Al Thawra Krankenhaus
Text: Buschbeck, Tobias, Berlin
1976 erhielt das Büro Heinle, Wischer und Partner vom jemenitischen Gesundheitsministerium und von der UNO den Auftrag für Vorstudien zu einem Krankenhaus in Sana'a. Bereits acht Jahre zuvor hatten Planer aus der Sowjetunion erste Bauten errichtet. Der Autor, seit 1998 im Stuttgarter Architekturbüro tätig, hat das Krankenhaus 34 Jahre später besucht.
„Sie werden es nicht wiedererkennen“, hatte mir Winfried Schmidbauer, der damals für die Ausführung verantwortliche Architekt bei Heinle, Wischer und Partner, mit auf den Weg gegeben. Ich kannte das Projekt bis dahin nur von einer Publikation aus dem Jahr 1985. Sie zeigt eine Gegenüberstellung der traditionellen Architektur von Sana'as Altstadt zu dem modernen Bau: auf der einen Seite jahrhundertealte, dicht an dicht gebaute Turmhäuser aus braunen Ziegeln mit hellen Putzverzierungen. Deren Fassaden werden geprägt durch die typischen halbrunden oder runden, mit bunten Gläsern besetzten Oberlichter sowie durch traditionelle Holzgitter. Diese dienen der Durchlüftung von außen liegenden, kühlen Lagerschränken, oberhalb der Eingangstüren auch als Sichtschutz, der es Frauen ermöglicht, unbeobachtet auf die Straße zu sehen. Auf der anderen Seite das Al Thawra Krankenhaus als europäische Interpretation der jemenitischen Architektur. So wurden in der Fassade Ziegel und Holz statt mit den historischen Putzverzierungen mit einer sichtbaren, hellen Stahlbetontragstruktur kombiniert. Vor den Patientenzimmern befinden sich Loggien mit Sonnen- und Sichtschutzelementen aus Holz. Im Bereich der Wohngebäude für Ärzte wurden abstrakte Kuben aus Sichtmauerwerk mit schmiedeisernen Gittern sowie den traditionellen bunten Oberlichtern versehen. Hinzu kommt die Architektur der sowjetischen Ursprungsgebäude: klare Baukörper mit großflächigen, durchbrochenen Fassaden, hinter denen die Funktionsbereiche der Klinik angeordnet sind.
Ankunft in Sana'a
Das Taxi bahnt sich seinen Weg durch das morgendliche Verkehrsgewusel. Es ist kühl, obwohl die Sonne scheint – die Lage auf 2300 Meter Höhe mitten im Gebirge macht sich bemerkbar. Auf großen und kleinen, schlechten und guten Straßen fahren wir vorbei an unzähligen Neubauten – in der Regel Stahlbetonskelettbauten, deren Fassaden meist als Rekonstruktion traditioneller Ziegelarchitektur, als Natursteinfassaden mit international historisierenden Stilzitaten oder als großflächige Spiegelglasfassaden gestaltet sind. Das oberste Geschoss der Gebäude ist oft noch unfertig und bietet Potential für künftige Erweiterungen. Dazwischen plötzlich die gigantische, 2008 errichtete Präsidenten-Moschee. Insgesamt ein starker Kontrast zu dem, was ich aus der Publikation der achtziger Jahre kenne.
Hinter Bauzäunen versteckt taucht die Fassade mit den Patientenzimmerloggien auf. Entgegen den Befürchtungen ist das ursprüngliche Erscheinungsbild noch relativ gut erhalten. Nach dem Betreten des Geländes werde ich mit der relevantesten Änderung konfrontiert: dem Herzzentrum. Es befindet sich in einem Gebäude, das es auf dem ersten Lageplan gar nicht gibt – dennoch sieht es den Gebäuden von 1985 bezüglich seiner Architektursprache sehr ähnlich. Es stellt sich heraus, dass das Krankenhaus seit 1985 auf der Grundlage von jeme-nitischen Planungen immer wieder erweitert wurde. Architektonisch wurde hierbei sowohl das Projekt von 1985 als auch der Bau der ersten Phase zitiert. Dies ist besonders bemerkenswert, da die Architektur des Krankenhauses als abstrakte Interpretation traditioneller Elemente deutlich von der Masse der Neubauten in Sana'a abweicht.
„Wir haben Sie erwartet.“ Ahmed Qassem Al-Ansi, der Direktor des Al Thawra Krankenhauses, begrüßt mich als unangekündigten Besucher aus Deutschland. Eigentlich geht es nur um eine Besichtigungsgenehmigung, doch daraus entspinnt sich umgehend ein Gespräch über die baulichen Perspektiven der Klinik, eine typische Begegnung in Sana'a, der Hauptstadt des Jemen: spontan und unkompliziert.
