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„Zweifel lassen sich mit dem Computer nicht entwerfen.“

Álvaro Siza im Gespräch

Text: Bodenbach, Christof, Wiesbaden; Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Álvaro Siza und Rudi Finsterwalder vor Tomas Riehles Aufnahmen des Pavillons.
Foto: Ulrich Brinkmann

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Álvaro Siza und Rudi Finsterwalder vor Tomas Riehles Aufnahmen des Pavillons.

Foto: Ulrich Brinkmann


„Zweifel lassen sich mit dem Computer nicht entwerfen.“

Álvaro Siza im Gespräch

Text: Bodenbach, Christof, Wiesbaden; Brinkmann, Ulrich, Berlin

Warum Álvaro Siza lieber mit der Hand zeichnet, wie er mit seinen Arbeitsmodellen umgeht und was er von Berliner Fliesenlegern hält. Wir trafen den Pritzker-Preisträger zur Eröffnung seiner Ausstellung im Siza-Pavillon auf der Raketenstation Hombroich.
Herr Siza, wenn man sich zurückerinnert, wie es vor 20 oder 30 Jahren in einem Architekturbüro aussah, stellt man fest, dass sich dort alles vollkommen verändert hat. Hat sich die Art, wie Sie selbst arbeiten, auch so stark geändert?
Álvaro Siza | Die Stimmung im Büro ist heute eine ganz andere. Früher gab es da Zeichenmaschinen und große Tische mit Reißschienen. Es war eine viel ru­higere Atmosphäre. Gleichzeitig haben die Leute im Atelier aber mehr miteinander gesprochen. In gewis­ser Weise isoliert der Computer die Mitarbeiter.
Der Computer und ich ...
Die Versuchung ist groß, sich vom Rechner regelrecht verschlingen zu lassen. Wenn ich einen Mitarbeiter bitte, „mal eben“ diese oder jene Zeichnung zu aktualisieren, finde ich mich nicht selten neben ihm sitzend wieder, und wir starren gemeinsam auf dieses „Bitte warten“-Symbol. Das ist nervenaufreibend. Eine andere Sache ist, dass die Kunden meinen, mit dem Computer müsse alles viel schneller gehen. Manches geht tatsächlich schneller, anderes nicht. Wir dürfen nicht vergessen, dass unser Gehirn nach wie vor in derselben Geschwindigkeit arbeitet. Wir haben uns durch den Computer ja nicht verändert. Aber die Arbeitsweise im Büro ist eine andere geworden, ja.
Sie arbeiten selbst mit dem Computer?
Nein. Für mich ist er vielleicht ein bisschen spät als Werkzeug gekommen. In gewisser Weise bin ich altmodisch, was meine Art zu arbeiten betrifft. Eine Sache, die aber grundsätzlich anders geworden ist: Früher haben Architekten in deutlich abgegrenzten Phasen gearbeitet – Vorstudie, Entwurf, Ausführungsplanung. Das ist vollständig verschwunden. Die Arbeit mit dem Computer hat diese Einteilung zu ei­nem kontinuierlichen Prozess werden lassen. Das ist deshalb eine so tiefgreifende Veränderung, weil jede Phase eine bestimmte Zeichenmethode mit sich brachte,
in der man seine Zweifel ausdrücken konnte. Im Grunde waren Projekte früher eine einzige Sammlung von Unsicherheiten. Mit dem Computer lassen sich Zweifel nicht entwerfen.
Bei Ihren Modellen kann man diese Unschärfe, das Unpräzise einer möglichen Lösung noch erkennen.
Die Holzmodelle sind für Ausstellungen gemacht, die Pappmodelle, die hier teilweise zu sehen sind und mit denen wir im Büro arbeiten, sind wesentlich weniger perfekt. Wir schneiden daran herum, nehmen Teile weg und bauen etwas anderes an. Das ist eine ganz flexible Art zu arbeiten.
Was geschieht mit den Arbeitsmodellen, heben Sie die unterschiedlichen Projektstadien auf?
Ich bewahre nur die auf, die den abschließenden Zeichnungen relativ nahe kommen. Manchmal hebe ich Zwischenstände eine Zeit lang auf, und wenn der Bauherr eine Änderung verlangt, können wir die Mo­delle aus dem Archiv holen und daran die Möglichkeiten diskutieren.
Gehen Sie mit Ihren Skizzen ähnlich um? Oder gibt es welche, die mehr sind als ein Entwurfswerkzeug, die einen eigenen Wert als Zeichnung haben?
Ich zeichne viel, weil es mir Freude macht. Als junger Mann wollte ich Bildhauer werden. Meine Familie war von dieser Idee nicht begeistert, und ich bin Architekt geworden. Aber ich fertige immer noch eine Menge figurativer Zeichnungen an, Porträts von Freunden und dergleichen. Die finden sich in meinen Skizzenbüchern zwischen den Entwurfsstudien.
