Bauwelt

Akademie der bildenden Künste


Gläserne Werkstatt


Text: Kil, Wolfgang, Berlin


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    Foto: Jakub Certowicz

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Der Architekt Tomasz Głowacki hat mit seinem Büro PAG Pracownia Architektury Głowacki den Neubau für die Akademie der bildenden Künste in Breslau errichtet. Hohe Werk- und Arbeitsräume und eine geschickte Raumplanung schaffen ein offenes, bescheidenes Gebäude mit überzeugendem Werkstattcharakter
Weil Breslau, einst fünftgrößte Stadt des Deutschen Reiches, im Januar 1945 zur Festung erklärt und danach wochenlan-gen Straßenkämpfen ausgesetzt wurde, gehörte Wrocław, nunmehr die viertgrößte Stadt Polens, zu den am meisten kriegszerstörten Städten Europas. Narben dieser Vergangenheit sind bis heute zu erkennen. Am Rande der fast komplett wieder aufgebauten Altstadt erstrecken sich immer noch weithin kahle Flächen. Deren Wiederbebauung nach heute üblichem Standard mag man sich aber kaum recht wünschen – der Bedarf an aufgeblasenen Einkaufszentren scheint selbst für die boomende Metropole Niederschlesiens inzwischen reichlich gedeckt.
An einer der verlorensten Ecken dieses Brachlandes hat sich solche Sorge inzwischen erledigt. Gegenüber dem Postverwaltungsamt, einem imposanten Riesenbau in kräftigem Backsteinexpressionismus (Lothar Neumann, 1926–29), ist für die renommierte Breslauer Kunstakademie ein Neubau entstanden, der dem uferlos ausfransenden Verkehrsraum nach Süden hin eine klare Kante bietet. Dieser Bau, ein rigider Glasblock mit nur minimal verschwenkten Geschossen, bleibt nach außen hin vollkommen stumm. Kein Detail verweist auf seine Bestimmung, erst bei Dunkelheit werden die vollverglasten Werkstätten zu Schaufenstern, in denen sich das quirlige Innenleben der Kunstschule gewissermaßen selber darstellt. Bei Tageslicht spiegeln sich nur der Himmel und das umgebende Stadtpanorama in den blassblauen Scheiben.
So bleibt dem Betrachter erst einmal, sich mit den stadträumlichen Qualitäten dieses Projekts auseinanderzusetzen. Dazu muss man wissen: Das hier realisierte Gebäude ist nur der erste Bauteil einer insgesamt dreiflügeligen Anlage, die sich U-förmig zwischen die Reste eines ehemals dicht überbauten Blockgevierts zwängen soll. Komplizierte Besitzverhältnisse, am Ort bereits vorhandene Akademie-Nutzungen sowie ein „Pocket Garden“, den man den Studierenden erhalten wollte, haben solch schwierigen Zuschnitt des Bauplatzes bewirkt, der selbst in seiner jetzigen Teilrealisierung für erhebliche Reibung mit der angrenzenden Bebauung sorgt. Im erschütternd schmalen Hinterhof kommt die bange Frage auf, mit welchen Argumenten man wohl Nachbarn dazu bewegt, solcher Neubebauung zuzustimmen. Für die alteingesessene Musikalienhandlung oder die Hostel-Gäste in dem skurrilen Industriealtbau mag die Wand-an-Wand-Enge noch zu verschmerzen sein, doch auch in die normalen Wohnungen gleich daneben fällt ja nun nie wieder ein Sonnenstrahl.
Für den äußeren Stadtraum leistet der sorgsam proportionierte Baukörper das Bestmögliche: Die ul. Krasin´skiego, eine unauffällige Gründerzeitstraße, bekommt an der Ecke zur General-Traugut-Allee einen klar akzentuierten Schlusspunkt. Der wuchtige Solitär der alten Postverwaltung erhält – bei aller ästhetischen Gegensätzlichkeit – ein vergleichbar dominantes Gegenüber. Selbstbewusst, ohne jede Angeberei, zeigt der Akademie-Neubau großstädtische Statur. Nur der Haupteingang ist nicht einfach zu finden: Ein repräsentatives Entree (samt Foyer, Bistro, Auditorien) war im Mittelflügel vorgesehen, der jetzt fehlt. Eine unscheinbare Tür neben der Hofzufahrt mitten in der Nordfassade gewährt Zugang – nur für Eingeweihte? Oder ist es Absicht? Das wäre dann aber auch einer der Punkte, an denen das von den Architekten erstrebte „Understatement“ an seine Grenzen stößt.
Werkstattatmosphäre
