersachsen zeigt nun einen Querschnitt des Schaffens von Otto Haesler in Celle und Ergebnisse beider Zusammenarbeit. Im Hannoverschen Tageblatt schrieb Schwitters im August 1928 über die neue Architektur in Celle, dass „zwischen Hamburg, Frankfurt am Main und Berlin Haesler der einzige Architekt ist, der konsequent den rationellen internationalen Baustil schafft. Das aber bedeutet viel (...)
Haesler (...) kommt zu erstaunlich neuen Resultaten“. 1929 begann die beiden auch direkt zusammen zu arbeiten. Haesler hatte für seine Wohnungen einfache und preiswerte Möbel entworfen – ein runder Klapptisch, ein Hocker, ein Liegestuhl – und versuchte sie über seine Firma „Celler Volks-Möbel“ zu vermarkten. Kurt Schwitters gestaltete den Verkaufsprospekt für Haesler: eine Loseblatt-Sammlung mit sparsamer Textinformation, großen Abbildungen und reduzierter rot-schwarzer Grafik. Die Karlsruher Bauausstellung zur Dammerstock-Siedlung im selben Jahr manifestierte die Zusammenarbeit: Siedlungsstruktur und Bauformen des von Walter Gropius geleiteten ersten Bauabschnitts waren maßgeblich von Haesler geprägt, Drucksachen, Beschilderung und Katalog von Schwitters in kongenialer Klarheit entwickelt.
1933 brachte das Ende des gemeinsamen Schaffens. Schwitters emigrierte, erst nach Norwegen, dann nach England, wo er 1948 starb. Haesler zog sich nach Schleswig-Holstein zurück und begann nach 1945 seine zweite Architektenkarriere in der DDR, starb dort 1962, hochgeehrt. Kurt Schwitters Werk ist kunsthistorisch gesichert, Otto Haeslers Nachlass in Celle gefährdet: Die Siedlung Blumenläger Feld ist in den vergangenen Jahren (Bauwelt 38.02) in weiten Teilen zerstört worden.
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