Das Al Thawra ist eines der wenigen staatlichen – und damit für den Patienten bis auf die Anmeldung kostenlosen – Krankenhäuser in der Stadt. Es liegt zentral, unmittelbar am Rand der Altstadt, nahe dem wichtigen Verkehrsknotenpunkt „Bab al Yemen“ (Tor des Jemen). Der erste Teil des Komplexes wurde, als Geschenk der Sowjetunion, bereits 1968 errichtet. Zu diesem Zeitpunkt hatte Sana'a circa 110.000 Einwohner. Mittlerweile zählt die Stadt circa zwei Millionen Einwohner. In den Jahren 1976–85 wurde die Anlage unter Leitung des Architekturbüros Heinle, Wischer und Partner erweitert.
Das jemenitische Gesundheitswesen bedurfte Ende der sechziger Jahre einer tiefgreifenden Verbesserung. Zum einen war es nur sehr schwach entwickelt, zum anderen waren die hygienischen Bedingungen für die Menschen, zum Beispiel der Zugang zu sauberem Wasser, schlecht. Seither ist viel geschehen, aber noch immer ist ein enormer Entwicklungsbedarf vorhanden. So standen 2002 im Jemen pro10.000 Einwohner nur sechs Krankenhausbetten zur Verfügung, gegenüber 91 in Deutschland. Der weltweite Durchschnitt lag damals bei 31 Betten. Der Bedarf spiegelt sich auch in der ständig steigenden Bettenzahl des Al Thawra Krankenhauses wider. Derzeit gibt es rund 750 Betten, dies ist eine Versiebenfachung seit 1968, und die Planung sieht bereits bis zu 1000 Betten vor.
Auf dem Schreibtisch des Arztdienstzimmers steht ein heißer Steintopf mit einem dampfenden Bohnengericht, daneben ein noch warmes Fladenbrot, ausgebreitet auf einer Zeitung. Bei meinem Gespräch mit drei jemenitischen Ärzten wird deutlich, dass die umfangreichen neuen Erweiterungen funktional zu problematischen Verflechtungen führen, da diese zum Teil zentral im ursprünglich freien Innenhof angeordnet wurden und so komplizierte Wegeverbindungen entstanden.
Sand- und Steinproben
„Wollen Sie auch Sand- und Steinproben mitnehmen?“, fragt mich der Mediziner Yahia Ali Al-Huraibi auf unserem Rundgang durch das Krankenhaus. Er hatte von ärztlicher Seite bereits die ersten Planungen begleitet und berichtet mir nun lebhaft vom damaligen Planungsprozess. So wurden durch die Architekten Materialproben für die Entwicklung der Fassade mit nach Deutschland genommen. Ein Ziel der Planung war die Verwendung von langlebigen und wartungsarmen Materialien. Für die Ziegelfassaden und die Böden aus Keramik ist das Konzept aufgegangen, für die Bereiche mit Holz nicht, da hier über die Jahre keine Pflege mehr stattgefunden hat.
Im Vergleich zu deutschen Krankenhäusern fällt die große Zahl an Menschen auf, die sich auf dem Gelände bewegt bzw. im Schatten wartet. Die Nutzungsfrequenz ist sehr hoch. Dies zeigt sich besonders deutlich an den Gebäudezugängen, wo Wachposten rigoros den Eingang kontrollieren.
Auf dem Dach des Krankenhauses zeigt der technische Leiter die 1985 installierte Anlage für solare Warmwassergewinnung. Die alten Abdeckscheiben gewähren keinen Einblick mehr, und die Isolierung der Wasserleitungen ist durch die Witterungseinflüsse sowie durch Greifvögel zerstört. Die Anlage liegt brach, eine Reparatur ist nicht in Aussicht. Trotz des hohen Potentials ist die Nutzung solarer Energie im Jemen wenig verbreitet. Große Teile der ursprünglichen Haustechnik sind nach Auskunft der Techniker im Krankenhaus zwar noch funktionsfähig, aufgrund der langen Nutzungsdauer und der mangelnden Wartung kommt es jedoch vermehrt zu Ausfällen.
„Wir wollen das Krankenhaus grundlegend sanieren“, sagt der Direktor zum Abschied. Zwar funktioniere das Krankenhaus nach der langen Nutzungszeit insgesamt noch gut – eine Sanierung und Weiterentwicklung sei jedoch unbedingt erforderlich. Die zwei Hauptthemen sind der dringende Sanierungsbedarf von Technik und Gebäuden sowie die Erweiterung der Grundstruktur des Gesamtkomplexes in Anpassung an die hohe Patientenauslastung. Als günstige Faktoren erweisen sich bis heute die zentrale, gut erreichbare Lage in der Stadt, der große Bekanntheitsgrad, die gute Substanz der Bestandsgebäude und die ausreichenden Erweiterungsflächen. Wenn es sinnvoll erweitert wird, kann das Al Thawra Krankenhaus eine starke, öffentliche Alternative zu den verschiedenen, als Komplettpakete „erstellten“, privaten und für die Patienten kostenpflichtigen „Klinik-Satelliten“ sein.
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