Womöglich zählen ja Kunsthochschulen zu den wenigen Bauaufgaben, bei denen radikale ästhetische Prinzipien noch am ehesten Akzeptanz finden. Beim Gang durch das Haus kann man seine eigenen Empfindungen gut testen: In sämtlichen Geschossen erlebt man einen geradezu emphatischen Funk­tionalismus. Weiß, Grau, Schwarz – mehr Farben haben der Architekt Tomasz Głowacki und seine Kollegen nicht zugelassen. Die Ruppigkeit, mit der die Lüftungsrohre unter allen Decken einfach mit Folie umwickelt wurden, scheint fast schon mit „Lagerhalle“ zu kokettieren.
Aber man vermisst den üblichen Aufwand architektonischer High-End-Sehnsucht gar nicht. Auf buchstäblich jedem Quadratmeter dominiert der Charme fröhlich-ernsthafter Kreativität. Selbst in den sehr langen, unentwegt mit Ausstellungen bespielten Fluren herrscht Werkstattatmosphäre. Die wirkt, klingt, riecht bei den Metallern, Keramikern, Glaskünstlern oder Industriedesignern im Erdgeschoss anders als bei den „feineren“ Gewerken der Textilgestalter, Bildhauer, Maler und Medienmacher in den Geschossen darüber. Aber jede Klasse füllt ihre Räume mit Mengen an Material aller Farben und Formen, Architektur kann sich also auf die „Essentials“ beschränken: Tragkonstruktion (Sichtbeton, dunkelgrau), Trennwände (Gips, weiß), Böden (Beton oder Epoxidharz, lichtgrau), Türen (Holz, hellgrau) und technisches Equipment (Metall, mittelgrau). Allenfalls beim Auditorium, einem schlichten Hörsaal mit 170 Plätzen, gerät diese völlige gestalterische Abstinenz dann doch nahe zur Unwirtlichkeit.
Statt dekorativer Eskapaden bietet der Bau etwas anderes: klug organisierte Raumstrukturen. Die Architekten meinen, sie hätten den Wettbewerb 2007 vor allem wegen der großzügigen Dimensionen gewonnen: Sechs Meter Höhe wollten sie allen Werkstätten und Fluren gönnen – was für ein Luxus! Doch dann wurde entschieden, dass zunächst nur ein Flügel kommt, und wie es danach weitergeht, steht in den Sternen. Deshalb: Umplanen! Die Werkstätten waren jetzt durch Büros, Archive, Materiallager und wenigstens einen Vorlesungssaal zu ergänzen. Also strickten die Architekten ihren Entwurf von fünf auf teilweise acht Geschosse um. Ihre luxuriösen Raumhöhen kamen ihnen da zugute, die gibt es jetzt nur noch für die eigentlichen Werkstätten und gelegentlich für die Hauptkorridore. Nebenfunktionen wurden nach einem ausgeklügelten Schema in niedrigere Zwischengeschosse verteilt. Bei gleicher Gesamtkubatur ließ sich so die Nutzfläche des Gebäudes von 11.500 auf rund 13.000 Quadratmeter erhöhen. Vor allem aber wurde ein überraschender Raumeffekt möglich: Die Verteilergänge der Zwischengeschosse sind zu den hohen Werkstatträumen hin offen. So zieht sich nun durch jedes Hauptgeschoss eine erhöhte Promenade, von der herab man dem Treiben in den einzelnen Klassen zusehen kann.
Wichtig für den Gesamtauftritt der neuen Akademie ist die Fassade. 1200 Glaspaneele im klaren Raster (ausnahmslos 1,25 Meter breit, die Höhen variieren je nach Geschoss) umhüllen den Bau wie eine straffe Haut. 90 dieser Paneele lassen sich als Kippfenster öffnen, alle übrige Verglasung ist starr. Die Dreischeiben-Konstruktion schützt vor dem Lärm der Kreuzung direkt vor der Tür. Da es nirgends Brüstungen gibt, bekommen die tiefen Räume viel Licht für die künstlerische Arbeit. Gegen zu heftige Sonneneinstrahlung wurde den äußeren Scheiben ein Punktraster in Emaille aufgedruckt. Das lässt die Flächen von außen leicht milchig erscheinen, auch der Blick von drinnen wird weicher, wie von einer sehr feinen Gardine gefiltert, die sich aber niemals beiseite ziehen lässt.
Um trotzdem einen unverschleierten Blick auf das neue Zentrum von Breslau zu werfen, kann man aus der spartanischen Teeküche im obersten Geschoss auf die geräumige Dachterrasse hinaustreten. Vielleicht lässt sich hier ja noch gastronomisch irgendwie nachrüsten: Ein so grandioses Panorama – von den Türmen der Altstadt über die Dominsel bis zu den meisterhaft brutalistischen Wohntürmen von der Architektin Jadwiga Grabowska-Hawrylak jenseits der Oder – findet man in Wrocław nirgendwo sonst.



Fakten
Architekten PAG Pracownia Architektury Głowacki, Warschau
Adresse Generała Romualda Traugutta 19-21 Wrocław, Poland


aus Bauwelt 29-30.2014
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