Skizzen, Modelle, CAD-Zeichnungen sind die Werkzeuge im Entwurfsprozess. Wie sieht es mit dem Ort aus? Welchen Einfluss hat dieser auf den Entwurf?
Das ist eine wichtige Sache, die auch fast verschwunden ist – meiner Meinung nach einer der Gründe, warum Architektur an Qualität eingebüßt hat. Man kann Tausende Modelle und Tausende Zeichnungen machen, aber nichts ersetzt die reale Raumerfahrung. Für unser Museumsprojekt in Süd-Korea bauen wir riesige Modelle, die ich betreten kann. Aber das ist nicht dasselbe, wie wirklich auf der Baustelle zu sein. Und das ist inzwischen fast unmöglich. Wenn wir heute ein Projekt fertig gezeichnet haben, ist das eine abgeschlossene Sache, man kann dann nichts mehr verändern. Das liegt an der Art, wie der Bauprozess und die Auftragsabwicklung organisiert sind. Das erste Mal ist mir das bewusst geworden, als wir in Berlin gebaut haben. In Portugal bin ich immer auf die Baustelle gegangen und habe mit den Arbeitern gesprochen: „Es wäre besser, wenn wir das hier komplett of­fen lassen würden.“ Oder: „Nehmen Sie doch dies hier und lassen jenes stattdessen weg.“ Eine Baustelle zu besuchen, war eine echte Freude.
Und zur IBA in Berlin war das anders?
In Berlin war ich einmal auf der Baustelle, während ein Arbeiter gerade Mosaik-Fliesen verlegte. Ich sah, dass er sie orthogonal verlegen wollte, und dass das Probleme bereiten würde. Deshalb habe ich ihm ge­raten: „Verlegen Sie die Fliesen doch diagonal, das ist viel einfacher, da müssen Sie das Muster an den Tü­-­ren nicht schneiden.“ Er antwortete mir: „Wenn wir hier einmal mit der Arbeit angefangen haben, ändern wir eigentlich nichts mehr.“ Doch am nächsten Tag kam er auf mich zu: „Sie hatten recht, ich werde das so machen, wie Sie es gesagt haben, das ist viel besser.“ Als ich dann ins Büro zurückkam, rief mich der Bauleiter wütend zu sich: „Sie können nicht einfach mit den Arbeitern reden. Wenn Sie etwas anders ha­ben wollen, müssen Sie mit mir sprechen, und ich spreche dann mit den Arbeitern.“
Der besten Lösung so nah wie möglich zu kommen – so haben Sie das Ziel ihrer Arbeit einmal formuliert. Sagen Sie: „Jetzt reicht es!“, wenn sie das Gefühl haben, das Projekt sei perfekt?
Ich sage nie: „Jetzt reicht es!“ Manchmal entscheidet der Kunde, dass es genug ist. Das ist frustrierend, wenn wir wissen, dass es noch besser werden könnte. Die Auftraggeber teilen sich in solche, die wirklich Qualität wollen, die sich mit dem Projekt identifizieren – das sind nicht viele –, und solche, die wollen, dass man schnell und nicht zu teuer arbeitet. Ganz zu schweigen von den Politikern, die wollen, dass ein Projekt einen Monat vor der Wahl fertig ist.
Ihr Pavillon hier auf der Raketenstation ist eines der seltenen Beispiele von Architektur, die Zeit hatte, sich zu entwickeln. Wie hat sich das Projekt in den 15 Jahren Planungs- und Bauzeit verändert?
Es gab eine Änderung des Programms, nachdem die Ausführungsplanung bereits abgeschlossen war. Eigentlich sollte es ein bio-physikalisches Institut werden. Ich weiß nicht genau warum, aber dann wurde es ein Museum. Es war schön, zu sehen, wie sich das Projekt den veränderten Vorgaben anpassen ließ. Das ist etwas, das mich sehr beschäftigt: Ich würde mich als Funktionalisten bezeichnen, in der Hinsicht, dass wir eine schlüssige Antwort auf ein Programm geben müssen; doch im nächsten Schritt müssen wir das Projekt wieder von der Funktion befreien, damit der Raum den Veränderungen, die immer stattfinden, standhalten kann. Mein Lieblingsbeispiel dafür sind Klöster. Mönche führen ein ganz besonderes Leben, das Programm muss also in jeder Beziehung ihrer Art zu leben Rechnung tragen. Aber trotzdem können Klöster für alles mögliche andere genutzt werden: Museen, Rathäuser, Krankenhäuser, Wohnungen, einfach alles. Das ist meiner Meinung nach die richtige Entwicklung für Architektur: Sie muss die Funktion respektieren, aber gleichzeitig frei davon sein.
Aus dem Englischen von Jan Friedrich
Fakten
Architekten Siza, Álvaro, Porto
aus Bauwelt 26.2011
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